Schuld - Kapitel 7

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Mit Kopfhörern in den Ohren sah die Welt vollkommen anders aus. Je nachdem, was man hörte, veränderten sich Situationen in Sekundenschnelle. Man dachte sich komplett andere Geschichten zu den Menschen aus, die man sah. Wenn man etwas Witziges hörte, kam es einem so vor, als wäre der Vater, der sein Kind in die Luft warf und wieder auffing, wie ein absoluter Spaßvogel, der so etwas immer tat. Hörte man allerdings ein etwas traurigeres Lied, kam bildete ich mir gerne ein, dass er ein alleinerziehender Vater sei, dessen Frau gestorben war und er sich jetzt mit aller Kraft um sein Kind kümmern müsste.

Der Wind wehte einem bei einem traurigen Lied geradezu mit einer dramatischen Geste durch die Haare, ließ dich die Augen schließen und nichts außer dem Wind wahrnehmen, den du tief einatmetest. Du versuchst stärker zu sein als deine melancholische Seite, lässt es aber zu, sie einmal die Außenwelt sehen zu lassen. Nur so kannst du auch die Macht über eben diese Seite behalten, nur so übernimmt diese Seite nicht die Überhand und lässt dich nicht verrückt werden.

Ich saß im Park auf einer der Bänke und schaute den Menschen einfach beim Leben zu, ließ ein wenig meine Melancholie raus und überlegte mir die traurigsten Geschichten. Aber immer mit Happy End, einzig, weil mir das die Macht gab doch noch etwas Fröhlichkeit in diese Melancholie zu bringen.

Ich atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen. Wollte für einen Moment nur für mich sein, alles ausblenden und in meiner eigenen kleinen Welt leben. Mir meine eigene Geschichte zu dem Jungen auf der Bank ausdenken, der Musik hörte und nachdenklich Leute beobachtete. Vielleicht hatte er ein ganz einfaches Leben, war nie umgezogen und wurde von allen so akzeptiert, wie er war. Vielleicht gab es keinen tragischen Selbstmord an seiner neuen Schule und Steve ging Hand in Hand mit Tom auf ihn zu.

Dann hatte der Junge auf der Bank auch nicht das Problem sich den Kopf darüber zerbrechen zu müssen, nett zu einem Typen zu sein, dem die Schuld an eben diesem Selbstmord gegeben wurde. Dann hätte er vielleicht schon längst angefangen den Typen anzugraben...

Halt.

Ich schlug die Augen auf und schüttelte den Kopf. Ja, Vincent war verdammt heiß und ja, ich hätte nichts dagegen gehabt ihm über seine Bauchmuskeln zu lecken. Aber mal ganz im ernst... Nein.

Nein. Nein. Nein.

Ich hatte mir verboten an ihn in dieser Weise zu denken. Das musste nun wirklich nicht sein.

Mit einem Seufzen stand ich auf und nahm die Kopfhörer aus meinen Ohren. Die Magie war verflogen und es brachte nichts mir weiter die Leute anzuschauen, wenn ich letztlich nicht mehr drüber nachdenken konnte, was denn ihre Geschichten sein könnten. Ich würde daran denken müssen, was ich wenige Momente davor gedacht hatte.

Ich rollte die Kopfhörer auf und bewegte mich nach Hause. Es hatte Vorteile direkt am Rand eines Parks zu wohnen. Es war wie ein riesiger Garten, um den man sich selbst nicht kümmern musste. Klar, es hatte auch einige Nachteile, aber im Großen und Ganzen mochte ich es.

„Hey!", schrie jemand hinter mir. Ich drehte mich um und ooooh, das hätte ich lieber gelassen..

Mit einer Wucht von zwanzig Panzern landete ich auf dem Boden und hatte im nächsten Moment auch schon mindestens drei Schläge ins Gesicht bekommen.

„GEH VON MIR RUNTER!", schrie ich diesen Bastard Marc an. Wie zur Hölle hatte er mich gefunden? Und warum zum Teufel hielt er sich nicht an diese verdammte einstweilige Verfügung? Als ich meinem Vater von Marcs Nachricht bei Facebook erzählte, leitete er sie sofort ein, um Marx im Notfall doch von mir fern zu halten, aber das war ihm wohl letztendlich vollkommen egal.

Mit einem Schlag in meinen Bauch hörte ich auf zu schreien, sondern fing eher an zu keuchen und zu winseln. Ich dachte, ich sei ihn los, aber nein. Meine Vergangenheit würde mich immer wieder heim suchen und mich nie loslassen, wortwörtlich.

SchuldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt