Schuld - Kapitel 14

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„Opa liegt wohl noch ein bisschen länger im Krankenhaus. Papa hat grade angerufen und sagt, er hat eine leichte Lungenentzündung", sagte Mama circa zwei Wochen, nachdem Papa gefahren ist. Ich nickte bloß.

Was sollte ich auch schon großartig sagen? Dass ich nicht mehr die Zuversicht hatte, dass es Opa wirklich wieder gut gehen würde? Denn ganz ehrlich, die hatte ich nicht mehr. Das Internet ist ein wirklich böser Ort und wenn man nachts mal wach liegt, dann kommt man auch schon einmal auf die Idee nach Hüftbrüchen zu googeln. Das habe ich gemacht und gelesen, dass Hüftbrüche eine echt ernste Sache bei älteren Leuten werden können. Quasi wie ein Beinbruch beim Pferd. Es bleibt nur noch der Schuss ins Genick.

Klar, ein kleines Fünkchen Hoffnung blieb mir noch. Opa war sein Leben lang fit, hatte nie geraucht, trank in Maßen, hat immer fleißig gearbeitet und war soweit ich mich erinnern konnte noch nie krank. Es war schon eine Unverschämtheit, dass es jetzt alles auf einmal kam. Aber was konnte ich da schon ausrichten? Ich konnte ja schlecht eine Heilung aller Krankheiten entwickeln. Ich hatte nicht mal mein Abitur.

Meine einzige Möglichkeit war warten. Warten, bis jemand in mein Zimmer kam und mir die Hiobsbotschaft überbrachte. Aber das passierte nicht. Stattdessen kam Vincent immer wieder in mein Zimmer.

Wir machten wieder viel miteinander, was mir persönlich ein eigenes kleines Seelenheil war. Mir gefiel es, wenn wir einfach nur dasaßen und über recht unnütze Dinge sprachen. Wir schnitten sogar wieder das Thema Bungeejumping an und lachten diesmal sogar über einige Videos von Leuten, die dabei ihr Gesicht filmten und hochgeladen haben. Es war schön ihn lachen zu hören. Wir schienen uns gegenseitig wirklich gut ablenken zu können. Und das sagte er mir auch.

„Ich habe lange nicht so viel gelacht." Er strich sich einige Tränen aus den Augenwinkeln und grinste. Ich grinste zurück, denn trotz dieser traurigen versteckten Botschaft freute ich mich. Ich freute mich, dass er für einen Moment glücklich war und ich dafür verantwortlich war. Das bewies mir, dass ich wirklich einen guten Job in dieser Freundschaftskiste machte.

Man musste sich mal einfach vorstellen. Ich hatte mein ganzes Leben nie wirklich Freunde. Die meiste Zeit war ich das Opfer und hatte Leute, die gegen mich spielten. Nur jetzt hatte ich endlich Freunde und es war ein Geben und Nehmen. Vor allem bei Vincent wusste ich, dass er meine Freundschaft auch sehr wertschätzte. Vielleicht lag das aber auch nur daran, dass er selbst niemanden mehr hatte? Wer wusste das schon.

Ich stand von meinem Stuhl auf und ging zu meinem Bett rüber, um mich darauf zu legen. Mit einem Seufzen sank mein Kopf ins Kissen, die Augen geschlossen. Es dauerte nicht lange, bis Vincent sich dazu legte. Das machten wir in letzter Zeit häufiger. Einfach nur nebeneinanderliegen, nichts sagen. Entweder schauten wir die Decke an oder lagen mit geschlossenen Augen da. Naja, zugegeben. Dass Vincent die Augen geschlossen hatte, wusste ich. Denn ich hatte meine Augen nicht immer geschlossen. Manchmal schaute ich ihn an, beobachtete seine Atmung, schaute, ob ich erkennen konnte, woran er grade wohl dachte.

Ich fühlte mich wie ein Voyeur, wie jemand, der in die Privatsphäre eines anderen reinschaute. Ihn dabei zu beobachten, wie er nachdenklich die Augen geschlossen hatte, sich ab und an die Lippen befeuchtete, die leichten Zuckungen in seinem Gesicht versuchte zu kontrollieren. Was ich ganz vergessen hatte? Wie gut er eigentlich aussah, was für ein schönes Profil in diesem Gesicht steckte. Naja, ich hatte ihn zu Anfang ja auch nicht umsonst Adonis genannt. Nur, dass er jetzt einen wesentlich echteren Ausdruck im Gesicht hatte.

Bisher wurde ich noch nicht erwischt. Ich wüsste auch nicht, wie ich mich da hätte rechtfertigen sollen. Warum sollte ich ihn auch anstarren? Wenn ich ihm sagte, dass ich ihn anstarrte, weil er so schön war? Ich glaubte einfach nicht, dass seine Reaktion die beste sein würde. Ich hatte ihm ja auch nicht einmal von meiner Sexualität erzählt. Wobei er vielleicht eine Ahnung hatte, als ich Lucas erwähnt hatte, den besten Freund seines Bruders? Naja, wer wusste das schon.

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