Schuld - Kapitel 5

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Glaubst du etwa, das weiß ich nicht?

Er wusste es also, dass er Steves Leben auf dem Gewissen hatte. Und dennoch verhielt er sich den Leuten gegenüber wie ein Arschloch. Nur, wenn er allein war, erlaubte er sich unter den ganzen Blicken und Beschimpfungen zusammen zu brechen. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Ich wollte ihn nicht bemitleiden und konnte es auch nicht. Ihm war Steves Selbstmord bewusst und er schien nichts zu bereuen. Er war meiner Ansicht nach sogar ziemlich egoistisch, wenn er erwartete, dass man ihm ein wenig Mitleid schenken sollte, weil man ihn hasste.

Vielleicht war ich zu hart, vielleicht hatte ich die Nachricht auch falsch interpretiert. Aber … nein. Meine Interpretation machte ziemlich Sinn und ich wollte ehrlichgesagt wirklich keinen Funken Mitgefühl für ihn aufbringen. Das hatte er nicht verdient.

„Theo? Worüber denkst du nach?“, fragte Tom und schlürfte mir gegenüber seinen Milchshake. Wir saßen mal wieder in dem Café von Toni und schauten dabei zu, wie Felicia arbeitete.

Ich schaute ihn fragend an, woraufhin er nur mit seinen Schultern zuckte.

„Du hast das Gesicht so verzogen, als wäre das, worüber du nachdenkst die Relativitätstheorie.“, sagte er mit einem leichten Lächeln. Ich schüttelte den Kopf und lehnte mich dann zurück.

„Alles okay. Ich habe nur ein wenig über alles und nichts nachgedacht.“ Mit einem ebenso leichten Lächeln nahm ich meinen Milchshake und nahm einen Schluck.

„Aber erzähl doch mal. Was habt ihr für euren Trip nach Rom geplant, außer das Colloseum und den Vatikan?“ Einerseits war ich neugierig, andererseits wollte ich auch das Thema wechseln. Ich wollte erst einmal niemandem erzählen, dass ich mit Vincent geredet hatte. So gut kannte ich sie ja nicht, dass ich einschätzen konnte, wie sie reagierten sollten.

„Ich fahre nicht mehr.“, sagte Tom und senkte den Kopf. Er sah hin- und hergerissen aus, als wäre er gerne gefahren, aber irgendwas lässt ihn nicht, will ihn nicht gehen lassen.

„Oh, warum nicht?“, fragte ich und beugte mich ein wenig nach vorne. Er zuckte allerdings nur mit den Schultern und schaute zur Seite.

„Mir ist nicht mehr wirklich danach.“, murmelte er und zuckte wieder mit den Schultern. Sein Blick verfinsterte sich und eine riesige Mischung aus Traurigkeit, Wut und Resignation huschte über sein Gesicht. Das war an sich schon eine seltsame Mischung, aber dennoch passte es zusammen, wenn man über den Grund nachdachte oder vermutete, woran es liegen könnte.

„Was ist los? Du hattest mir doch sogar Bilder geschickt und hast dich noch so richtig auf den Trip gefreut.“ Ich legte den Kopf schief und schaute ihn besorgt an. Er zuckte aber wieder mit den Schultern und schaute weiter nach unten.

Ich stand auf und setzte mich neben ihn. Mit der Schulter stieß ich ihn leicht an und erreichte damit mein Ziel, dass er mich anschaute.

„Hm?“ Ich legte wieder leicht den Kopf schief. Nach einem kleinen Seufzer schaute er wieder nach vorne und ließ sich ein wenig niedriger sinken.

„Ich hatte mit Steve mal über den Trip gesprochen und ich habe das Gefühl, wenn ich ihn mit jemand anderes antrete, würde ich ihn ersetzen wollen.“

„Oh.“ Mehr viel mir dazu auch nicht ein. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Steve wäre nicht sauer auf dich? Er würde sich für dich freuen? Nein, das konnte ich sicherlich nicht sagen. Ich kannte Steve nicht und ich hatte auch keine Ahnung, ob es Tom aufmuntern würde oder wie er darauf reagieren würde.

„Ich vermisse ihn einfach.“, sagte Tom und strich sich mit dem Handrücken über das linke Auge. Ich saß rechts von ihm, konnte es also nicht direkt sehen, aber ich vermutete, dass er versuchte die Tränen zu stoppen, die sich in beiden Augen sammelten und im linken Auge wohl drohten überzulaufen.

SchuldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt