Morgendliches Intermezzo

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Der Morgentau weckte Piroska; er setzte sich an ihren Haaren und Wimpern ab, rollte aus dem Augenwinkel ihre Nase entlang und brachte sie zum Niesen

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Der Morgentau weckte Piroska; er setzte sich an ihren Haaren und Wimpern ab, rollte aus dem Augenwinkel ihre Nase entlang und brachte sie zum Niesen. Sie öffnete träge die Augen und bemerkte, dass es noch dunkel war. Der Mond war untergegangen und noch kündigte kein Schein am Himmel die Dämmerung an. Eigentlich konnte sie noch weiterschlafen.

Moment – der Mond war untergegangen? Aber das bedeutete doch, Ylvigur war wieder Mensch!

Sie öffnete erneut die Augen und fand ihre Vermutung bestätigt. Sie war an einen weichen, warmen Wolfskörper geschmiegt entschlummert, jetzt lag sie in den Armen eines tief schlafenden, splitterfasernackten jungen Mannes. Statt erschrocken zu sein, war sie jetzt jedoch nur neugierig.

Mit Augen, Händen und Haut erkundete sie die Lage. Ylvigur hatte den linken Arm angewinkelt und die Hand unter den Kopf geschoben. Der Arm selbst diente ihr als Kissen und hatte sie in der Nacht wohl davor geschützt, mit der Wange direkt auf den Steinchen und Zweigen zu liegen, die den Boden bedeckten.

Den rechten Arm hatte er fest um ihre Schulter gelegt. Seine Hand lag leicht gekrümmt auf ihrem Hinterkopf, die Finger staken in ihrem Haar, als sei er eingeschlafen, während er ihren Kopf kraulte. Das rechte Bein ruhte schwer auf ihrer Hüfte. Piroska kam es vor, als ob er sie wie eine schützende Decke einzuhüllen suchte. Und im Schlaf hatte sie wohl auch nichts dagegen gehabt, denn sie hatte sich eng an ihn gekuschelt. Ihre rechte Hand lag zwischen ihnen auf seiner Brust, den linken Arm hatte sie ihm um die Taille gelegt. Alles in allem eine Stellung, die sie hätte erröten lassen sollen. Und als anständiges Mädchen hätte sie sich schnellstens befreien müssen. Aber dazu fand sie es viel zu gemütlich, so bei ihm zu liegen.

Sie drehte den Kopf, um ihn anzusehen. Von Ylvigurs Gesicht war nichts zu sehen, es war völlig von der schulterlangen roten Mähne verdeckt. Ihre widerspenstige Strähne war darüber gerutscht. Sie betrachtete das Bild, das sich ihren Augen bot; sie beide hatten wirklich fast dieselbe Haarfarbe. Ein wenig bräunlicher vielleicht war sein Haar, etwas mehr ins Orange spielend ihres, aber das mochte auch der Lichtreflex auf ihren Locken sein.

Sie löste die Hand von seiner Taille und strich ihm versonnen das Haar aus dem Gesicht. Im Schlaf wirkte seine Miene entspannter, aber selbst jetzt schien ein leichtes Lächeln um seine Mundwinkel zu spielen. Einen Moment zögerte sie, dann erinnerte sie sich selbst daran, was sie schon alles gewagt hatte; sie beugte sich etwas vor und küsste ganz leicht seine Lippen.

Er schlief ruhig weiter und das gab ihr den Mut, sacht über seine Wange zu streichen und mit Fingern und Augen sein Gesicht zu erforschen. Es war seltsam, wie gut sie es bereits kannte, nach diesen wenigen Tagen. Jetzt wollte sie fühlen, was sie bisher nur betrachtet hatte und sie suchte nach wölfischen Merkmalen in seinem Gesicht. Seine Augen standen leicht schräg, das war ihr gleich aufgefallen, aber sie hatte es natürlich nicht damit in Verbindung gebracht, dass er ein Werwolf sein könnte. Sie fuhr mit dem Finger über die stark ausgeprägten Jochbögen. Die Menschen der Gegend neigten ebenfalls zu kräftigen Wangenknochen, darum kam es ihr nicht so fremd vor, obwohl es bei ihm deutlicher war als bei den Menschen. Sie ließ die Finger seine Nase entlanggleiten, die vielleicht etwas zu lang und schmal war, ihr aber so gefiel. Der Nasenrücken bog sich leicht nach innen, was zur Folge hatte, dass die untere Gesichtshälfte eine Spur weit hervorragender war als bei einem Menschen. Piroska folgte dem breiten, weichen, im Schlaf leicht geöffneten Mund nach, fand das etwas spitze Kinn und spürte dann dem kräftigen Kiefer nach bis zum Ohr. Die Anzeichen waren sehr schwach, aber wenn man es wusste, konnte man sie gut erkennen. Jetzt verstand sie auch, wieso die Wachen und die Frau Großmutter Ylvigur sofort als einen Wilko ausgemacht hatten.

Das Zeichen der roten Kapuze ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt