Endlich ging die Tür auf und Piroska sah auf. Im Rahmen standen neben der Frau Großmutter ein schmächtiger, elegant gekleideter Herr und eine biedere Frau mittleren Alters. Hinter ihnen erkannte das Mädchen weitere Männer in städtischer Kleidung. Sie atmete auf; sie hatte bereits eine wilde Räuberbande erwartet. Diese gutbürgerlichen Herrschaften sahen nicht so aus, als würden sie Ylvigur und ihr etwas antun.
Die Frau trat auf Piroska zu. „Stell dich mal hin!" Die schrille Stimme tat direkt weh, der Ton war aber gar nicht so unfreundlich. Zumindest nicht so kalt wie bei der Frau Großmutter. Auch der Blick, mit dem die Frau das junge Mädchen abschätzte, war zwar intensiv, aber nicht abwertend.
Nach einer Weile nickte die Frau. „Nicht schlecht. Sehr klein, aber manche mögen das. Absolut keine Schönheit, aber gute Figur und ein apartes Gesichtchen. Die wird sich gut vermitteln lassen. Gute Arbeit hast du übrigens geleistet da in der Küche", sie gönnte Piroska sogar ein halbes Lächeln, bevor sie sich zu Ylvigur wandte, der sich nun langsam aufrichtete. Seinem Blick nach war er noch nicht ganz wieder bei sich, verstand die Vorgänge aber einigermaßen. Die Brauen waren misstrauisch gerunzelt und als die biedere Frau sich zu ihm beugte, zog er unwillkürlich die Nase kraus, winselte auf und entspannte die Gesichtsmuskeln schleunigst wieder.
„Den hast du aber ganz schön zugerichtet!"
„Bratpfanne", erklärte die Frau Großmutter und die andere lachte. „Ich sage ja, die Bratpfanne ist der beste Freund einer Frau!" Sie schob Ylvigurs Ärmel hoch und begutachtete die freigelegten Arme.
„Groß und kräftig, nicht übertrieben muskulös, eher sehnig. Sieht nach einem ausdauerndem Arbeiter aus. Nicht bewaffnet. Ist es aber gewöhnt, Waffen zu tragen", sie wies auf die hellen Spuren, welche die Messerscheiden auf der gebräunten Haut hinterlassen hatte.
„Für einen Wilko ist es auch nicht ratsam, mit Waffen die Grenze zu überqueren.", warf jemand von hinten ein. „Vermutlich haben ihm die Wachen die Messer abgenommen."
Ein anderer lachte. „Als ob ein Wilko ohne Messer ungefährlicher wäre. Wenn ihr ihn wirklich behalten wollt, lasst ihr ihn vorsorglich kastrieren. Das zähmt die Burschen besser als jede noch so robuste Fessel!"
Das hatte Ylvigur eindeutig verstanden. Er sagte nichts, aber sein Blick war überaus sprechend.
„Vorsicht, der sieht nicht aus, als würde ihm diese Aussicht gefallen", die Worte klangen undeutlich, denn ihr Besitzer hatte schon wieder eine von Ilonas Pasteten in der Hand und im Mund. Piroska war überrascht; die helle Stimme gehörte einem bulligen Kerl, dessen samtene, goldbestickte Kleidung ebenso wenig zu seinem roten, knollennasigem Gesicht passen wollte wie die etwas hohe Stimme zu dem untersetztem Körperbau. „Puh!" Der Mann spuckte plötzlich aus. „Fast hätte ich draufgebissen!" Er warf der Frau Großmutter einen ärgerlichen Blick zu. „Du hast nicht genug aufgepasst." Er hielt eine kleine Perle zwischen den dicken Fingern.
„Zeig her", ein zierlicher, älterer Herr trat zu ihm, nahm die Perle in Empfang, begutachtete sie einen Moment und nickte dann. „Sehr schön." Er öffnete seinen Beutel, steckte die Perle hinein, entnahm stattdessen einige Münzen und drückte diese der Frau Großmutter in die Hand.
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Das Zeichen der roten Kapuze ✔️
FantasyPiroska will eigentlich nur der Frau Großmutter, die im Wald lebt, neue Vorräte bringen. Aber dort geht etwas Seltsames vor. Junge Frauen verschwinden spurlos, Reisende werden ausgeraubt und die Wölfe heulen am hellichten Tag. Und ein seltsamer jun...