Kapitel 10 - Connecting hearts (3)

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Völlig außer Atem schmiss ich das Fahrrad auf den Rasen vor dem Haus meiner Großmutter.
Wieso hatte ich nochmal gedacht, es wäre eine gute Idee mit dem Rad hierher zu fahren?
Gefühlt hatte ich gerade 20 Minuten in der Hölle verbracht.
Ich hätte vielleicht mein nicht vorhandenes Fitnesslevel in die Entscheidung mit einbeziehen sollen.
Es war Jahre her, dass ich das letzte Mal Fahrrad gefahren war.
Meine Ohren schmerzten vom Wind.
Meine Waden krampften. Ich setzte mich erstmal auf die Treppenstufen und versuchte wieder Luft zu bekommen.

„That wasn't very elegant."
Ich zuckte zusammen, als ich die Stimme meiner Großmutter hörte.
Ich wollte einfach noch ein paar Minuten in Ruhe vor mich hin sterben, mich von meiner inneren Stimme mit Helene Fischers Atemlos verhöhnen lassen und mein Leben verfluchen, bevor ich klopfte. Kurz schloss ich die Augen, versuchte meine Fassung zurückzuerlangen und erhob mich.
„Hi Grandma." Mir gelang ein schiefes Lächeln. Schnell strich mir schnell die widerspenstigen Babyhaare aus dem Gesicht. Und auch wenn ich gerade genervt darüber war, dass sie mich bereits bemerkt hatte, war ich dennoch irgendwie erleichtert sie zu sehen.
„What a nice surprise." Mit verschränkten Händen stand sie in der Eingangstür. Sie lächelte.
„What brings you here?"
„I.. guess I had to get away for a while."
Sie strich ihre Bluse glatt. „Well, then put away that bike and come on in."
Oh, right." Schnell sprang ich von der Veranda und hob das Rad auf, stellte es ordentlich an den Zaun und eilte ihr hinterher ins Haus.

Grandma wohnte nicht weit vom Fluss, ihr Haus war umringt von Bäumen und fast so groß wie unseres in Berlin. Leise schloss ich die Tür und sah mich um.
Dunkle Holzmöbel und eine generell sehr antik wirkende Einrichtung, ließen es aber direkt wesentlich gemütlicher und weniger groß und leer wirken, als mein zu Hause.
Dabei war auch dieses Haus genau genommen viel zu groß für eine einzelne Person.
Ich mochte es hier auf Anhieb.

„Tea? Coffee?"
Ich zog schnell Schuhe und Jacke aus, band meinen Zopf neu und folgte ihr.
Die Küche war eine groß offene Küche mit Kücheninsel, das Wohnzimmer war genauso groß und beides trennte nur ein kleiner Essbereich.
„Coffee would be great.", erwiderte ich und ließ meinen Blick durch die großen Fenster in den Garten wandern. Alles wirkte so geordnet. Als wäre jedes Möbelstück, jeder Grashalmen und jeder Busch im Garten exakt an seinem vorherbestimmten Platz. Für mich strahlte es eine ungemeine Ruhe aus. Mein Kopf fand hier für kurze Zeit Ruhe, meine Seele ihren Frieden.
Es war so gegensätzlich zu dem rustikalen Chaos bei Joe und Paige. Irgendwas lag immer herum. Immer wenn ich Paige sah, räumte sie auf oder suchte etwas.
In dem Moment konnte ich es nicht erwarten, bis meine neuen Möbel ankamen und ich zumindest in meinen Zimmern etwas mehr Ordnung und auch Klasse in das Haus bringen konnte.
Ich verabscheute Chaos. Und diese Familie war einfach pures Chaos.
Mein Leben war seit November pures Chaos.

„Did you have anything to eat?" Meine Großmutter hatte gerade ihre Cona Kaffeemaschine aus dem Schrank hervorgeholt und füllte Kaffeepulver in den Glasfilter.
Ich gab einen verzückten Laut von mir und war in zwei großen Schritten neben ihr.
„You just saved my day!", gestand ich - das breiteste Grinsen seit Langem auf meinem Gesicht.
„And I'm starving." Ich hatte völlig vergessen etwas zu Essen, bevor ich mit dem Rad losgezogen war. Sie lachte nur. „There's some Pasta left in the fridge, if you want it."
„You're a lifesaver."

Als wir schlussendlich mit herrlich duftendem Kaffee und ich mit einem großen Teller Trüffelpasta jeder in einem Sessel saßen, war ich mir sicher, dass sich der Höllentrip hierher auf jeden Fall gelohnt hatte. Ich brauchte all meine Willenskraft mir nicht wie ein Barbar die Pasta in den Mund zu schaufeln. Es schmeckte so unfassbar gut. Während ich mein Essen in vollen Zügen genoss und im Kopf zählte, wie oft ich einen Bissen kaute, bildete ich mir ein, dass der Schatten eines Lächelns über das Gesicht meiner Großmutter huschte.

„You don't remember this place, do you?"
„No. It was a long time ago." Ich stellte meinen Teller beiseite und ließ den Blick schweifen.
Meine Erinnerungen an unsere Aufenthalte in den USA waren lediglich zusammenhangslose Fetzen. Auf einer Kommode standen ein paar vereinzelte Bilderrahmen.
Ein Bild von meinem Großvater. An ihn erinnerte ich mich am wenigsten.
Und ein Bild von mir und meiner Mutter. Ich kannte das Bild nicht.
Wie alt war ich darauf? Vielleicht drei?
Meine Großmutter folgte meinem Blick.
„You look just like her."
„At least she couldn't deny that I'm her daughter."
„I can't believe, she's not here anymore.", sagte sie leise.
Ich zuckte mit den Achseln, den Blick fest auf das Bild gerichtet. „Not much has changed for me.
Just that I am forced to live on a ranch. With Mason."
Meine Großmutter ließ ihre Tasse sinken, sah mich einen Moment schweigend an.
Ihre dunklen Augen fixierten mich mit einer Direktheit, ich konnte nicht nicht hinsehen.
„Well, I'm glad you're here. Even if it's for all the wrong reasons.", entgegnete sie schließlich.
Sie würde darauf von mir keine Antwort bekommen, das schien sie bereits zu wissen.
Somit ging sie direkt zum nächsten Thema über.
„So, how are you adjusting to the life on the ranch?"
„I don't spend much time on the ranch. Joe. Paige. Mason. They are driving me insane. Lennis is cute, though." Ich sippte an meinem Kaffee und genoss das göttliche Aroma.
Paige brauchte einen Cona Kaffeebereiter. Dringend. Oder ich musste einfach meinen eigenen Kaffee kochen. Oder öfter hierher kommen.
Letzteres war die wahrscheinlichste Variante.
„Mason would do good to spend more time with you."
„He would do good to stay the hell away from me." Ich lächelte unschuldig. Meine Großmutter seufzte. „What is it?"
Grandma schüttelte den Kopf. „Feels like Rebecca and Joseph all over again."
Ich wollte nicht über meine Mutter reden. Jedes Mal kämpfte ich gegen die aufkommende Wut, versuchte sie runterzuschlucken oder wegzuatmen. Hier war sie so präsent.
Wer hätte gedacht, dass ich mich in Amerika, weit weg von zu Hause, meiner Mutter so viel näher fühlte, als zu Hause. Andererseits interessierte es mich, was meine Großmutter zu erzählen hatte.
Ich wusste eigentlich nichts über die Kindheit meiner Mutter. Ich wusste ebenso wenig von Joe. Sie hatte kaum von ihm gesprochen. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Beiden eigentlich sehr gut ohne einander auskamen. Umso überraschter war ich, als das Testament eröffnet wurde.
Mein Blick wanderte zu den Bildern zurück. Ich konnte ein einziges Bild finden von zwei Teenagern, die meine Mutter und Joe sein könnten. Aber es war kein Bild dabei von Joe und seiner Familie.
Während ich abwägte, ob ich nachfragen wollte, ob es sicher war für mich nachzufragen oder ob ich es lieber sein ließ, wurde es plötzlich dunkel draußen und das plötzlich Prasseln des Regens gegen die Scheibe ließ mich kurz an etwas anderes Denken.
Missmutig sah ich aus dem Fenster. Ich würde wohl noch eine Weile hier bleiben, denn im Regen würde ich sicher nicht mit dem Fahrrad zurückfahren. Nicht, dass ich etwas dagegen hatte, hier zu bleiben. Ich konnte auf das gemeinsame Abendessen gut verzichten.
Zeit hatte ich also, somit entschloss ich mich doch nachzufragen.
Und meine Großmutter erzählte bis es bereits dunkel war.

Was Grandma wohl so zu erzählen hat? 🤔

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