Kapitel 5 - Merry Christmas, Darling! (4)

43 4 0
                                    

Als ich wieder wach wurde, peitschte der Regen gegen mein Schlafzimmerfenster.
Das Wetter passte perfekt zu meiner Stimmung. Müde rieb ich mir die Augen und ging rüber zum Badezimmer. Auf dem Weg dahin hielt ich inne.

„Hast du eigentlich überhaupt nichts von mir gelernt?", drang eine scharfe Frauenstimme an meine Ohren.
„Vorzugsweise nicht.", gab Joe ebenso scharf zurück.
„Das hättest du aber besser. Dann hättest du dem Mädchen diese Demütigung vor der ganzen Familie ersparen können. Ich habe dich besser erzogen!"
„Rebecca wollte, dass sie es zu Weihnachten bekommt."
„Rebecca hätte es ihr in einem würdevolleren Rahmen überreicht. Du hast Glück, dass sie genug nach ihrer Mutter kommt, dass sie erhobenen Hauptes die Situation verlassen hat."
„Was weißt du denn von Gesten, die gegebenenfalls Mitgefühl ausdrücken könnten."
„Nur weil du dich für ein bäuerliches Leben mit Paige entschieden hast, verwechsle nicht Klasse mit Kälte."
„Jedes Mal die alte Leier..." Joe stöhnte genervt.
„Immerhin hatte ich ein Kind, das etwas aus sich gemacht hat. Macht mir meine Enkelin nicht kaputt. Du schuldest ihr eine Entschuldigung!" Yes! Jemand, der mich versteht.
„Himmel, Mutter! Es tut mir leid, dass dein Vorzeigekind nicht mehr da ist und du mit mir weiter leben musst."

Ich beugte mich möglichst unauffällig über das Gelände und erhaschte einen Blick auf eine schlanke Frau mit gut frisierten grauen Haaren. Sie trug ein samtgrünes Kostüm und neben ihr wirkte Joe wie ein kleiner, wütender Junge.
Ganz offensichtlich war meine Großmutter bereits angekommen für das Weihnachtsessen. Und ganz offensichtlich kamen Joe und sie nicht wirklich miteinander aus. Ich liebte sie schon jetzt!
Mit hochgezogenen Augenbrauen und einem Mund, der schon vor Minuten offen stehen geblieben war, zog ich mich wieder zurück.
Meine Laune war schlagartig wieder auf dem aufsteigenden Ast.
Ich eilte ins Bad und sprang unter die Dusche, schlüpfte danach in mein rotes Kleid und putzte mich etwas heraus.

Um halb 3 klopfte es an meiner Tür. Nach Aufforderung steckte Lennis seinen Kopf herein.
„Essen ist fertig.", sagte er und beäugte mich kritisch. „Bist du noch sauer?"
Er erschien hinter mir im Spiegel.
„Dad meinte du wärst sauer. Also bist du es?"
„Ja, definitiv." Ich legte mir gerade eine Kette um und beobachtete ihn.
Neugierig sah er zu mir auf. „Aber warum? Das ist doch schön, dass deine Mum dir etwas geschenkt hat."
„Das würdest du nicht verstehen." Ich unterdrückte ein Seufzen. Das Kind redete zu viel.
„Lass uns runter gehen." Ich schob ihn aus dem Zimmer, um ihm keine Möglichkeit zu geben noch weitere Fragen zu stellen.

Im Essbereich im Wohnzimmer warteten bereits die Erwachsenen.
Als meine Großmutter mich sah, stieß sie einen verzückten Laut aus.
„Meine Güte, du bist so groß und so bildschön!" Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände.
„Lass dich ansehen."
„Sieht sie nicht aus wie Mason, Grandma Monia?!", warf Lennis ein.
„Mason sieht aus wie sie, Lennis. Schließlich ist Matilda älter." Sie ließ von mir ab und tätschelte ihm den Kopf.
„Tilly. Bitte." Ich lächelte.
„Wo ist Mason eigentlich?" Sie sah sich um. „Und Sam?"
„Die zocken bestimmt.", meinte Lennis schulterzuckend. „Ich hole sie."
Grandma Monia schnalzte abwertend mit der Zunge. „Immer diese sinnlose Zeitverschwendung!"
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Paige meinen Blick suchte. Ich ignorierte sie jedoch.
Diesmal fragte sie mich wenigstens nicht, ob ich hier half. Ich glaube die Antwort konnte sie sich denken.

Meine Großmutter strahlte eine ungemeine Präsenz aus. Sie war eine edle Frau, die trotz ihres Alters sehr auf ihre Äußeres Bedacht war. Sie war schlagfertig, witzig – zumindest für mich – und erhellte meinen Tag enorm. Ich erzählte ihr von meinen Karriereplänen, den Gesangswettbewerben und - als gerade keiner zuhörte - wie dringend ich meine Zimmer renovieren wollte. Sie hatte ihr Schmunzeln versucht zu verstecken, in dem sie sich mit der Serviette den Mund abtupfte.
Sie hatte mir ein kleines Päckchen zugesteckt, aus dem ich ein paar hochwertige silberne Ohrringe herausgezogen hatte mit dem dazu passenden Armband. Endlich ein Geschenk nach meinem Geschmack.

Als Paige mich fragte, ob ich ihr den Rotkohl noch einmal reichen könnte, sah ich sie das erste Mal wieder direkt an. Auch sie hatte sich etwas herausgeputzt seit heute morgen und ihre großen blauen Augen kamen nahe an den Hundeblick von Lennis heran.
Ich hielt ihren Blick fest und ich wusste, dass sie meine Wut und Ablehnung in dem Moment spürte. Sie war offenbar so in Gedanken, dass sie nach dem Rotkohl griff und beim Zurückziehen mit Ellenbogen ihren Wein umstieß. Fluchend sprang sie auf.
Ich versuchte das Schmunzeln zu unterdrücken, aber meine Mundwinkel zuckten verräterisch. Erbost sah sie mich an, als wäre ich nun daran Schuld gewesen. Mit süffisanter Miene nahm ich einen Schluck aus meinem eigenen Glas, während sie versuchte den gröbsten Schaden zu beseitigen.

Grandma Monia fuhr gegen 19 Uhr wieder nach Hause und lud mich vorher noch zu sich ein. Am Liebsten hätte ich gesagt, ich komme sofort mit und ziehe bei ihr ein. Aber da mir bewusst war, wie verzweifelt das geklungen hätte, nahm ich mir einfach nur vor sie schnellstmöglich besuchen zu fahren.
„Sieht so aus als hätte Grandma ein neues Lieblingsenkelkind." Mason rollte mit den Augen.
Es war auch nicht wirklich verwunderlich. Als ich das äußerte, sprang Joe direkt dazwischen, bevor Mason und ich wieder anfangen konnten aufeinander loszugehen.
Stattdessen verdonnerte er uns dazu Paige mit dem Abwasch zu helfen.
„Auf keinen Fall." Ich verschränkte meine Arme vor der Brust.
„Was ist eigentlich mit deinen Händen passiert?", warf Mason ein und lugte hinter Joe's Rücken hervor.
Ich streckte meine Hände aus und begutachtete meine Knöchel. Sie waren immer noch sehr rot und übersäht mit Schürfwunden, dennoch sah es nicht mehr halb so schlimm aus wie vorhin.
„Das geht dich gar nichts an.", fauchte ich. „Ich gehe nach oben."

„Tilly.", rief Onkel Joe mich zurück.
„Was?!"
„Wer heute nicht hilft, muss morgen mit im Stall helfen." Der Trick würde bei mir sicherlich nicht funktionieren.
„Als ob.", schnaubte ich und ging unberührt weiter.

HomeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt