Kapitel 7 - Divas (3)

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„Wie war dein erster Tag?"
Joe hatte mich und Mason nach der Schule wieder eingesammelt.
Ich saß auf der Rückbank des Trucks und sah mit verschränkten Armen aus dem Fenster.
Mein Bedürfnis sich mit ihm zu unterhalten, war immer noch nicht vorhanden.
„Hm.", machte ich daher nur.
„Von dem was ich gehört habe, hat Tilly sich erfolgreich Feinde gemacht."
„Was? Was hast du getan?" Joe war ehrlich irritiert.
„Au!", japste Mason, als ich ihm direkt gegen die Schulter boxte.
„Fangt nicht schon wieder an!", brummte mein Onkel.
„Ist mir doch egal, ob Kate mich hasst." Ich lehnte mich wieder zurück.
„Noch.", Mason grinste breit.
„Was kann ich denn dafür, dass sie nicht singen kann?"
„Wer ist Kate?", wollte Onkel Joe wissen.
„Das Mädel, das letztes Mal die Hauptrolle im Musical hatte. Die Blonde?" Mason formte mit seinen Händen außerordentlich große Brüste vor seiner eigenen Brust und grinste dreckig.
Ich gab einen angewiderten Laut von mir und verdrehte die Augen.
„Ja, ich erinnere mich." Er schmunzelte über seinen Sohn und richtete die Augen wieder auf die Straße.
„Jedenfalls hat Tilly ihr die Hauptrolle im Musical weggeschnappt und ehe sie sich versieht, ist sie auf dem besten Weg nach Hadestown." Ich schnaubte abfällig. Als ob ich mich von Kate in die Unterwelt verbannen lassen würde.
„Die Hauptrolle im Schulmusical?!" Onkel Joe starrte mich im Rückspiegel an. Er hätte vermutlich am Liebsten eine Vollbremsung eingelegt und sich ungläubig zu mir umgedreht.
Er war offenbar genauso erstaunt wie ich, dass ich mich bereits in Schulaktivitäten eingebracht hatte.
„Ich wusste nicht einmal, dass du singst.", brummte er in seinen Bart.
„Hätte mich auch gewundert, wenn meine Mutter das erwähnt hätte.", erwiderte ich so leise, dass kein anderer es hören konnte. Ich sah stur aus dem Fenster und studierte angestrengt die vorbeifliegende Landschaft.
„Jedenfalls wird das noch richtig lustig." Mason rieb sich die Hände. „An jeder Schule ist nur Platz für eine Diva. Kate wird dich zerstören." Genervt sah ich ihn an. „Du hast keine Ahnung wovon du redest, also halt einfach deinen Mund.", giftete ich. „Außerdem kann Kate nicht schlimmer sein als du."
Joe stöhnte auf. „Ihr zwei seid schlimmer als Rebecca und ich als Kinder."
Ich hätte auf dieses Zwangsgeschwisterverhältnis auch gut und gerne verzichtet. Als bisher sehr glückliches Einzelkind war das das Letzte, was ich wollte. Mason war mein lebendig gewordener Geschwisteralbtraum!

Als wir den Hof erreichten, sprang ich direkt aus dem Auto und hastete den Weg zum Stall hinunter. Irritiert sahen Mason und mein Onkel mir nach. „Was ist mit Mittagessen?!", rief Joe. Später. Ich hob nur die Hand. Eine Antwort zurück brüllen, wollte ich gerade sicher nicht. Nicht gegen den Wind, der hier außerhalb der Stadt einfach zehn Mal stärker und kälter war.

Auf dem Hof war für mich ungewohnt viel los. Zwischen all den Menschen und Pferden fand ich aber leider nicht das Gesicht, das ich suchte. Dafür hatte ich zwei Schatten an den Fersen kleben. Honey und Blue sprangen an mir hoch und freuten sich im Übermaß, dass ich endlich wieder da war. Erkläre mir einer die Psyche von Hunden. Ich streichelte sie nie, ich beachtete sie nicht und ich war mehr als froh, dass sie nicht im Haus schliefen. Eigentlich war ich immer nur damit beschäftigt, sie von mir wegzubekommen.
Ich steuerte direkt auf die Stallungen zu und bemühte mich nicht über die Fellbündel zu stolpern. Vielleicht hielt Sam sich ja dort auf.
Der Geruch nach Pferd mischte sich mit dem Geruch nach frischem Stroh und Heustaub.
Erschrocken wich ich zurück als ich in der Tür fast mit Jared zusammen stieß. „Mein Gott! Musst du mich so erschrecken?", fuhr ich ihn reflexartig an. Meine Hand presste sich automatisch auf mein Herz, als könnte sie das Schreckpoltern in der Brust unterbinden.
Er musterte mich von oben bis unten und grinste mich offen an. „Sorry, Honey. Wo willst du denn so schnell hin?"
Jared versperrte mir weiter den Weg und lehnte sich mit dem Arm an den Türrahmen, um noch mehr Raum einzunehmen. Ich sah ihn verständnislos an. Was sollte denn das werden?
„Ich suche nach Sam. Hast du ihn gesehen?" Ungeduldig trat ich von einem Fuß auf den anderen.
„Wofür brauchst du Sam, wenn du mich haben kannst?" Er grinste anzüglich. Automatisch wich ich noch weiter zurück und schüttelte mich angewidert.
Jared war locker 30! Flirtete der ernsthaft mit mir?
Ich wollte gerade sagen, dass ich woanders weitersuchen würde, als Sam in meinem Blickfeld auftauchte. Er kam gerade aus der Futterkammer und hielt verwundert inne, als er mich und Jared sah.

„Das ist er ja!", sagte ich mehr als Ablenkungsmanöver, welches tadellos funktionierte. Als Jared sich kurz nach Sam umsah, schlüpfte ich blitzschnell an ihm vorbei. Der Typ war irgendwie sehr unangenehm. Als ich mich noch einmal nach ihm umdrehte, zwinkerte er mir nur zu, bevor er aus dem Stall verschwand und die Hunde blieben ein Glück bei ihm. Ich atmete hörbar aus und stellte erst jetzt fest, dass ich die Luft angehalten hatte. Sam streifte mich immer wieder mit seinem Blick, in dem sich Verwunderung mit leichter Panik vermischte, als ich mit großen Schritten auf ihn zusteuerte.
„Was stimmt denn bitte nicht mit den amerikanischen Männern?" Ich sah mich noch einmal um und hatte völlig vergessen, dass ich von ihm wohl eher keine Antwort bekommen würde.
Außerdem war er einer von ihnen. Nur dass er solche widerlichen Sprüche nicht bringen konnte.
Dennoch bezweifelte ich, dass er das tun würde.

„Das Angebot, dass ich dein Klavier nutzen könnte... steht das noch?", kam ich direkt auf den Punkt. Sein Blick wurde etwas weniger panisch und er nickte heftig.
Ich sah in seine blauen Augen und konnte quasi hören, wie er dabei sagte 'Natürlich! Wann immer du möchtest." Er guckte ein bisschen wie ein aufgescheuchtes Reh, nur dass diese Augen einfach so blau waren. Sie weckten Erinnerungen an sonnige Winter bei eisigen Temperaturen.
Ruckartig unterbrach er den Augenkontakt direkt wieder und begutachtete angestrengt seine Füße, die Dreck von rechts nach links schoben. Ich zupfte an meinem Pferdeschwanz. Zurück zum Thema. „Super, Danke!", freute ich mich. „Könnte ich deinen Hausschlüssel borgen?"

Sam sah zur Seite und steckte die Hände in die Hosentaschen. Mit hochgezogenen Schultern schaute er kurz wieder zu mir, wich meinem Blick aber direkt wieder aus und ich bildete mir, ich hätte eine leichte rosa Färbung in seinen Wangen gesehen.
„Klavierspielen, wenn du zu Hause bist, ist eher nicht mein Plan. Das wäre doch für dich auch blöd.", versuchte ich mein Eindringen in seine Privatsphäre zu rechtfertigen. Die Frage war vielleicht doch etwas zu direkt formuliert gewesen. Ich schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln und hoffte, dass er sich einen Ruck geben konnte.
Er schien zu überlegen, nagte auf seiner Unterlippe.
Bekam ich jetzt auch in irgendeiner Form eine Antwort? Oder Schlüssel?
Doch Sam regte sich nicht. Ich neigte den Kopf zur Seite und versuchte seinen Blick wieder zu erhaschen, doch er guckte stur auf den Boden.
Ich sah mich um und unterdrückte ein genervtes Aufstöhnen. Lag hier irgendwo Zettel und Stift?
Man, reden konnte doch nicht so schwer sein! Wer hatte denn auch Angst vorm Sprechen?
Gerade jetzt, wo ich noch von dem Hochgefühl durchflutet wurde und mich am Liebsten sofort wieder ans Klavier gesetzt hätte, fehlte mir die Geduld dafür.

Ich durchsuchte meine Jackentaschen und zog aber nur mein Smartphone hervor, als mir plötzlich eine Idee kam. „Du kannst doch schreiben. Also... hast du ein Smartphone?", wollte ich von Sam wissen. Er nickte zögerlich und zog sein Telefon aus der Tasche. Es war schon älter, aber Whatsapp würde wohl funktionieren. Zur Not müsste er eine gute, alte Sms schreiben.
Ich streckte meine Hand aus und er gab es mir direkt, auch wenn er mich aus großen Augen anstarrte. Allerdings hatte er es nicht entsperrt, so dass ich es ihm direkt zurückgeben musste.
„Einmal entsperren, bitte!" Mit zittrigen Fingern folgte er prompt meiner Anweisung, zögerte kurz erneut, gab er es mir dann aber wieder.
„Sei nicht so skeptisch." Was dachte er denn, was ich mit dem Telefon vorhatte?
Ich tippte meine Nummer ein und speicherte. „Hier. Dann musst du nicht mit mir reden, sondern kannst mir deine Antwort schreiben."
Sam nickte geistesabwesend und wirkte leicht überfordert mit der Situation. Seine Wangen glühten, er blinzelte angestrengt. Eine Antwort würde ich wohl jetzt nicht wirklich bekommen.
Unzufrieden presste ich die Lippen aufeinander. Dann sollte er das doch nicht anbieten.
„Denk drüber nach.", sagte ich leise zu ihm und entfernte mich rückwärts laufend etwas weiter von ihm. „Achso und.. essen ist fertig." Ich versuchte mich an einem Lächeln, bevor ich mich umdrehte und mit leeren Händen zurück zum Haus ging.

❄️🌬🔥

Meine ganzen Leserlein sind wohl ins Reitforum zurückgewandert.
Noch jemand hier?

Tilly mal wieder hoch sensibel und einfühlsam. 🤭

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