Kapitel 11 - Everything changes (3)

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März

„Du wirkst gelöster."
Gegen meinen Willen musste ich lächeln.
Selbst durch den winzigen Handybildschirm war Julian wohl der aufmerksamste Mensch, den ich kannte. „Das bin ich wohl irgendwie auch.", musste ich zugeben. „Ich hasse mein Leben immer noch, aber so ist es zumindest bis ich wieder nach Hause kann, aushaltbar."
Ich seufzte und streckte meine Beine. Es war so viel passiert, ich wusste gar nicht wo ich anfangen sollte zu erzählen. Über letzten Monate hatte ich mich - für mich fast unbemerkt - in mein neues Leben eingefügt. Ich nahm an Familienessen teil – wenn auch nicht ohne ein Gesicht zu ziehen, ich besuchte meine Großmutter regelmäßig, ich hatte bereits 4 Sitzungen bei meiner Therapeutin. Mrs Barlow würde mir zwar auch nicht helfen können, aber ich ging hin und saß dort meine Zeit ab. Dazu war ich mittlerweile fester Bestandteil einer so typischen High School Clique.
„Ich bin froh, dass du scheinbar ein paar gute Freunde um dich hast."
„Die haben sich einfach angedockt und ich bin sie nicht mehr losgeworden."
„Ja, sicher." Julian grinste breit.„Deine Instagramstories sehen jedenfalls nach Spaß aus."
„Du stalkst mich also." Ich legte den Kopf schief.
„Wenn wir schon nicht so oft sprechen können, muss ich ja anderweitig informiert bleiben."
Bei Julian war es fast Mitternacht. Es war nicht leicht einen Zeitpunkt zum telefonieren abzupassen aufgrund der Zeitverschiebung. Dazu waren wir beide eben sehr eingespannt.
Wenn ich neben Schule und Musicalproben mal Freizeit hatte, saß ich an Sams Klavier oder war mit der Gang unterwegs. Wir schrieben aber immer mal wieder.
Aber es tat so gut mit jemandem von zu Hause zu sprechen, deutsch zu sprechen.
Auch ich mich hier nicht mehr so unwohl fühlte - er war immer noch der einzige, der mich wirklich kannte. Das konnte und wollte ich nicht aufgeben. Beschissene Zeiten verbinden wohl doch.
Ohne den Tod meiner Eltern hätte ich Julian wahrscheinlich wie alle anderen zuvor einfach abgeschoben, sobald er mir zu nah gekommen wäre.

„Hast du es Ihnen erzählt?", fragte er, als hätte er meine Gedanken gelesen.
Ich schwieg, ließ meinen Blick über das Footballfeld schweifen. Das war mein Ruheort geworden. In meinen Freistunden oder wenn ich genug von Menschen hatte, verkroch ich mich hier auf die Tribüne. Die Bänke heizten sich in der noch schwachen Frühlingssonne so schön auf, dass ich mich hier sogar im Top räkeln konnte.
„Nein." So gut es tat mit Julian zu reden, ich konnte hier so gelöst sein, weil niemand mich darauf ansprach.
"Nicht einmal Nataly?"
„Auch nicht Nat, nein."
Ja, wir nannten sie mittlerweile nur noch Nat. Und ich hatte mich an Til gewöhnt. Mason hatte es eh zu schön gefunden, mich damit zu nerven, also war es das Einfachste gewesen, ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen und es einfach anzunehmen. Paul war sowieso damit überfordert mehr als eine Silbe meines Namens zu benutzen.
Nat war mittlerweile so etwas wie meine beste Freundin. Wir telefonierten, wir waren kaum aus der Schule, da hatte ich schon wieder eine Nachricht von ihr und heute ging ich nach den Proben einmal zu ihr nach Hause zum Essen.
Ich hatte noch eine halbe Stunde Zeit bis der Probenwahnsinn mit Paul und Kate und der restlichen Crew losging.

Julian sagte nichts, ich konnte ihn aber denken sehen.
Er machte sein typisches Gesicht, wenn er völlig in seinen eigenen Gedanken versunken war.
„Okay, spuck's aus." Etwas genervt seufzte ich.
„Was?" Er war scheinbar wirklich tief in Gedanken gewesen oder einfach müde.
„Ich sehe doch, dass du etwa im Kopf hast, wo du noch abwägst, ob du es sagen möchtest oder nicht."
„Du kannst das sehen?"
„Du machst dann immer so ein Gesicht..." Ich versuchte seine Denkerpose nachzuahmen und wir mussten beide Lachen.
„Warum willst du es Nataly nicht sagen?"
„Ich mag es, dass ich wenigstens bei den Anderen nicht daran erinnert werde.
Leave the past in the past. Ich will einfach nicht daran denken."
„Entschuldigung, würdest du bitte mir das Sprüche klopfen überlassen?"
Ich streckte ihm die Zunge raus.
„Ich bin etwas baff, dass Mason nichts gesagt hat."
Angewidert rümpfte ich die Nase. „Er wüsste, ich würde ihn kastrieren, wenn er das tun würde. Oder direkt teeren und federn."
Das einzige, was sich nicht geändert hatte seit ich hier war, war der Hass für Mason.
Während Paul einfach dauerhaft annoying war, war Mason das doppel A – annoying asshole.
„Trotzdem... wenn sie deine Freundin ist, finde ich du solltest es ihr erzählen."
„Wozu?"
„Damit Menschen dich kennen und verstehen lernen können. Wie sollen es sonst richtige Freunde werden?"
„Blaah.. Ich bin hier eh nach der High School wieder weg."
Es war ja nicht einmal so, dass man nicht mit wirklich wenig Aufwand herausfinden könnte, dass meine Eltern nicht auf Dienstreise waren, aber bisher hatte sich niemand die Mühe gemacht zu gucken und ich hatte nicht vor sie mit der Nase drauf zu stoßen.
Julian schüttelte kaum merklich den Kopf und wechselte das Thema.
„Und die Männer?" Er wackelte mit den Augenbrauen.
„Lass das.", schalt ich ihn, musste aber wieder schmunzeln. „Keine Männer. Keine Lust."
„Whaat? Was ist da los?" Übertrieben empört hielt er sich das Handy näher vor das Gesicht, als könnte er mich dann besser sehen.
„Ich war noch nicht betrunken genug, um einen abzuschleppen." Wieder streckte ich ihm die Zuge raus. Das stimmte sogar. Neben den Alkoholregeln hier, waren wir seit der ersten Partyeskalation mit Kate nicht mehr auf einer großen Party gewesen. Und auch in der Schule hielt ich die meisten auf einer Armlänge Abstand. Den einzigen Kuss, den ich nicht verhindern können würde, wird bei den Auftritten sein, wenn ich Paul nach seiner Verwandlung vom Biest zum Prinzen küssen musste.
„Das sagen sie alle und dann bekomme ich doch einen verzweifelten Anruf, weil du schwanger bist."
„Julian!" Er lachte laut.
„Im Gegensatz zu Kate treibe ich es nicht wild in der Umkleidekabine mit einem Senior."
„Nicht wirklich?" Er hielt sich die Faust vor den Mund. „Oha."
Ich schüttelte lachend den Kopf. „Die blöde Kuh ist sich jetzt zu gut für einen Junior. Und für einen Senior muss man eben die Beine breit machen."
„Aber sie lässt dich weiter in Ruhe?"
„Bisher ja. Vielleicht hat sie einfach gemerkt, dass mit mir nicht gut Kirschen essen ist."
„Hättest du ihr vielleicht gleich so sagen sollen. Bitch, with me is not good cherry eating.
Das hätte dir ein bisschen was erspart."
„Du bist doof.", erwiderte ich lachend. „Ist mir aber herzlich egal. Die Gerüchte sind wieder abgeflacht und die Jungs hier unterscheiden sowieso nur in vögelbar oder nicht vögelbar."
„Und wir wissen beide in welche Kategorie du gehörst."
Ich legte erneut den Kopf schief, musterte ihn.
„Soso... also wann kommst du zu Besuch?" Ich zwinkerte ihm zu und beobachtete amüsiert, wie ihm das Handy aus der Hand rutschte und er leicht rot wirkte, als er es wieder eingesammelt hatte.
„Ich frag ja nur... da die amerikanischen Männer nicht so mein Ding sind."
Ich konnte mich gerade noch so davon abhalten, breit zu grinsen, während er nach der richtigen Antwort suchte.
„Julian, bist du etwa sprachlos?"
Bevor er allerdings etwas gescheites Antworten konnte, tauchte plötzlich ein weiteres Gesicht in meinem kleinen Bild in der Ecke auf.
„Who is Julian?" Erschrocken fuhr ich zusammen und drehte mich zu Paul um, der den Moment nutze und mir das Handy aus der Hand riss und sofort drei Bänke weiter nach unten sprang.
„Hello Mate!" Er winkte ins Bild. „Is he your boyfriend?", fragte er an mich gewandt.
„Paul, your not british! Stop saying 'Mate' and give me my fucking phone back!"
„You didn't anwer my question."
Ich hörte Julian lachen, als ich zu Paul fast aufgeschlossen hatte.
„Are you?", fragte Paul an Julian gewandt. Paul sprang auf den Bänken herum, um mir auszuweichen. Er war leider deutlich sportlicher als ich.
„Paul! I hate you!"
„No, you don't." Er grinste breit. „Oh, you're the german ex!", hörte ich ihn Julian antworten.
„Care to share her dirty secrets?"
„Paul, I swear, I'm going to kill you!" Ich versuchte mit einem langen Arm nach ihm zu greifen. Er wich geschickt aus, allerdings rutschte ihm dabei mein Handy aus der Hand, welches mit einem dumpfen Knall auf der Tribüne landete.
Mit offenem Mund starrte er mich an. Ich nutzte die Sekunde, sprang los und konnte mein Telefon zurückergattern. Gott sei Dank war alles ganz geblieben und Julian war immer noch auf dem Bildschirm und amüsierte sich köstlich.
Grummelnd sah ich von Paul zu Julian. „Ich mag Paul.", sagte Julian nachdem er sich mit einem langen Seufzer von seinem Lachanfall erholt hatte. „Ich gerade nicht!"
Paul kam mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen angekrochen.
„I was just curious. You never talk about your life in germany."
Julian legte vielsagend den Kopf schief. Ich presste die Lippen aufeinander.
„I have my reasons.", sagte ich und verzog die Augen zu schlitzen. „Sei ja still.", drohte ich Julian halbherzig.
Paul legte den Arm um meine Schultern, den ich sofort mit einem Schulterzucken wieder herunterbeförderte.
„Okay, ich muss zur Probe. Wir schreiben. Und schreib mir wann du zu Besuch kommen kannst. Ich bräuchte ein Promdate im Mai zum Beispiel."
Ich zwinkerte ihm grinsend zu und winkte noch einmal zum Abschied.

„Paul, you are so damn lucky my phone is not broken."
„Sorry" Er legte seinen Hundeblick auf. Diesen großen, dunklen Augen, die unter den dunklen Locken hervorblitzten, konnte an dieser Schule kaum ein Mädchen widerstehen, noch konnte ihm jemand lange böse sein. Nicht einmal ich schaffte das, auch wenn seine Anmachsprüche bei mir eher für Würgereiz sorgten. Spätestens wenn er statt Blödsinn zu quatschen, den Mund zum singen nutzte, musste man ihn wieder mögen.
„Rehearsal starts in 5.", sagte er und reichte mir die Hand.
„My backpack." Bei dem ganzen Geturne über die Bänke, hatte ich meinen Rucksack völlig vergessen.
„Let me get it." Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie Paul losgesprungen war, um mit einem kurzen Gentlemananflug seinen Blödsinn wieder gut zu machen.
„Wait, it's..." Paul wollte sich schwungvoll den Rucksack noch mit auf die Schulter schwingen, als alles herausflog und sein stolzes Grinsen genauso schnell aus seinem Gesicht verschwand, wie der Inhalt meines Rucksacks sich über die Tribüne verteilt hatte. „...open.", vervollständigte ich den Satz. Zu spät. Ich warf den Kopf in den Nacken, stöhnte laut auf. „Paul!"
Er rieb sich den Nacken und fing schnell an alles wieder einzusammeln, reichte mir kurz darauf meinen feinsäuberlich gepackten und verschlossenen Rucksack.
„I put the tampons in the front.", informierte er mich als wir nebeneinander über das Feld zurück zum Schulgebäude liefen und fing sich für den Satz direkt eine unsanfte Nackenklatsche.
„You're so violant.", jammerte er.
„You bring out the worst in me."
Er fuhr sich durch die Haare, lachte. „As long as you don't ruin my pretty face and ruin my chance with the ladies. Just focus on the back of my neck, okay? I can still cover that with hair. But then again, I don't want a red neck. I really don't want to be called a Red neck. Redneck. Ha, get it?!"
Ich rollte nur mit den Augen. „Shut up Paul!"
„What I'm saying is... I know, love is painful somethimes. But next time you want to hit me, I'm all in for some spanking."
„Paul!" Nach einem kurzen, genervten Aufschrei, legte ich einen Gang zu und hängte ihn ab.
„You can't run from me. I'm still getting that kiss from you, ma belle."
„You're like a monster, that chats his victims to deaths.", gab ich zurück.
„I prefer beast." Paul grinste breit, als er mich wieder eingeholt hatte und mir die Tür aufhielt.


Ist er nicht herzallerliebst? Freut sich noch jemand auf Besuch von Julian? 

Und ob Tilly es wohl doch mal jemandem erzählt? :D

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