Als Onkel Joe mich und Mason am nächsten Morgen vor der High School absetze, hatte ich so eisige Laune, dass ich Global Warming problemlos in Global Freezing hätte verwandeln können. Das Gefühl nicht hier sein zu wollen, aber auf der anderen Seite keine Wahl zu haben, als sich zusammen zu reißen, denn ich musste da durch, drohte mich zu zerreißen. Ich hasste es. Ich stand bewegungslos vor der Oakdale High School, einem hässlichen braunen Gebäude und Scharen an Schülern strömten an mir vorbei in das Innere der Schule.
Viele Schüler fielen sich in die Arme, wünschten sich ein frohes neues Jahr. Alle wirkten ekelhaft gut gelaunt.
Ich seufzte leise und zog meinen Pferdeschwanz fest.
Es gab einfach keinen Ausweg.
Ich musste da durch.Mason war schon lange mit ein paar schwer pubertär aussehenden Jungs verschwunden. Der war auch Gott sei Dank ein Jahr unter mir. High School und mit Mason in einem Klassenraum wäre dann doch mehr gewesen, als ich hätte ertragen können.
Als es endlich etwas ruhiger wurde, setze ich mich in Bewegung und machte mich auf die Suche nach dem Büro des Schuldirektors.
Eine zierliche Frau begrüßte mich im Vorzimmer mit überschwänglicher Freude und leitete mich zu Mr. Murray ins Büro. Der drückte kurz meine Hand und mir anschließend noch ein Gespräch auf.
Natürlich wusste er, warum ich hier war. Ich bat ihn aber das für sich zu behalten. Wenn ich etwas brauchte, sollte ich mich aber an den Vertrauenslehrer oder ihn direkt wenden. Ich hörte nur mit halbem Ohr hin, während er mir den Schulablauf und die außerschulischen Aktivitäten näherbrachte. Das amerikanische Schulsystem sah sehr viel entspannter aus als in Deutschland.
Hier gab es Kochen als Fach.
Verrückt.Ich war offiziell ein Junior.
Keine Klassen, nur Fächer. Ich musste also schnell noch entscheiden, was ich belegen wollte und dann durfte ich gehen.
Als erstes ging es los mit Englisch.
Vor dem Büro wurde ich bereits erwartet. Es war hier offenbar üblich den ersten Tag einen Mitschüler zur Seite gestellt zu bekommen, damit man sich besser einfand. Darauf hätte ich gut und gerne verzichtet.Vor mir stand ein dickbusige Blondine, die mich auf den ersten Blick an Jojo erinnerte.
Sie war etwas größer als ich, schlank aber mit deutlichen Kurven und viel zu gestyled für eine Schule in dieser öden Kleinstadt. Ein Pony bedeckte ihre Stirn und ihre giftgrünen Augen verrieten, dass sie nicht so unschuldig war, wie sie auf den ersten Blick wirkte.
„Ich bin Kate. Freut mich sehr dich kennenzulernen." Sie strecke mir ihre Hand entgegen und ihre gebleichten Zähne kamen zum Vorschein. Ihre Stimmte triefte vor geheucheltem Enthusiasmus.
„Tilly.", erwiderte ich knapp, schenkte ihr ein ebenso falsches, zuckersüßes Lächeln und registrierte mit erhobenen Augenbrauen, wie sie mich ungeniert musterte. Mit vorgerecktem Kinn sah sie auf mich herab. „Du bist hübsch.", stellte sie fest.
„Danke?" Danke, für diese Feststellung. Weiß ich. Können wir jetzt gehen?
Unbewusst reckte auch ich ein Stück das Kinn vor und straffte meine Schultern.
Ich fand sie jetzt schon eigenartig, aber einschüchtern ließ ich mich sicher nicht.
„Du kommst mir bekannt vor." Sie legte den Kopf schief und spielte nachdenklich mit einer Haarsträhne. Ich wusste, es hatte nur Nachteile Mason so ähnlich zu sehen. Allerdings beschloss ich das nicht zu erwähnen.
„Da ich gerade erst hergezogen bin, kann das wohl eher nicht sein." Ich verzog die Mundwinkel erneut zu einem gezwungenen Lächeln.
„Sollen wir...?"
Ich zeigte auf den Stundenplan und hoffte einfach, dass sie das Thema jetzt sein lassen würde. Mit einem Schulterzucken nahm sie mir meinen Stundenplan ab und studierte ihn kurz.
„Matilda?" Sie sah mich irritiert an.
„Niemand nennt mich so." Also du erst recht nicht, fügte ich in den Gedanken hinzu.
„Wir haben Englisch und Musik zusammen." Kate gab mir offenbar hocherfreut über diese Tatsache meinen Stundenplan wieder. „Komm, dann können wir ja gleich gemeinsam zur ersten Stunde."Sie erinnerte mich wirklich viel zu sehr an Jojo und ich wollte vielleicht gerade deshalb nur weit weg von ihr. Alles an ihr wirkte einfach nur fake.
Eine Freundin wie Jojo brauchte ich auch sicher nicht noch einmal. Ich spürte die Wut wieder aufflackern und schob die Erinnerungen schnell und bestimmt wieder zur Seite.
Kate hatte bereits etwas Vorsprung. Ich eilte ihr widerwillig hinterher durch die Gänge und sah mich dabei um. Es war wie im Film. Die Schließfächer, die Vitrinen, die Cafeteria, der Schulhof. Man könnte hier unproblematisch einen weiteren Teeniefilm drehen. Alles war so clichébehaftet.
„Warum hast du Musik gewählt? Spielst du ein Instrument?" Kate holte mich aus meinen Gedanken.
„Ähm, ja... Klavier. Und ich singe.", antwortete ich automatisch. Ich bereute keine Sekunde später, dass ich das ausgesprochen hatte.
„Wirklich?", quietschte Kate verzückt. „Das ist großartig. Wir brauchen dringend noch gute Stimmen für das Ensemble. Wir führen dieses Jahr wieder ein Musical auf. Ich werde sicher wieder mit Paul die Hauptrollen bekommen.", brabbelte sie los. Wer ist Paul? „Und ich durfte letztes Jahr auf dem Winterball singen. Für den nächsten Ball würde sich noch eine Backgroundsängerin sehr gut machen." Sie lachte auf mich herab. „Falls du gut genug bist."
Sie zog ihre Schultern hoch und drückte kurz meinen Arm, bevor sie die Tür zum Klassenraum öffnete und mich mit offenem Mund zurückließ.
Backgroundsängerin?!
Abgesehen davon, dass ich nicht vor hatte mich in irgendeiner Weise einzubringen - wer verbrachte denn freiwillig noch zig weitere Stunden nach Unterrichtsschluss in der Schule - ich würde ganz sicher niemals im Hintergrund Uhs und Ahs singen. Bevor ich dazu allerdings etwas erwidern konnte oder mir sicher sein konnte, dass ich darauf etwas erwidern wollte, winkte mich Kate herein.
Eine dickliche blonde Lehrerin kam auf mich zu und stellte sich als Mrs Spelling vor. Noch so ein Cliche-Name!
„Du musst Matilda von Himmelsbach sein.", sagte sie mit einem Lächeln und brach sich an meinem Namen fast die Zunge. Mir stellten sich die Nackenhaare auf bei der Aussprache.
„Nur Tilly. Bitte.", merkte ich etwas zu bissig an.
Ich nahm meinen Schal ab und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Es waren verdammt wenig Leute in der Klasse. Das war ich von Berlin anders gewohnt.
Kate hatte bereits vorne Platz genommen und deutete auf den Platz neben sich.
„Okay, Tilly. Willkommen auf der Oakdale High", Mrs Spelling legte mir eine Hand auf den Rücken. „Such dir einen der freien Plätze aus."
Ich ignorierte Kate und ging schnurstracks in die letzte Reihe und ließ mich an dem freien Tisch neben einer zierlichen Blonden mit strohigem Haar nieder. Ihre Klamotten wirkten ausgewaschen und zwei Nummern zu groß. Sie hatte große Rehaugen und sah etwas zurückhaltend zu mir herüber.
„Nataly. Hi.", flüsterte sie und lächelte.
„Hi.", gab ich knapp zurück und pellte mich aus meinem Parka.
„Tilly, möchtest du dich kurz vorstellen?"
Mrs Spelling nickte mir aufmunternd zu.
Nein. Nein, ich wollte ganz sicher nicht.
Aber auch hier hatte ich eigentlich keine Wahl. Ihre dämliche, rhetorische Frage hätte sie sich sparen können.Immer noch starrten alle mich an.
Ich strich mir ein paar lose Haarsträhnen aus dem Gesicht und ergab mich meinem Schicksal.
„Ich bin Tilly, 16 Jahre alt und komme aus Berlin.", ratterte ich herunter, doch bevor ich fortfahren konnte, fiel mir einer der Jungs direkt ins Wort.
„Berlin?! Mega! Warum kommt man freiwillig nach Oakdale, wenn man in Berlin wohnt?"
Wer hatte etwas von freiwillig gesagt?!
Ich konnte mir gerade noch auf die Zunge beißen und den Satz für mich behalten.
„Bist du eine Austauschschülerin?", wollte ein anderes Mädel wissen.
„Du bist Mason's Cousine, nicht?" Mein Blick fiel auf die Rothaarige, von der die Frage kam.
Ich legte den Kopf schief. Nein, ich sah nicht doppelt. Es gab sie tatsächlich zwei Mal.
„Ich glaube, das kann ich nicht leugnen.", antwortete ich schulterzuckend und ignorierte alle anderen Fragen.Bevor sie mich allerdings weiter ausfragen konnten, begann Mrs Spelling mit dem Unterricht und ich konnte durchatmen.
Nach der Stunde fing mich der Junge, der offenbar auf Berlin stand als Erster vor dem Raum ab. Er stellte sich als Romeo vor, definitiv afroamerikanischer Abstammung und jetzt wo er vor mir stand, fiel mir erst auf wie groß er war.
„Du musst mir unbedingt von Berlin erzählen!", platze es aus ihm heraus.
„Es ist groß und grau." Er lachte etwas zu laut.
Das war nicht einmal besonders witzig gemeint.
Kate stieß kurze Zeit später zu uns und spitzte die Lippen. Romeo beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen schnellen Kuss.
Der Blick den ich danach bekam, sagte deutlich, dass das giftgrün ihrer Augen tödlich sein konnte, wenn ich Romeo zu Nahe kam.
Als ob mich ihr Riesenfreund hier interessierte.Ich rollte nur kurz mit den Augen und fragte sie, wo wir als nächstes hin müssten.
Eine Doppelstunde Musik stand auf dem Plan.
Ich machte mich darauf gefasst mich zu Tode zu langweilen. Wir verabschiedeten uns von Romeo und gingen zu den Räumen für alle künstlerischen Aktivitäten.
Der Musikraum war noch fast leer. Wir suchten uns einen Platz. Neben Kate ließ sich ein Mauerblümchen nieder, das sich als Summer vorstellte. So viele Namen, mir war jetzt schon ganz schwindelig.
„In der ersten Stunde im neuen Jahr machen wir meist nur ein bisschen Musik und stimmen uns auf das neue Musical ein.", informierte mich Kate.
„Du musst unbedingt das Duett mit Paul nochmal singen.", warf Summer ein. „Tilly muss das unbedingt hören."
Tilly konnte auch gut darauf verzichten. Ich wusste nicht ob ich gespannt oder ängstlich sein sollte vor dem, was meine Ohren da erwartete. Ich hatte sehr hohe Standards wenn es um Gesang ging. Nicht nur bei mir selbst, auch bei anderen. Ich ertrug schlechten Gesang ganz schlecht.
„Wer ist denn dieser Paul?", fragte ich diesmal laut, als sich jemand direkt auf meinem Tisch niederließ.
„Ich bin Paul." Ich sah hoch, braune Augen blitzen mir unter dichten braunen Wuschelhaaren entgegen. Er grinste breit und erinnerte mich einen Moment lang sehr an Mason. Dieses dämliche Grinsen war hier wie eine ansteckende Kranlheit!
„Und du wunderhübscher Engel bist?" So schnell, dass ich nichts dagegen tun konnte, schnappte er sich meine Hand und küsste gentlemenlike meinen Handrücken.
Angewidert entzog ich ihm diese sofort wieder. War das sein Ernst?
„Tilly.", gab ich zurück.
Er pfiff leise durch die Zähne.
„Eine schöne Frau braucht einen schönen Namen." Sein darauffolgendes Grinsen war charmant und schelmisch, löste bei mir aber nur den Drang aus ihn von der Tischplatte zustoßen.
Die Amis sind allesamt verrückt.
Von der Seite sah ich Kates finstere Miene. Ihr gefiel das ganz und gar nicht.Paul wollte gerade zur nächsten Schleimattacke ansetzen, als er einen gepflegten Schlag in den Nacken bekam.
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Paul 🐌
Na seid ihr von den ganzen Namen genauso verwirrt wie Tilly?
Musste etwas umdisponieren.
Jetzt läufts wieder. Bin momentan nur dehr eingespannt 🙈
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Teen Fiction‚If you get lost, you can always be found' Tilly ist 16, talentierte Sängerin und Pianistin und hat große Pläne. Nach einem heftigen Schicksalsschlag ändert sich für Tilly allerdings alles. Sie muss ihr zu Hause verlassen und bei ihrem Onkel auf ei...