Kapitel 2 - Wutblase (2)

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„Kaffee?"

Es war kurz vor 6, Julian schlief noch tief und fest, als ich noch im Schlafanzug unten die Küche betrat. Julians Mutter hielt die Kanne hoch und lächelte mich an.

„Ja, bitte." Genau das brauchte ich jetzt dringend. Ich hatte kaum ein Auge zu getan und letztendlich aufgegeben. Völlig fertig ließ ich mich an dem kleinen Küchentisch fallen und sog den Duft von frischem Kaffee ein, den Julians Mutter mir soeben hingestellt hatte.

„Milch ist im Kühlschrank und Zucker steht im Wohnzimmer auf dem Tisch."

„Danke."

Sie legte mir kurz die Hand auf die Schulter und verschwand wieder nach oben.
Ich dachte kurz darüber nach den Kaffee einfach wieder schwarz zu trinken, aber ich erkannte schon am Geruch, dass dieser nicht mit unserem Kaffee zu Hause vergleichbar war. Also besser nicht. Dabei hatte ich eigentlich überhaupt keine Lust mich jetzt wieder zu bewegen.

Mit einem Ruck stand ich auf und wanderte mit meiner Tasse ins Wohnzimmer.

Julians Vater saß am Esstisch und las Zeitung.
Ich wollte gerade ein 'Morgen' von mir geben, als mir die Worte im Hals stecken blieben.

Mein Herz stolperte heftig, bevor es zu rasen begann.
Ich vergaß zu blinzeln und starrte einfach auf die riesige Schlagzeile auf der aufgeschlagenen Seite.
Beim Anblick des Titelbilds klammerte ich mich an die viel zu heiße Tasse und konnte nach kurzer Zeit nicht einmal mehr sagen, was mehr brannte – meine Augen oder meine Handflächen.

Es war unser Wagen.

Das Auto meiner Eltern lag auf dem Kopf und sah aus wie ein großer Haufen zusammengeknülltes Blech. Daneben stand ein schwarzer BMW, der ebenso völlig zerfetzt war. Mehrere LKWs waren zu sehen.

'Horrocrash auf der A10. 3 Menschen sterben'

Ich konnte nicht weiterlesen, da die Zeitung dort einen Knick machte.
Julians Vater hatte mich offenbar immer noch nicht bemerkt.

„Lars!", kam es plötzlich scharf von hinten.
Erschrocken drehte der sich um.
Julians Mutter eilte mit Julians kleiner Schwester auf dem Arm an mir vorbei während Lars – so hieß er also – hastig die Zeitung zuklappte.
Er fluchte leise und sah entschuldigend zu seiner Frau.

„Ich will es sehen."
Mein Mund war staubtrocken und ich konnte nicht mehr als flüstern. Dennoch... ich musste wissen, was in dem Artikel stand. Wieder sah Lars zu seiner Frau.

Ohne auf eine Antwort zu warten, entriss ich ihm die Zeitung und stellte meinen Kaffee auf dem Tisch ab.
Julians Mutter versuchte auf mich einzureden, damit ich das nicht tat, doch ich hörte gar nicht hin.

Meine Augen flogen bereits über den Artikel hinweg.
'Ein Lkw war auf das Stauende gerast. Der Fahrer des schwarzen BMW wurde lebensgefährlich verletzt aus seinem Auto geborgen, verstarb aber noch an der Unfallstelle.' Er war 27.
'Für das Ehepaar Thomas und Rebecca von Himmelsbach kam jede Hilfe zu spät.
Sie hinterlassen eine 16-Jährige Tochter' – mich.
Darauf folgte ein kompletter Absatz über meinen Vater, der als Unternehmer bekannt und
geschätzt worden war.
Fuck.

Sie hatten wirklich allen Ernstes ihre vollen Namen erwähnt.
Nun wusste es die ganze Welt.
Wahrscheinlich lief es auch gleich noch...

Ehe ich den Satz zu Ende denken konnte, legte ich die Zeitung weg und ging hinüber zum Fernseher, drückte auf die 1 und landete prompt bei der Tagesschau.
Pünktlich um 6.

„Der Geschäftsinhaber der Firma von Himmelsbach und Engelhardt ist tot.", hörte ich die
Nachrichtensprecherin sagen und schaltete automatisch den Ton aus.

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