Wütende Folgen

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Schwaches Sonnenlicht stach durch den wehenden Blättervorhang des Baus und warf seine Strahlen auf Shadows Gesicht. Der junge Kater grummelte müde und drehte sich weg. Ich will noch nicht aufstehen., murmelte er in Gedanken. Noch muss ich nicht. Noch. Doch plötzlich regte sich das flauschige Fell, an das er sich gekuschelt hatte. Er fuhr hoch.

"Ist alles gut, mein Kleiner.", ertönte die sanfte Stimme seiner Mutter Finsternis. "Ich gehe mir nur ein wenig die Beine vertreten. Möchtest du mitkommen?"

Shadow ließ den Kopf wieder auf seine Pfoten fallen. "Nein danke."

Finsternis schnurrte belustigt und erhob sich, sodass ungewohnt frische Luft durch Shadows Fell blies. "Nun gut, aber vergiss nicht: Heute ist deine Zeremonie. Deine Schwester ist schon seit Sonnenaufgang unterwegs und erzählt jeder Katze, die sie finden kann, dass sie jetzt sieben Monde alt ist."

Der schwarze Kater riss seine goldenen Augen auf. Ruckartig stand er auf seinen langen Beinen und starrte seine Mutter aufgeregt an. Aber natürlich! Meine Lehrlings-Ernennung. Heute Abend werde ich zum Lehrling ernannt! Wie schnell die Zeit vergangen ist.

Doch auch wenn er sich noch so sehr freute, nagten Zweifel an ihm. Töten war Shadow schon immer etwas sonderbar vorgekommen. Wenn seine Baugefährten mit Schmetterlingen oder anderen Insekten den Genickbiss übten, saß er nur daneben und schaute weg. Er konnte das nicht mit ansehen. Jedes Mal, wenn er einen Blick riskierte, wurde er von einer Welle des Schreckens überschwemmt, die ihn scheinbar mitreißen wollte.

"Shadow?" Die Stimme seiner Mutter riss ihn aus seinen Gedanken. "Geht es dir nicht gut?", fragte sie und musterte Shadow besorgt.

Dieser schüttelte heftig den Kopf. "Nein, nein. Alles in Ordnung. Ich...Weißt du, wo Mond ist? Ich glaube, ich gehe doch ein bisschen an die frische Luft."

Finsternis zuckte verärgert mit den Ohren. "Sie wollte mit Sasha den Kämpferbau unsicher machen.", seufzte sie. "Ich hoffe, sie spielen nicht wieder auf dem armen Eule Dachsreiten."

"Du hast das zugelassen?", fragte Shadow überrascht. Finsternis war eigentlich die fürsorglichste Mutter, die man sich vorstellen konnte. Und jetzt ließ sie zu, dass ihre Tochter die Kämpfer ärgerte?

Doch die getüpfelte Kätzin schnaubte nur missbilligend. "Ich nicht, aber euer Vater!" Damit tappte sie auf den Ausgang zu und verschwand mit einem leisen Rascheln des Vorhangs.

Shadow legte kurz den Kopf schief, folgte ihr dann aber schnell. Sein Vater Gewitter war genau wie seine Schwester. Er neckte zu gerne die anderen Katzen, spielte seiner Gefährtin Streiche und manchmal erzählte er Geschichten, in denen er sich in den Anführerbau geschlichen hatte, um dort eine Maus gefüllt mit Mohnsamen zu verstecken. Das ganze Lager hatte das Schnarchen gehört.

Als Shadow aus dem Bau schlüpfte, blendete ihn die Abendsonne für einige Herzschläge. Der Himmel war in ein dunkles Rot getaucht und vermischte sich nach und nach mit dem Blau und Schwarz der Nacht.

Doch plötzlich zerbrach ein lautes Jaulen die angenehme Ruhe. Erschrocken sah Shadow sich um. Was war das? Füchse? Eulen? Der Stamm des Lichtes? Die feindlichen Katzen, die an der Grenze ihres Territoriums lebten, trauten sich eigentlich nur selten in das Lager, doch angeblich sollten sie sich alle vier Blattwechsel für ihre gefallenen Katzen rächen.

Ein weiteres Jaulen ertönte. Allerdings klang es diesmal eher wütend und nicht erschrocken. "Ihr kleinen Mäusehirne! Wenn ich euch erwische, zerfetze ich euch die Ohren!"

"Wir waren das nicht!", antwortete eine weitere Stimme. Shadow erkannte sie sofort. Sie kam von seiner Schwester Mond, die scheinbar erwischt worden war. Er seufzte in sich hinein.

Zeit der Wahrheit (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt