Shadows Herz begann zu rasen. Was konnte so schlimm sein, dass selbst Düster beunruhigt war? Ist sie verschwunden? Musste er sie auch töten? Wurde sie verbannt? Ist sie...Er wagte nicht, diesen Gedanken zu Ende zu führen. "Was ist denn?", presste er hervor. Düster schwieg für ein paar Herzschläge, dann erwiderte er Shadows Blick.
"Hör zu, Finsternis geht es nicht gut. Seit Einbruch der Nacht hat sie Bauchschmerzen und seit kurzem öffnet sie Augen einfach nicht mehr. Wir haben versucht, ihr zu helfen, aber nichts wirkt."
Shadow spürte, wie seine Beine schwer wurden. Er sog scharf die Luft ein und starrte zu Boden. "Wie?" Seine Stimme war brüchig.
Düster schüttelte traurig den Kopf. "Es tut mir leid, doch das wissen wir nicht. Wir vermuten, dass sie etwas falsches gefressen hat." Seufzend drehte er sich um und musterte den Beschützerbau. "Mond ist bereits bei ihr. Wenn du willst, kannst du zu ihnen gehen."
"Was ist mit Gewitter? Weiß er davon?" Shadow konnte sich nicht vorstellen, dass sein Vater nichts von all dem mitbekommen hatte.
Der Anführer zuckte mit den Ohren und sah den schwarzen Kater mitfühlend an. "Er ist auf Patrouille. Ich habe Eule bereits losgeschickt, aber er wird wohl nicht rechtzeitig eintreffen, bevor..." Er stockte. Doch er brauchte nicht zu Ende sprechen. Shadow nickte ihm dankbar zu, dann schob er sich an ihm vorbei und stürmte auf den Beschützerbau zu.
Es war, als würde seine Welt um ihn zerbrechen. Seine Mutter konnte nicht sterben! Das konnte sie nicht! Sie durfte nicht!
Shadow musste schlucken, ehe er durch die Ranken in den Bau schlüpfte. Drinnen war es stickig und das Gefühl von Angst und Trauer lag in der Luft. Die Beschützerinnen lagen im Kreis um Finsternis Nest herum, ihre Augen geschlossen. Hätte Shadow selbst nichts gewusst, hätte er nicht mal zu Ahnen gewagt. Am Rand hockte Mond. Ihr Blick war leer und ihr Fell aufgewühlt gesträubt. Als sie Shadow bemerkte, knurrte sie. "Du bist hier nicht willkommen, Verräter."
Untergang, die Mutter von Ratte und Fledermaus, fuhr hoch. "Sie braucht Ruhe.", erklärte sie kalt. "Du kannst gleich wieder gehen." Die rote Kätzin mit den langen Beinen war ebenfalls der Meinung, dass Shadow All getötet hatte. Seit seinem Tod hatte sie ihn nicht näher als zwei Schwanzlängen an ihre Jungen herangelassen.
Neben ihr meldete Schnipp sich zu Wort, die Untergang beruhigend über den Rücken strich. "Es ist seine Mutter. Lass ihn."
Untergang schnaubte und stolzierte aus dem Bau, während sie zischte: "Deine Mutter ist eine kühne Kämpferin gewesen. Einen Sohn wie dich hat sie nicht verdient." Schnipp folgte ihr rasch.
Diese Worte gruben sich wie Krallen in Shadows Herz. Er wusste, dass sie recht hatte, immerhin hatte Finsternis ihm direkt ins Gesicht gesagt, was sie von ihm hielt. Ob ich sie trotzdem stolz gemacht habe, als ich Stellvertreter geworden bin? Vielleicht denkt sie auch, ich hätte All getötet, traut sich aber nicht, es mir zu sagen. Es wirderstrebte dem schwarzen Kater zu hoffen, schließlich wollte er eigentlich nicht, dass seine Mutter ihn für das mochte, was er an sich verabscheute. Er setzte sich neben Finsternis und ignorierte Monds wütendes Fauchen. "Kannst du mich hören?", miaute er zittrig. Keine Antwort.
Die Brust seiner Mutter hob und senkte sich brüchig, ihre Augen war geschlossen. "Wieso hast du mir nichts gesagt? Ich bin doch dein Sohn." Jetzt trat auch Mond vor. Shadow konnte die Spannung zwischen ihnen spüren, aber das zählte jetzt nicht.
"Finsternis?", hauchte seine Schwester leise. "Bitte, sag doch etwas."
Nichts geschah.
Mond schluchzte leise und senkte ihren Kopf zu Boden. Plötzlich platzte Donner, Finsternis Bruder, in den Bau, gefolgt von Tunnel. Die beiden Geschwister starrten die getüpfelte Kätzin entsetzt an.
"Was machst du nur immer für Sachen?", wimmerte Tunnel und grub ihre Nase in Finsternis' Fell. "Schon als Junges hast du ständig in Problemen gesteckt. Aber wir haben sie immer gelöst, weißt du noch? Zusammen?."
Donner trat an die Seite seiner Schwester, in seinem Blick lag tiefe Trauer. Shadow sah zu ihm auf. "Was soll ich denn nur ohne sie machen?"
Der dunkelgraue Käter leckte ihm liebevoll über die Ohren und miaute: "Du bist ihr so ähnlich, weißt du? Sie hat vieles an dich weitergebenen, auch ihren Mut und ihre Kraft. Wir stehen das durch, weil sie es auch geschafft hätte." Shadow richtete seinen Blick wieder auf seine Mutter.
Plötzlich hustete Finsternis.
Alle im Bau schnappten überrascht nach Luft und Shadow riss seine Augen auf. "Finsternis? Kannst du mich hören?" Hoffnung keimte in ihm auf. Vielleicht war es doch noch nicht zu spät! Vielleicht würde seine Mutter überleben!
Finsternis machte ein unverständliches Geräusch.
Tunnel schüttelte verzweifelt ihren Kopf. "Bitte, bleib bei uns. Du darfst jetzt nicht sterben!", bettelte sie und presste ihre Wange an die von Finsternis.
Shadow konnte spüren, wie seine Trauer ihn übermannte. Es war, als würde er taub sein. Benommen hockte er sich neben seine Mutter und berührte ihr Fell mit seiner Nase. Er schloss die Augen und sog ihren Geruch ein. Er hatte sich kaum verändert. Sie roch immer noch wie damals, als er als kleines Junges durch den Beschützerbau gejagt war und mit Mond ihre ersten Kampfzüge ausprobiert hatte. Einmal hatte Finsternis mitgespielt. Sie war eine Angreiferin vom Stamm des Lichts und wurde von ihnen zu Boden gerungen. Der schwarze Kater wusste noch genau, wie stolz ihre Augen geleuchtet hatten.
Als er seine Augen wieder öffnete, blickte er in die geröteten Augen seiner Mutter. Erschrocken wich er zurück. "Sie ist wach! Sie lebt! Sie lebt!"
Auch Monds Fell sträubte sich vor Aufregung. "Du musst jetzt stark sein. Du musst kämpfen!"
"Nebel? Bruch?", krächzte Finsternis und sah an ihren Jungen vorbei. Shadow drehte verwirrt den Kopf. Da war niemand.
"Unsere Eltern" Tunnel sah ihre Schwester mit großen Augen an. "Sie kann unsere Eltern sehen."
Shadows Kehle wurde trocken und er sah wieder auf seine Mutter hinab. Er schluckte, hoffte, damit auch seinen Kummer runter zu spülen, doch er schnürte ihm weiterhin den Hals zu, wurde noch fester.
"Ich komme zu euch.", flüsterte Finsternis und ihre Augen begannen zu leuchten. "Ich komme zu euch."
Shadow konnte ein kehliges Schluchzen nicht unterdrücken. Nein, sie soll hierbleiben. Bei mir! Sie soll hier bei mir bleiben! Ich will sie nicht verlieren.
Das Leuchten in Finsternis' grünen Augen erstarb und ihr Blick richtete sich gen Himmel. Ihre Flanke sank. Und hob sich nicht mehr.
Tunnel heulte auf und presste sich an Donner, der mit schmerzverzerrtem Gesicht schützend seinen Kopf auf ihren legte. Shadow starrte seine Mutter an. Das konnte nicht passieren. Sie musste noch am Leben sein.
Zaghaft stupste er Finsternis mit der Nasenspitze an. "Finsternis?" Er wartete, doch sie regte sich nicht. "Finsternis? Finsternis?" Er stupste sie weiter an. "Wach auf! Wach auf, Mama! Wach auf!"
Jemand versuchte, ihn von Finsternis' Körper wegzuziehen, doch Shadow stieß denjenigen weg. "Lass mich!", schrie er. "Ich muss bei ihr bleiben! Für immer! Ich verlasse sie nicht!"
In diesem Moment war alles egal. Alles. Nichts war mehr von Bedeutung. Es war, als würde Shadow der Boden unter den Füßen weggerissen werden und er in ein schwarzes Loch fallen. Schwärzer als die Nacht. Tiefer als jemals jemand gefallen ist. Es gab kein Ende. Er war dazu verdammt, für immer zu fallen. Er war für immer gefangen in dieser Finsternis.
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Zeit der Wahrheit (Abgeschlossen)
Fanfiction"Es ist deine Bestimmung, Shadow! Je eher du das akzeptierst, desto schneller kannst du ihr Leben retten!" Sobald die Sonne untergeht, erwachen die Katzen der Nacht. Unter ihnen der junge Kater Shadow. Seine einzige Aufgabe ist es zu töten. Denn un...