Unbekümmerte Herzen

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Weißes Mondlicht suchte sich seinen Weg durch die dichten Bäume des Düsterwalds und erhellte den schlammigen Weg. Shadow zog seine Lippen kraus, als die dreckigen Spritzer sein Fell sprenkelten. Es regnete bereits seit Sonnenaufgang und die Katzen vom Stamm der Nacht litten unter dem schlechten Wetter.

Düster hatte den schwarzen Kater auf seine erste eigene Jagdpatrouille geschickt, was diesem gerade recht kam. Im Lager herrschte Unruhe. Die meisten Katzen freuten sich für Shadow und beglückwünschten ihn zu seinem neuen Posten. Doch manche vertraten auch Alls Meinung. Zwar trauten sie sich nicht, sich öffentlich gegen ihn zu stellen, aber hinter seinem Rücken warfen sie ihm Verrat vor. Seufzend lief Shadow langsamer. Er musste jetzt etwas fangen, sonst würden sie ihn vermutlich auch noch als Mäusehirn bezeichnen.

Er öffnete seinen Mund. Nichts. Doch dann strömte ihm ein Geruch in die Nase. Er gehörte keiner Maus und auch keinem anderen Beutetier. All?

Erschrocken hielt der schwarze Kater an. Was könnte All hier draußen wollen, wo er doch unter Beobachtung stand? Ein Schnurren unterbrach seine Gedanken.

"Überrascht mich zu sehen?"

Shadow wirbelte herum und begegnete dem eisigen Blick des ehemaligen Stellvertreters. "Was willst du? Wo sind Eule und Sichel?"

All nickte bedächtig. "Nun, die beiden denken, ich würde mit Narbe frische Luft schnappen." Unsicher trat Shadow zurück. "Du hast Angst?", miaute der gefleckte Kater und spitzte überrascht die Ohren. "Ich hätte von einem Stellvertreter mehr erwartet." Mit einem Knurren veränderte sich etwas in seinen Augen. Er peitschte mit dem Schweif und fauchte: "Du hast mir nicht nur meinen Posten sondern auch meine Ehre genommen! Übertroffen von einem Lehrling...Kannst du dir vorstellen, wie das ist?"

Shadow schüttelte schnell den Kopf. Was sollte er jetzt antworten? "Es ist doch nicht meine Schuld, dass Düster mich für geeigneter hält." Mäusedreck! Hätte ich nur länger überlegt.

All sträubte drohend sein Fell. "Du hältst dich für besser als mich. Dabei bist du nur ein unwissendes, hilfloses Junges! Aber wer wird dir jetzt helfen?"

Bei diesen Worten lief Shadow ein Schauer den Rücken hinunter. Wollte All ihn töten? Ängstlich fing er an, den Boden mit seinen Pfoten zu kneten. "Du musst das nicht tun. Jeder weiß, dass du der bessere Stellvertreter bist.", versuchte er, den gefleckten Kater zu besänftigen. Dieser schnaubte jedoch nur abfällig.

"Deine Schleimerei kannst du dir sparen. Niemand kann dich jetzt noch beschützen."

Jaulend sprang er vor, seine Krallen ausgefahren. Geschockt ließ Shadow sich zu Seite rollen und wich so der Attacke aus. Doch er stand kaum auf den Pfoten, als All herumwirbelte und ihn mit einem Schlag erneut zu Boden beförderte. Keuchend schlug der schwarze Kater auf. Die Luft wurde von der gewaltigen Kraft aus seinen Lungen gedrückt und für ein paar Herzschläge flammte der alte Schmerz in seinem Rücken auf, der zu seinem Glück schnell wieder verschwand.

So gut er konnte, erhob er sich, duckte sich vor einem weiteren Schlag und eilte ein paar Schritte weiter von All weg. Ich könnte niemals gehen ihn ankommen. Er ist viel stärker und schneller!

Aber der gefleckte Kater gab nicht auf. Mit einem gewaltigen Satz landete er auf Shadows Rücken und hielt sich mit seinen Krallen fest. Von Schmerzen geblendet rollte der Stellvertreter sich zur Seite, wodurch er All abschütteln konnte. Als er schweratmend aufstand, fühlte es sich so an, als würde sein Körper von Stichen durchlöchert werden. "Bitte...All...Du musst aufhören."

Doch der gefleckte Kater hörte nicht. Mit einem gezielten Hieb schlug er Shadow zu Boden. "Ich werde erst aufhören, wenn du tot bist.", fauchte er. Krallen bohrten sich in die Flanke des schwarzen Katers und er schrie vor Schmerzen auf. Mit letzter Kraft holte er aus. Er spürte, wie seine Pfote etwas traf und All mit wütendem Knurren zurückwich.

Ächzend sah er auf und beobachtete, wie Blut vor dem Kämpfer zu Boden tropfte. Er hatte sein linkes Auge erwischt, welches nun von vier roten Fäden gekennzeichnet war. "Das...ist noch nicht vorbei!", rief er Shadow zu, ehe er in der Dunkelheit verschwand. Der schwarze Kater blieb allein zurück. Blut sickerte aus seinen Wunden und die Schmerzen schienen unerträglich.

"Ist da wer?", krächzte er. Doch niemand antwortete.

Plötzlich raschelte es und eine Katze kam zum Vorschein. Zuerst konnte Shadow sie nicht erkennen, aber dann verfeinerte sich das Bild zu einer Kätzin mit langem getüpfeltem Fell. Ihre grünen Augen starr auf ihn gerichtet. "Mond?"

Seine Schwester betrachtete ihn argwöhnisch. "Bitte, hilf mir.", stöhnte Shadow, doch sie reagierte nicht. Stattdessen sah sie sich das Chaos an. Der Boden war mit Blut befleckt und die Pflanzen zerrissen. "Ihr solltet nächstes Mal wo anders kämpfen. Ihr habt den Thymian zerstört. Jetzt können wir ihn nicht mehr verwenden.", miaute sie trocken.

Entgeistert starrte Shadow Mond an. War das alles, was sie dazu sagte? "Mond, hol Hilfe! Bitte!" Mit flehenden Augen und zusammengebissen Zähnen hob Shadow den Kopf. "Mond!"

Doch die getüpfelte Kätzin schnaubte wütend. "Du bist der Stellvertreter. Da schaffst du das sicher allein.", entgegnete sie kalt und wandte sich ab.

Shadow blieb die Luft weg. Seine eigene Schwester war bereit, ihn zurück zu lassen? Sie wollte ihm nicht einmal jetzt helfen?

"Du hast es nicht verdient, Stellvertreter zu sein!", fuhr diese fort. "Ist dir überhaupt bewusst, dass du weder fähig noch würdig bist, diese Ehre zu haben?" Ohne Shadow eine Chance zum Antworten zu geben, sagte sie: "Du hast es ja nicht einmal geschafft, Sasha zu retten." Sie wurde still. Für einen kurzen Moment konnte Shadow ihre Trauer spüren. Es war, als würden seine Sinne von einer Flut mitgerissen und in ihr ertränkt werden.

"Hör zu, ich-"

"Nein!" Wütend funkelte Mond ihn an. "Ich gehe jetzt ins Lager und sage Bescheid, dass du Hilfe brauchst. Aber komm nicht auf die Idee, mich noch einmal anzusprechen, verstanden?" Damit stürmte sie davon.

Der schwarze Kater blieb allein zurück. Seine Wunden schmerzten und er fragte sich, ob All auch wieder ihm Lager war. Hatte Mond ihn gesehen?

Plötzlich regte sich etwas seltsames in ihm. Es war ein unbekanntes Gefühl und stammte sicher nicht von ihm. Das muss von Mond kommen., schloss er. Dann schoss es ihm durch den Kopf. Liebe! Mond liebte jemanden. Aber wen? Mich ganz sicher nicht., erinnerte Shadow sich betrübt.

Seufzend ließ er den Kopf fallen und schloss die Augen. Er brauchte dringend Ruhe von all diesen Gedanken.

Zeit der Wahrheit (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt