Zeit der Wahrheit (Abgeschlossen)

Ein Plan

Kalter Wind blies durch Shadows Fell und der schwarze Kater legte sauer die Ohren an. Seine Pfoten waren vom ganzen Training am Vortag wundgelaufen, was ihm das Gehen noch mehr erschwerte. Nervosität kribbelte überall in seinem Körper. Seit einem halben Mond war er jetzt schon Lehrling. Bald würde er auf seinen ersten Auftrag gehen.

Vor ihm liefen munter ins Gespräch vertieft Eule und Schatten. Hinter ihm Black und Dark. Die beiden Lehrlinge tauschten sich freudig über Kampfgeschichten aus und gaben jeweils mit ihren neuesten Erfolgen an.

Shadow rollte mit den Augen, als plötzlich Schatten den Kopf drehte. "Wir sind da." Ihr Blick blieb an dem schwarzen Kater hängen. "Du kommst mit mir. Black und Dark werden mit Eule gehen."

Damit tappte sie von dem von vielen Katzen breitgetrampelten Weg hinunter und verschwand zwischen den dicht aneinander gereihten Eschen, die das gesamte Territorium des Stammes der Nacht verzierten. Mit einem letzten Blick auf seinen Freund folgte Shadow ihr. Das Blätterdach der Eschen ließ kein bisschen Licht des Mondes oder der Sterne seine Umgebung erhellen, sodass er sich konzentrieren musste, um Schatten nicht aus den Augen zu verlieren.

"Wo genau jagen wir denn?", rief er ihr zu.

Wütend wirbelte sie herum. "Willst du die ganze Beute verschrecken? Wir..." Doch plötzlich unterbrach sie ein entsetztes Jaulen. Erschrocken fuhr Shadow herum. Auch Schatten stellte ihr Schulterfell auf.

"W-was war das?", stotterte Shadow.

Aber die rotbraune Kätzin antwortete nicht. Sie rannte an ihm vorbei und zischte ein kurzes: "Folge mir!".

Überfordert lief Shadow ihr hinterher, bis sie an der Stelle waren, von der das Jaulen gekommen war. Schockiert musste Shadow feststellen, dass Darks Bein verwundet war. Aus einem tiefen Riss lief Blut und das Gesicht der jungen Kätzin war schmerzverzerrt. Eule und Black standen daneben, die Augen weit aufgerissen.

"Warum macht ihr denn nichts?", knurrte Schatten und eilte Dark zur Hilfe.

Shadow tappte auf Black zu. Sein Freund war wie erstartt, seine Augen weit aufgerissen. "Sie...sie ist an einem spitzen Ast hängengeblieben."

Auch Eule schien sich wieder gesammelt zu haben, denn er nickte bestätigend. "Tut mir leid, ich helfe sofort." Schnell sprang er an Schattens Seite und half ihr dabei, die Blutung mit etwas Moos zu stoppen. "Holt ihr die Beute, wir bringen Dark zurück ins Lager.", befahl Eule den Lehrlingen schroff.

Shadows Augen weiteten sich. "Wir können doch helfen.", bot er an.

Aber Schatten schüttelte den Kopf. "Geht.", miaute sie mit einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

Black stupste Shadow an. "Komm schon. Die schaffen das auch ohne uns." Damit drehte er sich um und tappte zwischen zwei Büschen hindurch in den finsteren Wald hinein.

Als Shadow ihm folgte, durchströmte ihn ein ungutes Gefühl. Irgendwas stimmte nicht. Vorsichtig schlich er hinter seinem Freund her, der ihn mit leuchtenden Augen anhielt. "Riechst du das?", flüsterte er. Shadow öffnete seinen Mund und der vertraute Geruch von Drossel strömte ihm entgegen. "Die wäre doch eine schöne Mahlzeit für die Jungen. Ratte und ich haben eine Wette laufen.", fuhr Black fort.

Ohne ein weiteres Wort duckte er sich und pirschte auf das Unterholz zu.

Angestrengt starrte Shadow auf das Gewirr aus Ästen. Ein brauner Federfleck tanzte hin und her und zwitscherte dabei fröhlich.

Plötzlich summte etwas lautes neben Shadows Ohr. Erschrocken maunzte er laut und schlug die Biene weg. Ein lautes Rascheln ertönte.

"Hast du Hummeln im Hirn! Oder was sollte das gerade?" Black wirbelte aufgebracht zu ihm herum. Schockiert wich der schwarze Kater vor ihm zurück und riss die Augen auf. Mäusedreck! Ich habe die Drossel verjagt!

"Es tut mir wirklich leid, Black. Ich wollte nicht-"

Black unterbrach ihn knurrend. "Ach nein? Wieso musst du immer alles ruinieren? Du willst dich doch nur in den Mittelpunkt stellen."

Verwirrt über Blacks plötzliche Wut wich Shadow zurück. "Ich habe doch gesagt, dass es mir leid tut.", miaute er fassungslos. Innerlich rumorte sein Bauch vor Wut. Wie kann er es wagen, so über mich zu sprechen? Ich habe nur diese eine dämliche Drossel verscheucht.

Mit einem Schwanzpeitschen stellte er sein Nackenfell auf. "Was hast du denn? Das kann doch jedem mal passieren.", entgegnete er möglichst ruhig.

Fauchend zeigte Black seine Zähne. "Das war doch Absicht! Du kannst es nicht ertragen, dass ich etwas fange und du nicht."

Shadow legte den Kopf schief. "Das habe ich doch gar nicht nötig. Bist du wirklich eifersüchtig, weil ich zwei Nächte im Bau bleiben musste, von unseren Stammesgefährten merkwürdig beäugt und von Natter und Wolf verspottet werde? Oder ist es doch die Verachtung, die Frost mir jede Trainingszeit schenkt?"

Blacks Augen verzogen sich zu Schlitzen. "Eifersüchtig? Auf dich? Ich kann deine Arroganz nur nicht mehr ab! Das du meinst, nur deine eigenen Leistungen wären wichtig."

Schockiert starrte Shadow den braungetigerten Kater an. Jetzt reicht es mir! Ich lass mich nicht wehrlos beleidigen. "Was ist dein Problem? Willst du unbedingt Streit anzetteln? Möchtest du..." Er stockte. Streit...

Ein ungutes Gefühl durchströmte ihn. Was hat Kralle noch gleich gesagt? Aus Freundschaft wird leicht Feindschaft? Aber das kann nicht sein! Dann hätte sie ja recht! Dann...Immer mehr Fragen und Gedanken schossen ihm durch den Kopf.

Black vor ihm schien die Geduld zu verlieren. "Ob ich Streit will? Du hast doch angefangen. Du hast die Drossel verjagt!"

Shadow rollte mit den Augen. "Du wiederholst dich.", murmelte er in Gedanken, während seine Pfoten sich unter ihm zu bewegen schienen.

Black jaulte entrüstet auf und schlug mit krallenbesetzter Pfote nach ihm.

Entsetzt duckte der schwarze Kater sich weg. Jetzt wurde auch er von unbändigem Zorn überschwemmt und fauchte Black an. "Du bist doch verrückt. Machst so einen Aufstand wegen einer Drossel. Wie kann man nur so tief sinken?" Schon als die Worte aus ihm heraussprudelten, bereute er sie. Sein Mund wurde trocken. "Ich...es tut mir-" Doch Black schüttelte knurrend den Kopf. "Lass es einfach. Du willst so einen Freund wie mich nicht. Und ich will noch brauche ich dich!"

Damit drehte er sich um und preschte ohne ein weiteres Wort davon.

Shadow sackte erschöpft zusammen. Tiefe Trauer bohrte sich in sein Herz. Wie hatte er nur sowas sagen können? Black war sein bester Freund. Ich habe mich von meiner Wut leiten lassen., erkannte er niedergeschlagen. Er dachte wieder an Kralle. Woher wusste sie, dass das passieren würde? Vielleicht weiß sie mehr, als ich ahne. Vielleicht kann sie mir helfen? Hoffnung keimte in seiner Brust auf. Und dann kann ich mich mit Black vertragen.

Zuversichtlich, seinen Freund wiederzubekommen, erhob Shadow sich und tappte weiter. Wenn nur nicht bald der erste Auftrag wäre...