Wie betäubt rannte Shadow durch den Düsterwald. Sein Blick war zwar auf den Weg vor ihm gerichtet, aber trotzdem leer. Wütend stieß er sich ab, sprang über einen umgekippten Baum und lief weiter. "Das ist nicht fair! Warum muss all das mir passieren? Warum kann es nicht-" Er stockte. Wem würde ich es gönnen, dass ihm das gleiche wie mir passiert? Er dachte nach und versuchte sich vorzustellen, bei welcher Katze es ihm am wenigsten ausmachen würde.
Schockiert bemerkte er, wie es ihm bei niemandem etwas ausmachte. Aber ein Name fiel ihm sofort ein. Mond. Shadow schluckte. Wie konnte er es seiner eigenen Schwester wünschen, von so viel Leid und Selbstzweifeln geplagt zu werden? Egal wie wütend er auf sie und sie auf ihn war, das war doch keine Lösung.
Allerdings flüsterte eine Stimme in seinem Kopf ihm zu: Sie hasst dich, obwohl es ihre eigene Schuld ist. Sie hätte auch auf Sasha aufpassen können, dann wäre all das nicht passiert. Stattdessen lässt sie es an dir aus. Welche Schwester tut so etwas? Wenn sie an deiner Stelle wäre, würde sie einsehen, welchen Fehler sie macht,
Shadow verdrängte diesen Gedanken schnell. So war er nicht und so wollte er auch nicht sein. An Sasha Tod bin ich Schuld!
Mit geschlossenen Augen sog Shadow die kühle Abendluft ein. Es roch herrlich nach frischem Gras und das Zwitschern der Vögel beruhigte ihn allmählich. Sein Atem ging langsamer und er fühlte sich, als ob eine Welle seine Gedanken von all den Zweifeln befreien würde, die ihn umgaben. Shadow öffnete seine Augen wieder. Mit nachdenklichem Blick betrachtete er den Fluss, der vor ihm mit lautem Tosen entlang rauschte.
Plötzlich hörte er Schritte hinter sich.
Erschrocken fuhr er herum und sah, dass es Black war. Sein Freund blinzelte ihm besorgt zu. "Shadow, da bist du.", keuchte er offensichtlich außer Atem.
Der schwarze Kater nickte kurz, ehe er sich wieder dem Wasser zuwandte. Doch Black blieb hartnäckig. "Das ganze Lager ist in Aufruhe. Als du weggerannt bist, hat Finsternis sich die schlimmsten Möglichkeiten ausgemalt, wie du wohl stirbst." Er machte eine Pause und rollte mit den Augen, um zu betonen, wie sehr die getüpfelte Kätzin schon wieder übertrieben hatte.
"Und was machst du jetzt hier?", fragte Shadow irritiert, als Black sich neben ihn setzte.
"Na was wohl? Dich zurück ins Lager bringen.", erklärte dieser und knuffte ihm in die Seite. "Nach einer Weile konnte Düster Finsternis Gejammer nicht mehr aushalten und hat mich und Dunkelheit losgeschickt, um dich zu suchen."
Seufzend starrte Shadow auf den Boden. "Und Mond?"
Schuldbewusst rutschte Black hin und her. "Ich bin mir nicht sicher, ob sie dein Verschwinden bemerkt hat.", murmelte er ausweichend. Shadow war klar, dass sein Freund ganz genau die Antwort kannte und sie ihm absichtlich verschwieg.
Doch genau dafür war er jetzt dankbar. "Und, kommst du nun mit?", unterbrach Black das unangenehme Schweigen. Shadow starrte auf die Wasseroberfläche. Die Wellen überschlugen sich und zerbrachen an den spitzen Steinen, das Rauschen betäubte seine Sinne.
"Ich bin noch nicht bereit, zurückzugehen.", murmelte er.
Black riss überrascht die Augen auf. "Seit wann bist du so? Ständig versinkt du im Selbstmitleid. Was ist los mit dir?"
Shadow musterte seinen Freund von oben bis unten. Was meinte er damit? "Mir geht es-"
"Nein", unterbrach Black ihn bestimmt. "Mit dir stimmt etwas nicht und ich werde erst gehen, wenn du mir verrätst, was." Als der schwarze Kater weiterhin schwieg, fuhr er fort. "Ist es wegen unseres Streits? Ich weiß wirklich nicht, was damals vorgefallen ist. Wahrscheinlich habe ich zu wenig geschlafen."
"Das ist es nicht.", murmelte Shadow leise.
"Ha!" Blacks Augen funkelten. "Dann gibt es also doch etwas, was dich bedrückt. Ich wusste es!"
Schnurrend wandte Shadow den Blick ab. Er wollte seine Sorgen nicht mit seinem Freund teilen, aus Angst, ihn damit nur zu stören. Jedoch hatte er noch nie Geheimnisse gegenüber Black gehabt und er wollte auch nicht damit anfangen.
"Liegt es daran, dass morgen Neumond ist?", riet der braungetigerte Kater weiter.
Diese Worte trafen Shadow hart in den Magen. Ach richtig, da war ja was...An das Ritual seines Stammes hatte er schon gar nicht mehr gedacht, aber jetzt? Ob ich wohl Joel wiedersehen werde? Hoffentlich hat er sich an meinen Rat gehalten. Für wenige Herzschläge dachte er an den hellen Kater zurück, den er beim letzten Neumond kennengelernt hatte. Damals hatte er ihn verschont, doch könnte er es wieder tun, wenn er ihm begegnen würde?
Als Black bemerkte, wie er nicht antwortete, miaute er: "Hey, mach dir keine Sorgen. Diesmal wirst du schon eine räudige Katze vom Stamm des Lichts zwischen die Krallen bekommen."
Shadow sah ihn zweifelnd an. "Du hast doch auch niemanden getötet.", rief er ihm in Erinnerung, doch Black schlug mit dem Schweif.
"Das hat hiermit nichts zu tun. Ist es vielleicht Mond? Macht dir ihr Schweigen zu schaffen? Dunkelheit meinte, du wärst vorhin traurig gewesen." Shadow hatte geahnt, dass sein Freund irgendwann dahinter kommen würde, aber wie sollte er reagieren?
Ohne etwas dagegen tun zu können oder zu überlegen, sagte er: "Nein, vielleicht liegt es auch nur an dem Stress, den ich wegen Frost habe."
Wenig überzeugt seufzte Black. "Kann schon sein. Sie nimmt dich wirklich zu hart dran."
"Wollen wir zurück ins Lager gehen?" Shadow erhob sich und torkelte ein paar Herzschläge unsicher hin und her, weil er so lange gesessen hatte. Der Lehrling antwortete mit einem zufriedenen Nicken und die beiden Kater tappten Seite an Seite den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Jetzt belüge ich schon meinen eigenen Freund., dachte Shadow. Wie weit soll ich noch gehen, um meine Geheimnisse zu bewahren? Vielleicht sollte ich mit Kralle darüber reden. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob sie die richtige Katze dafür ist.
Frustriert über seine eigene Unsicherheit knurrte er innerlich auf. Warum können Entscheidungen mir nicht so leicht fallen wie allen anderen? Das ist nicht fair. Vor Wut hätte Shadow am liebsten aufgejault, doch jetzt lief Black neben ihm, der von Kralle nichts wissen durfte. Aber warum eigentlich nicht? Schließlich tat er ja nichts Verbotenes, oder?
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Zeit der Wahrheit (Abgeschlossen)
Fanfiction"Es ist deine Bestimmung, Shadow! Je eher du das akzeptierst, desto schneller kannst du ihr Leben retten!" Sobald die Sonne untergeht, erwachen die Katzen der Nacht. Unter ihnen der junge Kater Shadow. Seine einzige Aufgabe ist es zu töten. Denn un...