Der erste Auftrag

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Nervös sah Shadow sich auf der Lichtung um. Die Sonne stand inzwischen sehr tief und würde jeden Moment hinter dem Düsterwald versinken und mit ihr das glühende Rot, das dem dunklen Schwarz der Nacht weichen würde. Der Lehrling sah zu Mond und Finsternis, die tuschelnd vor dem Kämpferbau saßen. Wenige Sonnenuntergänge nachdem Shadow und seine Schwester den Beschützerbau verlassen hatten, war auch Finsternis zu ihren früheren Pflichten als Kämpferin zurückgekehrt. Sie wirkt glücklich. Das Jagen und das Gefühl der Freiheit müssen ihr gefehlt haben. Mit einem freundlichen Lächeln gesellte er sich zu den beiden Kätzinnen.

Seine Schwester blinzelte überrascht, als sie ihn bemerkte. "Shadow? Wolltest du dir nicht noch einen Kampfzug von Dark ansehen?"

Finsternis horchte auf. "Dark?" Sie schnurrte. "Ich dachte immer, es wird Dunkelheit."

Shadow starrte seine Mutter entgeistert an. "Bitte, sei leise.", flehte er. "Zwischen mir und Dark ist nichts. Und zwischen Dunkelheit und mir erst recht nicht." Er erwartete einen zusätzlichen Kommentar von Mond, wie er es von seiner Schwester gewohnt war, doch die getüpfelte Kätzin murmelte nur etwas und ging nicht weiter darauf ein. Auch Finsternis ließ es damit auf sich beruhen. Sie erhob sich und nickte ihren Jungen auffordernd zu und miaute: "Kommt, ihr wollt doch nicht euren ersten Auftrag verpassen." Mit einem energischen Schweifwedeln tappte sie davon zu ihrer Schwester Tunnel, die sie mit leuchtenden Augen empfing.

Shadow seufzte. "Wäre das vielleicht eine Möglichkeit?"

Als Mond ihm nur einen bedeutungsvollen Blick zuwarf und ihrer Mutter hinterherging, folgte er ihr murrend. In seinem Kopf wirbelten seine Gedanken wie ein Sturm hin und her. Verschiedene Szenarien spielten sich ab, wie er wohl jemanden töten würde. Aber wenn sie mich zuerst töten? Er schüttelte sich. Das wird nicht passieren.

In dem Moment kam Dunkelheit auf ihn zu. In ihren glitzerte die Aufregung. "Ist das nicht unglaublich? Gleich dürfen wir die uralte Tradition unserer Vorfahren zu unserer Tradition machen."

Shadow teilte ihre Begeisterung nur wenig. "Du meinst, unschuldige Katzen töten und danach ihr Blut an unseren Pfoten ablecken?", entgegnete er trocken. Allein bei dem Gedanken daran wurde ihm übel.

Dunkelheit rollte mit den Augen. "Du musst wirklich an deiner Einstellung arbeiten." Mit einem raschen Blick auf Düster, der gerade seinen Bau verließ, zischte sie ihm zu: "Töte lieber jemanden, bevor man dich tötet." Damit lief sie zu Mond und Sasha, die ebenfalls zu ihrem Anführer hinaufblickten. Shadow ließ seine Schultern sinken. Er wusste, dass Dunkelheit recht hatte. Was würde passieren, wenn er sich nicht trauen würde, zu töten? Würde er dann selbst sterben?

Doch seine Überlegungen wurden unterbrochen, als Düster den Stamm mit einem Jaulen um die tote Esche versammelte.

"Seit ewigen Blattwechseln lebt der Stamm der Nacht jetzt schon in diesen Gebieten. Unsere Vorfahren suchten nichts als ein Leben. Ein Leben, für welches es sich lohnte zu kämpfen, und so sollte es sein. Wir führen ein Leben so unvergleichlich schön wie die Nacht, doch sind wir nicht die einzigen, die es begehren. Der Stamm des Lichts versucht schon seit unserer Gründung, uns unser Gebiet streitig zu machen und seit je her müssen wir uns gegen sie behaupten. Doch was ist das Blut einer solchen Katze für ein Preis, wenn man dafür ein Leben in Frieden erhält?"

Shadow hörte aufmerksam zu. Er hatte diese Ansprache schon oft als Junges belauscht und dennoch besorgte es ihm eine Gänsehaut, sie jetzt hier zu hören, wenn er gleich selbst diese Tradition fortführen durfte. Oder besser gesagt: Er musste.

"Jede Katze, die bereits ihre sieben Monde erreicht hat, wird heute aufbrechen.", fuhr Düster fort. "Tötet eine Katze vom Stamm des Lichts und mir und euch selber eure Treue und euren Mut." Aufgeregtes Jaulen erfüllte die Nachtluft. Shadow stimmte weniger herzhaft mit ein. Warum freuen sie sich darüber, dass sie gleich alle zu Mördern werden?

Zeit der Wahrheit (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt