Extra Kapitel

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>Etwas das scheint, muss nicht auch immer so sein.< Das hat meine Mutter mir immer gesagt, selbst an dem Tag ihres Todes. Und sie hatte jedes Mal recht, auch wenn ich das erst später erkannt habe. Vielleicht hätte ich das früher einsehen und etwas unternehmen sollen. Jetzt ist es zu spät. Das einzige, was ich noch machen kann, ist anderen die Augen zu öffnen, um all dem ein Ende zu bereiten! Die beige Kätzin mit den weißen Pfoten sah sich um. In den letzten Monden hatte sie sich bereits an den finsteren Wald und die vielen unheimlichen Gestalten gewöhnt.

Ab und zu bekam sie dennoch eine Gänsehaut, wenn der Schrei einer Katze durch das Labyrinth aus Bäumen zu ihr vordrang. Plötzlich erschienen zwei schwarze Gestalten zwischen den Schatten, als wären sie vorher eins gewesen.

Das Herz der beigen Kätzin hämmerte in ihrer Brust, als die Gestalten näher kamen und sich ihre blitzenden Augen direkt auf sie richteten. Mit einem Knurren trat die eine von ihnen vor. "Egal, wie lange es her ist - eine falsche Bewegung und ich zieh dir das Fell über die Ohren." Der braune Kater mit den hellen Tupfen fuhr drohend seine Krallen aus.

Die andere Gestalt, eine hellgraue Kätzin, legte ihm behutsam die Schwanzspitze auf die Schulter. "Ganz ruhig. Ich bin mir sicher, dass sie weiß, wo sie steht.", miaute sie und warf der beigen Kätzin mit den weißen Pfoten einen kalten Blick zu.

Diese legte die Ohren an. "Sieh es endlich ein! Er wird bald hinter deinen Plan kommen und dein wahres Gesicht sehen. Und was machst du dann, Kralle?"

Seufzend schüttelte Kralle den Kopf, ehe sie dem braunen Kater mit den hellen Tupfen zunickte. "Du kannst gehen, Dämmerung." Der Kater zögerte noch kurz, doch schließlich tappte er ohne ein weiteres Wort davon.

"Shadow wird stärker. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis-"

Kralle stöhnte genervt auf und unterbrach die beige Kätzin. "Akzeptier es endlich, Nachtigall! Wenn ich ihn unter meiner Kontrolle habe, kann mich nichts mehr stoppen und ich komme zurück." Nachtigall starrte die hellgraue Kätzin für ein paar Herzschläge schweigend an.

Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Es darf sich nicht wiederholen. "Sei vernünftig, Kralle.", sagte sie eindringlich und schlug zur Bekräftigung ihrer Worte mit dem Schweif. "Wenn du nicht aufhörst, muss ich eingreifen."

Kralle schnaubte abfällig. "Du willst mich aufhalten?", spottete sie. "Eher gebe ich freiwillig auf." Nachtigall sah zu ihren Pfoten hinunter. Die dicken Ranken, die sich um ihre Knöchel geschlungen hatten, wurden von Tag zu Tag lockerer. Bald würde sie fliehen und Shadow warnen können. Kralle schien ihre Gedanken erahnt zu haben, denn sie miaute: "Und was dann? Willst du mich töten?"

Nachtigall ignorierte ihren verächtlichen Unterton und neigte den Kopf. "Vielleicht mache ich das."

Wütend bleckte Kralle ihre Zähne. "Träum ruhig weiter, ich habe noch etwas zu tun. Und unser nächstes Treffen wird auch unser letztes sein, verstanden?", zischte sie der beigen Kätzin mit den weißen Pfoten zu.

Diese legte fragend den Kopf schief. Sie wusste, wann Kralles Geduld am Ende war, doch eine Frage hielt sich an ihr fest, wie ein Blatt bei Sturm am Baum. Warum hat sie mich nicht schon längst getötet? Etwas von ihr muss noch da drin sein. Sie blinzelte der hellgrauen Kätzin zu und lächelte. "Ich werde bereit sein."

Mit einem Fauchen wirbelte Kralle herum und verschmolz mit der Dunkelheit, als wären sie nie getrennt gewesen.

Zeit der Wahrheit (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt