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Lane

Die heutige Analysis-Vorlesung hat mir wirklich gut gefallen. Sie war gerade anspruchsvoll genug, um mich herauszufordern, aber nicht zu überfordern. Wobei letzteres ohnehin kaum je passiert.

Als ich den Hörsaal also verlasse, tue ich dies beschwingten Schrittes. Es gäbe in diesem Moment nur wenig, das mir die Laune verhageln könnte. Ein Anruf meiner Eltern brächte das vermutlich zustande, so traurig das auch klingt. Aber mein Handy bleibt still, weshalb ich zuversichtlich bin, dass meine positive Grundstimmung noch eine gute Weile anhalten wird.

Doch ich habe die Rechnung ohne die Szene gemacht, die sich mir bietet, als ich um die Ecke biege. Tanya und Beat stehen zusammen im hektisch fließenden Strom der Studenten und Studentinnen, die von A nach B eilen. Die beiden Frauen stechen heraus, da sie die Einzigen sind, die sich nicht mit ihnen bewegen. Ein Knoten bildet sich in meinem Magen, während ich sie beobachte.

Beat befindet sich gerade bei der Arbeit, der Schürze und dem Wagen mit Putzutensilien bei ihr nach zu urteilen. Ihr schießt der Dampf fast schon aus den Ohren, wohingegen Tanya ihren Spaß zu haben scheint.

Ich sollte einfach weitergehen und sie hinter mir lassen. Mit dieser Situation habe ich nichts am Hut. Das hier geht mich nichts an. Aber wieso fühlt es sich dann trotzdem so an, als würde es das?

»Mit Tanya ist nicht zu spaßen, glaub mir. Ich bin mir sicher, dass Beat nicht einmal eine Sekunde in Erwägung ziehen würde, das Gleiche für dich zu tun. Manchmal muss man einfach selbstsüchtig sein«, höre ich Drews Stimme in meinem Kopf. Wenn er hier wäre, würde er mir sagen, dass ich verdammt nochmal die Beine in die Hand nehmen und rennen soll.

Plötzlich scheppert es laut, als Tanya Beat bei den Schultern fasst und schubst, sodass diese gegen die Schließfächer hinter sich prallt. Oh, das ist nicht gut.

Instinktiv weiß ich, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, um eine Katastrophe zu verhindern. Ich lasse meinen Rucksack zu Boden gleiten und sprinte durch die mittlerweile neugierig gewordene Menge auf die Beiden zu – gerade rechtzeitig.

In allerletzter Sekunde gelingt es mir, Beats Schwinger abzufangen, den sie auf Tanya hätte sausen lassen. Diese stolpert zurück, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen. Ihre blauen Augen wirken kalt wie Eis. »Was, das lässt du einfach auf dir sitzen? Hätte ich wirklich nicht gedacht«, feixt sie. Diese Frau widert mich an.

»Was zur Hölle ist dein beschissenes Problem?«, entfährt es mir auf einmal so energisch, dass ich fast selbst zusammengezuckt wäre. Beat neben mir schielt mich verwundert an. Selbst Tanya wirkt für einen Moment aus dem Konzept gebracht. Doch das dauert nicht lange. Sie deutet mit ihrem gepflegten Zeigefinger zwischen uns beiden hin und her. »Ach, jetzt verstehe ich: Ihr habt was am Laufen! Naja, ich hätte es wissen müssen. Zwei Freaks, die perfekt zusammen passen.«

»Erstens, sind wir nicht zusammen. Und Zweitens, benimmst du dich absolut kindisch.« Ich bin froh um die Tatsache, dass meine Stimme wieder normal und ruhig klingt. »Wem sagst du das«, pflichtet Beat mir murmelnd bei und verschränkt die Arme. Tanya schnaubt überheblich. »Ist klar, Mister Taschenrechner und Lady Cholerisch. Man sieht sich.« Damit winkt sie uns ironisch zu und verschwindet zwischen den Studierenden. Weder Beat noch ich rühren uns.

Sobald die Menge beginnt, sich aufzulösen, wende ich mich Beat stirnrunzelnd zu und frage: »Mister Taschenrechner? Sollte das eine Beleidigung sein?« Sie grinst für den Bruchteil einer Sekunde, was mich an die Sonne denken lässt, die an einem bewölkten Tag kurz hervorblitzt. Sie hat ein schönes Lächeln, es gefällt mir. Ich frage mich, warum sie es nicht öfter zeigt.

»Sonderlich kreativ ist Tanya definitiv nicht. ›Lady Cholerisch‹ würde ich auch nicht unbedingt als Meisterwerk bezeichnen.« Ich stimme ihr zu. »Bin gleich wieder da«, murmle ich dann und hole meinen Rucksack zurück, den ich einige Meter entfernt habe fallen gelassen.

BeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt