Lane
Allein Dekan Winters Stimme zu hören, löst in mir einen mittelstarken Brechreiz aus. Doch als ich mich zu ihm umdrehe und ihn auch noch sehe, könnte ich ihm tatsächlich direkt vor die Füße kotzen.
Ich weiß nicht genau, was ich in seiner Mimik zu lesen erwartet habe – doch Triumph ist es gewiss nicht. Er deutet auf Beat, die Tanya noch immer am Revers gepackt hält. Mich macht es irgendwie stolz zu sehen, dass sie nicht klein beigibt. Ich weiß genau, dass Beat sie nicht geschlagen hätte. Ich weiß es einfach. Aber den kleinen Schreck hat Tanya trotzdem verdient.
»Wie ich sehe, ist es Ihnen doch nicht möglich, sich an unsere Abmachung zu halten, Miss Keller. Keine weiteren Zwischenfälle – und doch sehe ich Sie nun hier, wie Sie eine Kommilitonin bedrohen.«
Er schüttelt betont bedauernd den Kopf. »Das kann ich Ihnen natürlich nicht durchgehen lassen. Damit sind Sie leider entlassen, Miss Keller. Ihr Vater wird sehr enttäuscht sein.«
Da Beat ihn lediglich mit einem erstaunlich gefassten Ausdruck in den Augen betrachtet und nicht wirkt, als hätte sie vor sich zu verteidigen, tue ich es. »Mr Winters, Sie hätten hören müssen, was Tanya gesagt–«
Mit einer unwirschen Bewegung schneidet er mir das Wort ab. »Das ist hier absolut nicht von Belang. Handgreiflichkeiten werden auf der Ravensen University strengstens geahndet.« Er beugt sich ein Stück in meine Richtung und sagt so leise, dass Beat und Tanya es nicht hören können: »Von einer guten Erziehung konnten Sie beide scheinbar nicht profitieren. Hat Ihnen niemand beigebracht, dass man fremde Gespräche nicht belauscht?«
Bei seinen Worten erstarrt alles in mir und mein Atem bleibt in meiner Lunge stecken. Er weiß es. Er weiß, dass wir gestern alles gehört haben.
Als er in gespielt jovialer Manier seine fleischige Hand auf meiner Schulter ablegt und drückt, schüttle ich sie kurzerhand ab. Mein Blick geht an ihm vorbei zu Beat, die uns besorgt mustert.
Winters räuspert sich. »Da Sie hier auch nicht ganz unbeteiligt waren und es versäumt haben, einzugreifen, muss ich Ihnen leider mitteilen, dass Sie exmatrikuliert werden.«
»WAS?«, durchschneidet Beats Stimme die darauffolgende Stille. Ich traue mich nicht einmal, Tanya jetzt anzusehen. Von ihrem gehässigen Gesichtsausdruck würde ich einfach nur Kopfschmerzen kriegen.
»Sie können ihn nicht exmatrikulieren, er hat doch nicht mal was gemacht!«, ruft sie. Winters zuckt nonchalant die Schultern. »Das sehe ich leider anders.«
»Aber–«
»Ich sagte, das sehe ich anders. Und wenn Sie beide nicht innerhalb der nächsten zwei Stunden vom Campus gezogen sind, muss ich den Sicherheitsdienst bitten, sich darum zu kümmern. Habe ich mich klar ausgedrückt? Und Sie Miss Keller...« Er wirft einen bedeutungsvollen Blick in ihre Richtung. »... sollten besonders vorsichtig sein. Eine falsche Bewegung und ihr Vater schließt sich Ihnen in Sachen Arbeitslosigkeit an. Wir verstehen uns?«
...
Sobald Beat und ich allein in meinem Zimmer sind, beginnen wir zu diskutieren.
»Das kann er nicht machen! Dieses Arschloch will uns doch nur vom Campus haben!«, stößt sie hervor. Ich erzähle ihr, wie Winters mir das mit dem Lauschen gesagt hat und ihre hellgrünen Augen weiten sich. »Ich dachte mir schon, dass er dir irgendwas in der Richtung gefaselt hat. So ein...!«
»Arschloch?«, schlage ich vor.
»Ja!«, ruft sie und boxt in das Kissen, welches sie sich auf den Schoß gezogen hat. Schließlich seufzt sie. »Lane, es tut mir so leid.« Verdutzt blinzele ich. »Was? Wie meinst du das?«
»Wenn ich mich dieses eine Mal hätte zusammenreißen können, wärst du jetzt nicht exmatrikuliert. Das ist alles meine Schuld.«
»Bitte was? So ein Schwachsinn! Ich war ebenfalls nicht das beste Beispiel, was Selbstkontrolle betrifft. Eigentlich ist es doch sogar so, dass ich derjenige war, der bei dieser Abmachung dafür sorgen sollte, dass du besser mit den Provokationen anderer Leute umgehen kannst. Und jetzt, schau dir das an – ich hätte Tanya fast selbst vermöbelt für die Scheiße, die aus ihrem Mund kam.«
Beat seufzt. »Irgendwas stimmt nicht mit ihr. Ich glaube, Tanya hat selbst irgendwas, womit sie zu kämpfen hat. Das was sie da gesagt hat, war so irrational, dass... keine Ahnung. Es klang einfach nicht psychisch stabil. Weißt du, was ich meine?«
Ich nicke. »Schon, aber–« Sie winkt ab. »Ja, das macht's trotzdem nicht okay. Und ich war ja auch richtig sauer. Aber das ist es, was mich so nervt. Ich wusste, dass sie nicht ganz dicht ist, habe es in dem Moment realisiert... aber trotzdem konnte ich mich nicht kontrollieren. Und deshalb verlierst du jetzt deinen Studienplatz, ich meinen Job und wer weiß, was Winters meinem Vater noch androht–«
»Beat!«, unterbreche ich ihren Redeschwall. Atemlos hält sie inne. Ich nehme ihre Handgelenke in meine Hände und führe sie zu meiner Brust. »Schau mich an.« Widerwillig kommt sie meiner Bitte nach. Auch wenn der Moment nicht unpassender sein könnte, spüre ich, wie eine ganze Heerschar an Insekten in meinem Bauch beginnt, mit ihren Flügeln zu flattern. Am liebsten würde ich sie jetzt küssen... aber es gibt jetzt andere Dinge, um die wir uns kümmern müssen.
»Beat, es ist völlig egal, was du getan hättest, oder was ich getan hätte – Winters will uns vom Campus haben. Ich würde ihm sogar zutrauen, dass er Tanya dazu angestiftet hat, uns aufzulauern und zu provozieren. Aber am Ende spielt es keine Rolle, wie wir reagiert hätten, dieser kranke Mann hätte einen anderen Weg gefunden, uns loszuwerden. Verstehst du das?«
Beat seufzt, nickt jedoch widerwillig. »Ja, es ist nur...«
»Was?«, frage ich sanft. Sie meidet meinen Blick und starrt gedankenverloren an die Wand bei meinem Schreibtisch. »Ich fühle mich trotzdem scheiße, weil sie es geschafft hat, mich an den Punkt zu bringen, wo ich handgreiflich wurde. In den letzten Wochen... keine Ahnung. Ich dachte einfach, irgendwas hätte sich geändert, ich hätte mich geändert.« Sie sieht mich an, als lägen ihr noch sehr viele Worte auf der Zunge. Und bevor sie sich dazu entscheiden kann, sie herunterzuschlucken, bitte ich: »Erzähl mir mehr.«
»Naja, das klingt vielleicht verrückt, aber... wir haben immer darüber gesprochen, wie du mir hilfst, meine Aggressionen in den Griff zu kriegen. Ich glaube keineswegs, dass sich das Problem erledigt hat, versteh mich da nicht falsch. Aber auf eine Art hast du mir schon geholfen.«
Verwundert richte ich mich auf. »Wie das denn?« Sie schüttelt den Kopf, leicht lächelnd. »Irgendwie bist du mir unter die Haut gegangen, Lane Rye.« Die Röte, die sich daraufhin über ihren Nasenrücken zieht, ist zauberhaft. Ich verwende dieses Wort eigentlich nie, aber hier könnte es nicht besser passen.
Ich weiß, dass ich mir eigentlich anhören sollte, was sie mir jetzt zu sagen hat, doch ich kann nicht anders – ich ziehe Beat zu mir heran und küsse sie. Ich spüre ein leichtes Schnauben an meiner Wange und weiß, dass sie gerade ein Lachen unterdrückt. Aber als ich sanft mit der Zunge den Saum ihrer Lippen nachfahre, bricht dieses erstickte Lachen abrupt ab.
Ich weiß nicht, wann oder wie genau das passiert ist. Aber plötzlich sitzt Beat auf meinem Schoß und schlingt ihre Beine um meine Mitte. Ich ziehe sie noch näher zu mir heran und vergrabe dann die Hände in ihren kurzen Haaren. Mir schwirrt der Kopf und ich kann mich gerade noch davon abhalten, sie von mir zu schieben und die Haut an meinem Arm zu kneifen. Träume ich? Das hier fühlt sich so unreal an. Und doch schmeckt Beat sehr real. Irgendwie nach Himbeeren, etwas Undefinierbarem und–
Plötzlich klopft es an der Tür. Wir lösen uns widerwillig voneinander und sie murmelt: »Du solltest aufmachen. Vielleicht ist es was wegen–«
»Ehrlich? Ist mir egal«, bringe ich atemlos hervor. Doch Beat kennt mich gut genug um zu wissen, dass ich zu neugierig bin. Deshalb klettert sie nachsichtig lächelnd von mir herunter und nickt zur Tür. »Mach schon auf.«
Ich gebe ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und erhebe mich. Doch auf dem Weg zur Tür erstarre ich, als eine mir nur zu bekannte Stimme durchs dünne Holz dringt. »Mr Rye? Sind Sie da?« Mit weit aufgerissenen Augen fahre ich zu Beat herum und flüstere: »Das ist dein Dad!«
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Beat
ChickLitBeatrice Keller, genannt ›Beat‹, denkt nicht nach, bevor sie redet - sondern schlägt zu. Lane denkt mehr, als er spricht. Zumindest, bis er Beat begegnet. Als diese aufgrund ihrer aggressiven Verhaltensweisen vom Studiendekan ein Ultimatum gestellt...