Lane
Als sich die Eingangstür öffnet, durch welche ich so viele Jahre meines Lebens getreten bin, blickt mir mein kleiner Bruder Fran entgegen. Seine Brauen heben sich überrascht und er lacht auf. »Laney, du hier?«
»Nein, ich bin nur ein Hologramm«, entgegne ich trocken, was ihm ein belustigtes Schnauben entlockt. »Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich nicht glauben, dass mein Bruder sowas wie einen Sinn für Humor entwickelt hat.« Sein Blick schweift zu Beat. »Ich gehe davon aus, dass du dafür verantwortlich bist.« Sie wiegelt den Kopf. »Gewissermaßen.« Fran nickt. »Dann ein herzliches Dankeschön an dich. Ich back dir einen Kuchen.«
»Aber deine Kuchen schmecken schrecklich«, merke ich an. »Dich hat keiner gefragt«, entgegnet er mit einem ironischen Zucken im Mundwinkel wie aus der Pistole geschossen, die Augen noch immer auf Beat gerichtet. Sie lacht. Ich zucke die Schultern und murmle: »Guten Appetit im Voraus.«
»Guten Appetit im Voraus«, äfft Beat mich nach, was mich losprusten lässt. Frans Brauen wandern abermals in die Höhe. »Ich sehe schon, ihr Zwei... ergänzt euch.« Er betrachtet uns beide eingehend, dann kneift er kritisch die Augen zusammen. »Ist alles gut bei euch?« Ich seufze. »Naja. Lass uns erstmal zu Mom und Dad reingehen, dann muss ich es nicht zweimal erzählen.« Er wirkt, als wollte er widersprechen. Doch dann hebt er kurz die Schultern, dreht sich um und betritt den Flur. Wir folgen ihm und ich schließe die Tür hinter uns.
»Sind Mom und Dad überhaupt da?«, frage ich. Im Gehen dreht mein Bruder sich zu mir um und antwortet: »Ja, in der Küche.« Als hätten sie uns gehört, stecken beide auch prompt die Köpfe aus dem Türrahmen. Ein Strahlen macht sich auf dem Gesicht meiner Mutter breit als sie uns sieht. »Oh, wie schön! Das ist aber eine Überraschung.« Mein Dad pflichtet ihr lächelnd bei.
Natürlich freuen Beat und ich uns ebenfalls, hier zu sein – aber ich denke, man sieht uns an, dass etwas nicht ganz in Ordnung ist. Deshalb weicht das breite Grinsen meiner Mutter auch bald einem besorgten Stirnrunzeln. »Was ist passiert?«
...
Nachdem wir uns alle um die Küchentheke gedrängt und an den frisch gebackenen Cookies in der Mitte bedient haben, erzählen Beat und ich die Sache mit der Ravensen und Winters.
Meine Eltern und Fran reagieren wie erwartet auf das Erzählte und sind furchtbar wütend, aber auch gleichzeitig besorgt. Den Teil mit Lillian und dem ganzen Rest lassen wir natürlich aus, da... nun ja. Meine Eltern brauchen das nicht zu wissen. Außerdem denken sie ja immer noch, dass wir schon seit Wochen ein Paar sind, also...
Stimmt. Darüber müssen Beat und ich auch noch reden. Ich nehme mir fest vor, das heute mit ihr zu besprechen. Allein bei dem Gedanken wird mir zwar vor Nervosität übel, doch ich weiß, dass ich das durchziehen muss. Wenn sie am Ende sagen sollte, dass sie nach Lillian nicht bereit ist, mit mir auszugehen, dann verstehe ich das – aber ich muss einfach wissen, woran ich mit Beat bin.
Für Beat und mich wurde scheinbar wieder das gleiche Zimmer eingerichtet mit derselben Matratze... nur dass mir diesmal bei dem Gedanken, neben ihr zu schlafen, nicht der Angstschweiß ausbricht. Im Gegenteil, irgendwie freut es mich sogar. Nicht, dass ich überhaupt nicht nervös wäre, aber ich habe einfach das Gefühl, sie nun besser zu kennen als damals. Ich denke, umgekehrt geht es ihr mit mir genau so.
»Lane, du kannst so lange bei uns bleiben, wie du möchtest. Wir wissen, dass es zu dieser Zeit des Semesters nicht einfach ist, etwas zu finden«, versucht mein Vater mir gut zuzureden. Ich verziehe resigniert den Mund. »Das ist zu keiner Zeit einfach. Aber Danke euch, ich weiß es zu schätzen.« Seit Beat und ich ›zusammen‹ sind, fühle ich mich in der Gegenwart meiner Eltern wieder wohler – dennoch bedeutet das nicht, dass ich wieder bei ihnen leben möchte. Allein der Gedanke beengt mich. Ich werde schon eine Lösung finden. Im Notfall schlafe ich auf Beats Schreibtischstuhl, sofern sie mich lässt.
Meine Mutter wendet sich an sie. »Falls du nach einem Job suchst, hätte ich da vielleicht eine Idee. Kennst du den Coffeeshop am Kreisverkehr nicht weit von der Ravensen?« Beats Augen weiten sich. »Ja, da wollte ich mich bewerben!« Meine Mom zwinkert. »Sehr gut. Ich kenne die Besitzerin und kann ein gutes Wort für dich einlegen.«
»Das wäre wirklich sehr lieb. Vielen Dank, Rissa!«
Sie winkt ab. »Nicht dafür.«
Wir verbringen den restlichen Nachmittag und Abend im Grunde genommen nur mit Reden, Essen und Trinken. Mein Vater verträgt fast keinen Alkohol – bei ihm reicht es schon für die Volltrunkenheit, wenn er eine Weinflasche nur von der Seite anschielt. Wir restlichen vier in der Runde haben uns zwei Flaschen Chardonnay geteilt, wobei die zweite Flasche nicht ganz leer geworden ist. Trotzdem: Ich würde behaupten, wir alle haben einen ordentlichen Schwips, zumal Dad sich dann doch von Mom für ein Glas hat breitschlagen lassen.
Nachdem wir uns alle Gute Nacht gesagt haben und ich mit Beat die Treppen nach oben steige, dreht sich mein Kopf noch immer. Auch sie wirkt etwas unsicher auf den Beinen. »Alles okay?«, frage ich lachend über die Schulter. Sie hält sich den Kopf und umfasst das Gelände. »Geht, geht«, versichert sie mir dennoch grinsend.
Etwa eine halbe Stunde später liegen wir geduscht und mit frisch geputzten Zähnen nebeneinander auf derselben Matratze wie beim letzten Mal. Auch die Lampe neben dem provisorischen Schlafplatz ist die gleiche. Ich stütze mich auf den Ellenbogen und beobachte Beat dabei, wie sie sich die schwarz glitzernden Socken auszieht. Als sie meinen Blick bemerkt, hebt sie eine Braue. »Fußfetisch, oder was?« Noch vor einigen Wochen wäre ich nach dieser Bemerkung dunkelrot angelaufen. Doch jetzt schüttle ich nur leise lachend den Kopf. Mittlerweile fühlt es sich so an, als hätten wir uns eingespielt, Beat und ich. Als wären wir ein Team, das jede Bewegung des anderen voraussagen kann.
Mein Lachen verstummt und ich hole tief Luft. »Hör mal, Beat. Ich... möchte mit dir über etwas reden.« Sofort verschwindet das belustigte Funkeln aus ihren Augen und sie wird ernst. »Okay...?« Ich versuche mich an einem beruhigenden Lächeln, welches allerdings – ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen – ziemlich in die Hose geht. Kein Wunder, da ich gerade so richtig nervös werde. Was, wenn sie keine Beziehung will? Wenn sie mich gar nicht mehr sehen will, nachdem ich ihr gestehe, dass ich–
»Lane Rye, du rückst jetzt sofort mit der Sprache raus, oder ich rasiere dir im Schlaf die Augenbrauen!«, droht sie mir mit erhobenem Zeigefinger.
»Äh, ja! N-nein, nicht meine Augenbrauen!«, stammele ich und lege mir prompt resigniert die Hand über die Augen. Ich bin so ein Volldepp. »Ich will mit dir zusammen sein«, murmle ich schließlich, noch immer mit geschlossenen Augen.
Als es nach mehreren Sekunden immer noch still ist, hebe ich zaghaft den Blick. Beat schaut mich an, wie ich vermutlich mathematische Gleichungen anschaue, die ich nicht lösen kann. Keine Ahnung, ob das gut oder schlecht ist. Vermutlich letzteres.
»Lane, das... echt?«, bringt sie dann hervor.
Ich nicke hastig. »Ja! Also, nur wenn du willst.«
»Ich muss ehrlich sagen, dass ich das nicht erwartet habe.«
»Verstehe ich. Immerhin ist unsere Fake-Beziehung von vornherein entstanden, weil ich keine Freundin wollte.«
»Genau... warum...? Ich meine... naja. Warum jetzt doch?«
Ich fühle, wie mein vom Wein ohnehin erhitztes Gesicht noch wärmer ist. Sag es ihr. Sag's ihr einfach. Ich nehme einen tiefen Atemzug, dann beginne ich mit meiner Erzählung.
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Beat
ChickLitBeatrice Keller, genannt ›Beat‹, denkt nicht nach, bevor sie redet - sondern schlägt zu. Lane denkt mehr, als er spricht. Zumindest, bis er Beat begegnet. Als diese aufgrund ihrer aggressiven Verhaltensweisen vom Studiendekan ein Ultimatum gestellt...