Lane
Ich glaube, ich hätte wirklich nichts Dümmeres tun können, als Beat zu küssen. Aber in dem Moment, als wir uns so nahe waren, habe ich einfach eine Verbindung gespürt. Ich konnte das nicht ignorieren, zumal es mich auf einmal zu ihr hinzog, wie das Meer zum Mond.
Auch wenn ich bereits einen Vorgeschmack auf einen Kuss bekam, als wir vor meinen Eltern das glückliche Pärchen gespielt und sie mich auf den Mundwinkel geküsst hat. Allein das hat mich schon komplett von den Socken gerissen. Den Vorfall habe ich seither erfolgreich aus meinen Gedächtnis verbannt.
Doch das hier? Ein komplett anderes Kaliber.
Ich habe noch nie zuvor etwas wie das hier gefühlt. Es ist, als wären endlich zwei Puzzleteile, von denen ich nicht wusste, dass sie zusammengehören, eingerastet.
Beats Lippen öffnen sich leicht und unter meinen Händen fühlt es sich an, als würde sie plötzlich ganz weich werden. Völlig überraschend graben sich ihre Zähne in meine Unterlippe und eine Gänsehaut breitet sich Lauffeuer-artig über meinem gesamten Körper aus. Ich schlinge meine Arme fester um ihre Mitte und vertiefe die Kuss. Es rumpelt leicht, als wir dabei gegen ihren Wagen stoßen, doch das nehme ich nur am Rande wahr.
Ich lasse meine Hand unter ihr Shirt wandern und stöhne leise auf, als ich ihre weiche Haut an meiner spüre. Fragend halte ich inne, doch Beat ergreift meine Hand mit ihrer und schiebt sie energisch nach oben, was mich schmunzeln lässt.
Doch gerade als es anfängt, richtig interessant zu werden, höre ich plötzlich eine entgeisterte Stimme. »Was soll das?« Besagte Stimme kommt mir vage bekannt vor, doch ich kann sie nicht ganz einordnen. Erst als ich mich von Beat löse und zur Seite blicke, erkenne ich, warum genau mir diese Stimme so bekannt vorkommt.
Vor uns steht Lillian, einen Ausdruck kompletter Fassungslosigkeit auf dem Gesicht, und starrt uns mit offenem Mund an. Ihre Augen huschen fahrig zwischen uns beiden hin und her. Nicht gut.
Doch dann sagt sie etwas, das mich komplett aus dem Konzept bringt.
»So sollte das nicht laufen!«
Auch Beat neben mir runzelt jetzt die Stirn, scheint jedoch noch immer zu tief in ihren aufkommenden Schuldgefühlen, Lillian betrogen zu haben, versunken zu sein. Ich jedoch merke, dass irgendwas nicht ganz stimmt.
Sie fährt sich durch die Haare und selbst in der anbrechenden Dämmerung kann ich sehen, wie sich rote Flecken auf ihren Wangen bilden. Mit einer unwirschen Bewegung schiebt sie sich das modische Brillengestell auf dem Nasenrücken hoch und deutet mit einem zitternden Finger auf uns beide. »Das war nicht geplant!« Ich glaube, Lillian weiß gerade selbst nicht ganz, wo ihr der Kopf steht. Sie scheint auf jeden Fall sehr wütend zu sein, doch etwas sagt mir, dass mehr dahinter steckt, als das Gefühl betrogen worden zu sein. Es ist wie eine Zeichnung zu betrachten, bei welcher man nicht genau bestimmen kann, wo die Proportionen nicht stimmen.
Irgendwas an Lillians Verhalten macht mich stutzig.
Ich schiele zu Beat und sehe, dass sie immer noch wie versteinert wirkt. Also ergreife ich das Wort – etwas, worin ich für gewöhnlich grandios schlecht bin. »Lillian, es tut uns leid, dass du das sehen musstest. Entschuldigung, dass du betrogen wurdest. Es war nicht geplant und das erste Mal, das verspreche ich dir.« Bei meinen Worten winkt sie bloß ab, als würde sie eine lästige Fliege verscheuchen.
»Darum geht es doch gar nicht! Ich hatte einen Plan und du Schleimscheißer bist mir durch die Parade gefahren!« Verdutzt blinzele ich. »Einen Plan?« Lillian lässt den Kopf in den Nacken fallen und stöhnt genervt. »Ja, einen Plan. Ursprünglich wollte ich mich an der da...«, sie nickt abfällig zu Beat, »... rächen, weil sie mir Erstens, die Beziehung versaut und Zweitens, ins Gesicht geschlagen hat! Aber dann habe ich Idiotin doch angefangen, sie zu mögen und tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, es einfach gut sein zu lassen.« Humorlos lacht sie auf. »Tja, scheint, als hätte da jemand den Spieß umgedreht.«
»Was... wovon redest du?«, stammelt Beat hilflos. Ich habe sie noch nie so neben sich stehen gesehen. Lillian blitzt sie wütend an. »Ach, hör doch auf! Hast du wirklich geglaubt, ich vergesse es einfach, dass du mich ins Gesicht geschlagen hast und alles ist wieder super toll? Also wirklich.«
»I-ich dachte, wir haben uns ausgesprochen und–«
»Wow, du bist wirklich naiver, als ich angenommen habe. Meine verdammte Beziehung ist wegen dir in die Brüche gegangen, hallo?! Laura hat mich mit dir betrogen und du denkst wirklich, dass... ach, vergiss es.«
»Moment, du hast mir nie gesagt, dass–«
»Natürlich habe ich es dir nicht gesagt, du dumme Nuss! Sonst hättest du mir doch in hundert Jahren nicht vertraut!« Sie rollt mit den Augen.
Ich weiß, dass ich ursprünglich dafür verantwortlich war, Beat auf den Boden zu bringen, wenn sie das starke Bedürfnis hatte, auf eine Provokation mit ihrer Faust zu antworten. Doch im Moment muss eher ich damit kämpfen, Lillian keine reinzuhauen. Es ist absurd, doch gerade hoffe ich sogar irgendwie, dass Beat die Kontrolle verliert – ich würde sie diesmal jedenfalls nicht zurückhalten, so viel steht fest. Ist das moralisch korrekt? Nein, definitiv nicht. Aber das ist mir momentan komplett gleichgültig.
Als ich einen Blick zu Beat werfe, sehe ich allerdings, dass sie gesammelt und kein bisschen so wirkt, als würde sie gleich wild um sich schlagen. Sie atmet tief durch, nimmt sich einen Augenblick und sieht Lillian dann direkt in die Augen.
»Hör mal: Mir tut es ehrlich leid, dass du in mir die Ursache dafür siehst, dass deine Beziehung schief gelaufen ist. Laura ist eine wankelmütige, unehrliche Person, Lillian. Sie hat mir damals gesagt, dass sie doch auf Männer steht, weshalb unsere Beziehung auch ein Ende nahm. Ich habe nie geahnt, dass sie nebenher noch mit dir zusammen war und dich mit mir betrog! Und was das mit der Schlägerei angeht: Mir war nicht bewusst, dass du deshalb noch immer einen Groll gegen mich hegst. Ich habe angenommen, wir hätten uns diesbezüglich ausgesprochen. Anscheinend lag ich falsch, und mir tut natürlich immer noch leid, was damals passiert ist. Außerdem will ich mich dafür entschuldigen, dass ich Lane geküsst habe und du das auch noch mitgekriegt hast. Ich hätte dir sofort davon erzählt, das verspreche ich dir. Außerdem ist alles, was er dazu gesagt hat, wahr. Das hier war das erste Mal.«
Also Antwort auf Beats kleine Rede schnaubt Lillian lediglich. Doch Beat ist noch nicht fertig. »Aber: Dass du diesen perfiden Plan ausgeheckt hast, mich in irgendeiner Form aus Rache zu verletzten, geht absolut gar nicht! Meine Intentionen dir gegenüber waren immer ehrlich, seit wir miteinander ausgegangen sind. Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte und halte es für das Beste, wenn wir uns nicht mehr sehen. Ich wünsche dir alles Gute.« Bevor Lillian etwas darauf erwidern kann, stellt Beat sich auf die Zehenspitzen und flüstert mir ins Ohr: »Schnell, steig in den Wagen!« Im Stechschritt umrundet sie die Motorhaube und lässt sich ihrerseits auf den Fahrersitz fallen, nachdem sie das Auto aufgesperrt hat. Ich tue es ihr auf der Beifahrerseite gleich.
Lillian scheint jetzt aus ihrer Starre zu erwachen, denn sobald ich die Tür zugeschlagen habe, hören wir ihre Stimme im Innenraum gedämpft. »Ihr könnt doch jetzt nicht einfach abhauen!«
»Und wie wir das können«, grummelt Beat, während sie den Wagen startet. Sie fährt einen extra großen Bogen um Lillian, was ich ihr keineswegs verdenken kann. Wer weiß schon, wozu diese Verrückte fähig ist...
DU LIEST GERADE
Beat
Literatura FemininaBeatrice Keller, genannt ›Beat‹, denkt nicht nach, bevor sie redet - sondern schlägt zu. Lane denkt mehr, als er spricht. Zumindest, bis er Beat begegnet. Als diese aufgrund ihrer aggressiven Verhaltensweisen vom Studiendekan ein Ultimatum gestellt...