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Beat

Verliebt.

Außer Lane und mir trifft dieses Wort natürlich keinen, denn sie alle denken genau das – dass wir verliebt sind.

Doch in mir hinterlässt der Klang einen schalen Nachgeschmack und erinnert mich ein ums andere Mal daran, dass das hier nicht echt ist. Nichts davon. Es fällt mir leicht, viel zu leicht, mich hier wohlzufühlen. Ich sollte, nein, ich darf, mich nicht daran gewöhnen.

Lane neben mir ist ungewöhnlich still geworden, seit ich ihn geküsst habe. Noch stiller als sonst, meine ich. Er meidet meinen Blick wie der Teufel das Weihwasser und es fällt mir schwerer als es sollte, mir das nicht zu Herzen zu nehmen. Andererseits habe ich es auch gewissermaßen mir selbst zuzuschreiben. Ich hätte nicht gleich so in die Vollen gehen müssen. Ich dachte mir einfach nur, dass es eine Schande wäre, diese Gelegenheit verstreichen zu lassen, seiner Familie zu zeigen, wie sehr wir uns ›mögen‹. Schließlich soll dieser ganze Zirkus ja auch glaubhaft sein.

Dumm ist nur, dass er fast zu glaubhaft ist. Er ist so glaubhaft, dass ich Gefahr laufe, meine eigenen Lügen zu schlucken.

...

Nach dem Essen gehen Lane und ich, wie er mir zuvor schon versprochen hatte, in den Garten und setzen uns auf die Veranda. Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht damit gerechnet habe, dass er das Versprechen einhält. Ich war mir eigentlich sicher, dass er sich irgendeine Ausrede einfallen lassen würde. Doch damit lag ich wohl falsch.

Nachdem wir beide nach draußen getreten sind, schließt er behutsam die Verandatür. Dann setzen wir uns auf die zwei nebeneinander stehenden Gartenstühle. »Wir müssen reden«, sagt er plötzlich. Ich schlucke, da ich mir bereits denken kann, worüber er reden will. »Hör mal, ich weiß, dass ich ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen bin. Es tut mir –«

»Das ist es nicht«, unterbricht Lane mich. Verdutzt halte ich inne. »Ach, nein?«

»Nein. Es geht um das Unwetter heute Abend.«

Gut, damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. »Das was?« Lane seufzt. »Es kam gerade eine Meldung in meiner Wetter-App, dass in nicht einmal einer Stunde ein schweres Unwetter kommen soll.« Ich sehe ihn skeptisch von der Seite an. Dann blicke ich nach oben zum strahlend blauen Himmel. Anschließend schaue ich wieder zu Lane. Er seufzt erneut. »Erinnerst du dich an letztens, als es urplötzlich zu Hageln angefangen hat? Das Wetter spielt in letzter Zeit komplett verrückt. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass das mit dem Sturm stimmt.«

»Und was bedeutet das für uns?«, will ich wissen. Lane runzelt die Stirn. »Das bedeutet, dass wir hier übernachten müssen.« Ich schnelle zu ihm herum. »Was?«

»Ich sagte, wir müssen –«

»Ich habe dich gehört, du Genie!«, unterbreche ich ihn unwirsch. Er zieht irritiert die Brauen zusammen. »Aber warum hast du dann gefragt?« Dieser Mann...

Wütend werfe ich die Arme in die Luft. »Auch egal! Meinst du, dass das Unwetter so schlimm ist, dass die Straßen nicht mehr befahrbar sein werden?«

»Ja«, antwortet er schlicht. Dann fügt er hinzu: »Befahrbar wären sie vielleicht schon, aber sicher definitiv nicht. Ich werde uns nicht in Gefahr bringen, wenn es sich ganz einfach vermeiden lässt.« Widerwillig nicke ich dann.

So sehr mir die Vorstellung, hier zu übernachten, gegen den Strich geht, muss ich Lane doch recht geben. Wir müssen kein sinnloses Risiko eingehen, indem wir bei Sturm auf die Landstraße fahren. 

Wir schauen beide gedankenverloren zum Horizont vor uns, dem man das herannahende Unwetter nicht im Mindesten ansehen kann. Eine Weile schweigen wir einträchtig. Keiner von uns hat das Bedürfnis, die entstandene Stille zu brechen.

Wir sehen dabei zu, wie die Sonne immer tiefer und tiefer sinkt, bis das Licht bereits einen orangenen Stich hat. Irgendwann registrieren wir tatsächlich vereinzelte Wolken in der Ferne, die sich mit jeder verstreichenden Minute zu summieren scheinen. Als der Himmel komplett von schweren grauen Wolken vergangen ist und ein kühler, aggressiver Wind aufkommt, stehen wir auf.

»Ich würde sagen, wir gehen rein, oder?«, sagt Lane und wie um seine Worte zu untermalen, zuckt ein Blitz über den Himmel. Bald darauf erklingt ein schweres Donnergrollen, welches uns beide zusammenzucken lässt. Eilig gehen wir nach drinnen und Lane zieht die Tür hinter uns zu. Prompt blitzt es erneut, diesmal um einiges heller.

»Schätze, das war die richtige Entscheidung«, merke ich lachend an. Es grollt erneut ohrenbetäubend laut, woraufhin Lane kurz in mein Lachen einstimmt.

»Beat?«, ertönt Rissas Stimme aus dem Inneren des Hauses. Ich folge ihrer Stimme und betrete kurz darauf eine heimelig, aber trotzdem modern eingerichtete Küche. Obwohl es schon eine ganze Weile her ist, dass hier Essen gemacht wurde, riecht es noch immer schwach nach dem Brokkoli-Auflauf.

Sie schließt die stählerne Kühlschranktür und wendet sich mir zu. »Ah, du bist schon da! Ich habe dich gar nicht kommen gehört.«

»Tut mir leid! Als meine Mutter noch lebte, hat sie sich auch ständig darüber beschwert, dass ich sie mit meinen leisen Schritten erschrecke.« Rissa lächelt traurig und sagt leise: »Ich habe sie sehr gern gehabt.«

»Das freut mich zu hören. Sie war wirklich toll.«

Rissa scheint zu merken, dass mein Schmerz noch frisch ist. Ich bin ehrlich gesagt froh, dass sie das Thema nicht weiter vertieft und mich stattdessen von Kopf bis Fuß abschätzend mustert. »Ich überlege gerade, was wir dir zum anziehen für die Nacht beschaffen. Ich fürchte, ihr werdet heute hier übernachten müssen. Hoffentlich macht dir das keine zu großen Umstände?«

Energisch schüttle ich den Kopf. »Nein, gar nicht! Ich hoffe ja, dass ich euch keine Umstände mache.« Da winkt sie ab. »Quatsch, nicht einmal ein bisschen. Im Gegenteil, irgendwie freue ich mich sogar.« Und bevor ich es auch nur im Entferntesten kommen sehe, zieht sie mich an sich und umarmt mich. Reichlich überrumpelt lege ich ebenfalls meine Arme um die etwas kleinere Frau vor mir. Ein Geruch von gebratenem Karamell und Lavendel steigt mir in die Nase. Ich weiß schon jetzt, dass ich diesen Geruch von nun an immer mit Lanes Mutter in Verbindung bringen werde.

Gegen die stechend heiße Welle schlechten Gewissens komme ich nicht an. Sie flutet mein Inneres wie Säure, bis ich mich irgendwann gerade noch so davon abhalten kann, zu weinen.

Das hier sind gute Leute. Seine Eltern sind leicht schrullig, aber nichtsdestotrotz absolut liebenswert. Sein Bruder Fran ist ein wirklich cooler, angenehmer Typ. Mir gefällt die Dynamik sehr, die zwischen ihm und Lane herrscht. Seine Familie hat es einfach nicht verdient, dass eine dahergelaufene Hochstaplerin wie ich und ihr eigener Sohn, beziehungsweise Bruder, sie nach Strich und Faden belügt.

Als Rissa sich von mir löst, sehe ich sie nur noch verschwommen. Ein paar Tränen konnte ich mir nun doch nicht verkneifen. »Oh, nicht doch!«, ruft sie aus und reibt mir über die Arme. Verlegen wische ich mir mit spitzen Fingern über die Wasserlinie, um mein Make-up nicht zu ruinieren und wie ein Panda auszusehen. »Sorry, manchmal werde ich wegen Kleinigkeiten emotional seit...« Ich lasse den Satz unvollendet, doch sie versteht auch so, worauf ich hinaus will. Verständnisvoll nickt sie.

»Wo ist euer Bad?«, frage ich, noch immer ein wenig verschnupft. »Hier raus und dann den Gang runter links, Liebes.« Ich bedanke mich und gehe eilig nach draußen.

Auf dem Weg zum Badezimmer begleitet mich ein besonders lautes Donnerrollen, welches von prasselndem Regen untermalt wird. Scheint, als wäre das Unwetter in vollem Gange.

Nachdem ich auf der Toilette war, betrachte ich mich beim Händewaschen im Spiegel. Mein Make-up sitzt zwar, doch ich sehe dennoch wirklich fertig aus. Als ich mit hängenden Schultern wieder auf den Flur trete, wäre ich fast in Lane gerannt. Erschrocken stolpere ich zurück. »Um Gottes Willen, woher kommst du denn plötzlich?«, zische ich in dem Versuch, meine düstere Stimmung zu maskieren. Er deutet zaghaft hinter sich. »Äh, aus dem Wohnzimmer.« Prüfend kneift er die Augen zusammen. »Ist alles in Ordnung mit dir?«

Routinemäßig will ich schon mit ›Ja, klar‹ antworten, halte dann jedoch inne. Schließlich schüttle ich den Kopf. »Können wir bitte kurz in dein Zimmer? Ich muss mit dir reden.«

Oje... was Beat ihm wohl sagen will? Wer ahnt es bereits? 🤡🆘

BeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt