Lane
Etwas irritiert und mit einem flauen Gefühl in der Magengegend führe ich sie nach oben in mein ehemaliges Zimmer. Beat rauscht an mir vorbei, massiert sich nervös die Hände und stellt sich in die Mitte des Raumes, während ich die Tür hinter uns schließe. Erwartungsvoll blicke ich sie danach an.
»Deine Familie ist nett!«, bricht es aus ihr heraus, doch aus ihrem Mund klingt das fast wie ein Vorwurf. Verwirrt lege ich den Kopf schief und antworte gedehnt: »Ja, das ist sie.« Beat schnaubt im Angesicht meines Gesichtsausdrucks und beginnt, unruhig zwischen Crosstrainer und dem Medizinball hin und her zu tigern. »Die denken, wir sind zusammen, Lane! Die denken das wirklich!«
»Das ist doch auch irgendwie der Sinn der ganzen Sache, oder nicht?« Kurz blitzt sie mich wütend an, dann fährt sie damit fort, nervös durchs Zimmer zu laufen. »Sie haben es nicht verdient, belogen zu werden! Hast du denn gar kein schlechtes Gewissen?« Ich weiß nicht genau, woher ihr Sinneswandel auf einmal kommt, aber ich spüre, dass er mich nervös macht und auch ein wenig ärgert.
»Ganz ehrlich, Beat? Natürlich habe ich ein schlechtes Gewissen, ich bin schließlich kein Unmensch. Aber hauptsächlich bin ich einfach nur erleichtert, dass ich endlich wieder mal das Gefühl habe, gern in der Nähe meiner Eltern zu sein!«
Das lässt sie innehalten. Leise fragt sie: »War es wirklich so schlimm?« Ich lache humorlos auf. »Du hast keine Ahnung.«
Das Schweigen, welches jetzt zwischen uns entsteht, ist diesmal seit langer Zeit eines der unangenehmen Sorte. Es ist ein sehr geladenes Schweigen, ein Schweigen voller unausgesprochener Gedanken und Gefühle, durchzogen von der Frage, wie es jetzt weitergehen soll.
Schließlich sackt sie seufzend zusammen. »Lane, ich–« Mit einer rigorosen Handbewegung unterbreche ich sie. »Hör mal, ich verstehe deine Bedenken. Trotzdem hättest du dir wirklich keinen ungünstigeren Zeitpunkt dafür aussuchen können, mit dem Gedanken zu spielen, alles hinzuschmeißen.« Daraufhin sagt sie nichts. Müde fahre ich mir übers Gesicht, dann fixiere ich sie ernst. »Wenn es so ist, dass du das hier nicht mehr machen willst, dann sag es mir jetzt. Noch ist es nicht zu spät, irgendwie kriegen wir das schon hin. Aber tu's jetzt, okay?«
Ich habe nicht gemerkt, wie ich ihr beim Reden immer näher gekommen bin. Mittlerweile berühren sich fast unsere Fußspitzen. Beat hat den Kopf ein wenig in den Nacken gelegt, um zu mir hochzublicken. Sie schließt die Augen, massiert sich die Nasenwurzel und lässt dann den Kopf hängen, wodurch ihre Stirn fast meine Brust berührt. »Gott, ich bin so durcheinander«, murmelt sie verzweifelt und vergräbt das Gesicht in den Händen. Und dann tue ich etwas, von dem ich vor wenigen Wochen noch gedacht hätte, dass ich es nie tun würde: Ich ziehe Beatrice Keller zu mir heran und umarme sie.
Zuerst versteift sie sich leicht vor Überraschung, doch dann legt sie ebenfalls ihre Arme um mich und lässt sich in die Umarmung sinken. Ich lehne meine Wange an ihren Kopf und denke nach.
»Ist es wegen Lillian?«, frage ich leise. Ich spüre, wie sie den Kopf schüttelt. »Das hat nichts mit ihr zu tun«, murmelt sie an meiner Brust. »Ist es denn ernst mit euch?«, wage ich zu fragen. Sie löst sich ein stück von mir, ohne mich loszulassen, und lehnt sich zurück, um mich ansehen zu können. Sie runzelt die Stirn und hebt eine Braue. »Das scheint dich sehr zu interessieren.« Ich spüre, wie mir die Verlegenheitsröte den Hals hochkriecht. »Ich bin einfach nur neugierig, das ist alles. Und außerdem...« Ich verstumme, da mir noch im selben Moment klar wird, wie dumm es wäre, das laut zu sagen. Vor allem im Hinblick auf unseren Streit im Auto auf dem Hinweg.
Doch natürlich lässt Beat nicht locker. »Was wolltest du sagen?«
»Nichts, war nur so ein dummer Gedanke–«
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Beat
ChickLitBeatrice Keller, genannt ›Beat‹, denkt nicht nach, bevor sie redet - sondern schlägt zu. Lane denkt mehr, als er spricht. Zumindest, bis er Beat begegnet. Als diese aufgrund ihrer aggressiven Verhaltensweisen vom Studiendekan ein Ultimatum gestellt...