Kapitel 1.2 - Steinernes Herz

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Das Beben hallte wie ein einsamer Herzschlag über die Fläche.

Der Krieg, vor den Pforten ihres Reiches, war laut und schallte lebendig an ihre Ohren heran.
Nesta blieb stehen und atmete den verkohlten Geruch der Luft ein.

Krieg. Krieg war etwas so entferntes für sie. Krieg schien so viel mächtiger, als alles, das sie zuvor kennengelernt hatte.
In ihrer Welt gab es keinen offiziellen Krieg. Das Wort alleinig galt als verboten, da es nur noch mit der Außenwelt assoziiert wurde.
In Nestas Heimat gab es keine solchen Auseinandersetzungen. Es gab keine Ereignisse, in denen die Menschen ihren Missmut ausdrückten. Das einzige, das seit Jahren ihre Köpfe durchzog, war der stille Wunsch nach Rebellion. Nach einer Rebellion gegen das Regime...

Ein Aufstand gegen ihren Herren war ein verlockender Gedanke, doch ebenso unmöglich.

Nesta redete sich täglich ein, dass sie dankbar sein konnte, dass ihr Heimatreich nicht im großen Krieg mitmischte.
Tatsächlich schienen nämlich die Dinge, die man über die anderen Götter hörte, der Wahrheit zu entsprechen. Wilde Kreaturen, die brutale Schlachten führten, schienen sie allemal zu sein. Vor allem nun, wo der Kampf schon seit Jahren vor den Grenzen vonstattenging, merkte man deutlich:
Jeder Gott war brutal.

Doch hielt sich die unausgesprochene Meinung in Nesta wacker, dass die Welt außerhalb der Grenzen doch nicht so tot war.
Es konnte immerhin nicht schlimmer sein, als unter ihrem jetzigen Gott... Denn Fintan hasste die Menschen.

Wenn man nichts anderes kennt, als dunkle Höhlen, Mienen und Sklaverei, erschien die ganze Welt fahl, trostlos und grau.
Doch das konnte nicht sein.
Weg von Hunger und Ungerechtigkeit war eine beruhigende Vorstellung, auch wenn niemand wusste wie es hinter den Grenzen aussah. Was man bei Fintan hatte, wusste man. Was in der Außenwelt lauerte, ließ sich nur schätzen.
Und so wie die dumpfen Schläge schwerer Geschütze aus der Ferne zu ihnen hallten, schien auch die Außenwelt kein einladender Ort zu sein.

Es gab ohnehin keinen Weg heraus. Erst recht nicht für die Arbeiterklasse. Und noch weniger, wenn diese menschlich war.

***

Nesta stand neben einigen Fässern vor der großen Arena. Es war ein wahrhaftig eindrucksvolles Gebäude, in dem die Geschöpfe dieses Gefildes gegeneinander antraten.
Man beobachtete mit Vergnügen, wie Menschen geopfert wurden, indem sie gegen gewaltige Steinkolosse antreten mussten.

Die Schmerzensschreie vermischten sich mit tosendem Jubel. Diese Veranstaltung zog nicht wenige Zuschauer an.
Man sah gerne zu, wenn andere leiden mussten. So konnte man sich in der ewigen Sicherheit wiegen, dass man nicht einer derjenigen war, die in diesem Kampf fallen würden. Denn am Ende dieser Veranstaltung starben alle Teilnehmer.

Und diesen Ritualen sah ein Gott zu.
Ein echter Gott.

Nestas Position erlaubte ihr nicht, das zu denken, doch sie verachtete Fintan so sehr, wie er sie.
Dafür musste sie ihn nicht einmal persönlich kennenlernen.
Nichts, was sie von diesem Gott bisher zu spüren bekommen hatte, grenzte an Göttlichkeit. Fintan war wie ein Dämon, der sich unter die Götter gemischt hatte.
Das würde auch erklären, wieso sein Reich aus Vulkanen und Lava bestand.
An der Oberfläche war es so heiß, dass Nesta kaum atmen konnte. Es war ein Wunder, dass sie noch hier stehen und zu der Arena hochblicken konnte. Nur noch das Erschrecken nagelte sie an diesen Platz. Fintan war sie noch nie so nahe gewesen. Wie gerne würde sie ihm einen Dolch in die Kehle rammen?
Nicht, dass es etwas bewirken würden, immerhin war er ein Gott. Die Vorstellung alleine brachte allerdings Genugtuung in ihr zutage.

Nesta inhalierte die warme, nach Kohle riechende Luft.
Wie konnte man als Gott auf die Idee kommen, ein Reich zu schaffen, das als Lava und Gestein bestand?
Es war klar, dass er mit Menschen hier reichlich wenig anfangen konnte.

Die Raben der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt