Kies knirschte unter Reuels Schuhen, als er sich bergaufwärts in einen Wald bewegte.
Vögel warfen vereinzelt Laute durch die Natur, der Wind rauschte durch die Blätter über ihnen und ein Bach floss still an den Bäumen vorbei.
Sie wurden zu einer Stadt geführt. Zumindest hörte es sich Reuels Beschreibung nach so an. Er hatte es als „Ansammlung von Zelten an einem verdreckten Ort" bezeichnet.Nesta hingegen konnte auf ihrer Reise zu dem Dorf dieser negativen Beschreibung nicht zustimmen. Die Verwahrlosung dieses Ortes hatte etwas Bekanntes an sich, etwas wahrlich beruhigendes.
Dieser Eindruck sollte jedoch nicht lange anhalten, als sie das schlammige Gelände betraten, dass der alte Mann gemeint hatte.Es war tatsächlich ein wahlloses Chaos, dem man einfach nur den Namen einer Stadt gegeben hatte.
Überall waren Zelte aufgespannt worden. Banner und Teppiche lagen auf dem Waldboden aus, Hühner rannten zwischen den Seilen herum, Laken waren zwischen den Stämmen aufgespannt worden, Karren neben Fässern standen an jeder Ecke und irgendwo in der Ferne spielte eine leise Melodie.Es wirkte wie ein nachtaktives Flüchtlingslager. Die wohnliche Einrichtung ließ darauf schließen, dass sie mehr als nur einige Monate hier sein mussten und nicht planten, sich bald eine anderen Bleibe zu suchen.
»Wo sind wir hier?«, fragte Nox und riss den Kopf neugierig herum.
Als sei diese Frage nicht aus der kindlichen Neugierde eines kleinen Jungen gestellt worden, antwortete Reuel als spreche er mit einem vollwertigen Erwachsenen: »Das hier ist Balter. Eine Zeltstadt, wie man sieht. Hier findet man eine Variation an Menschen, die zuvor im Westen gelebt haben.«
Nesta ging im Kopf durch, welche Götter vor dem Krieg die westlichen Reiche beherrscht hatten, doch stieß auf Leere.
Die einzigen Götter, die sie kannte, waren Ibai — welcher über Meer, Strand und Inseln herrschte — und Fintan... Und an letzteren wollte sie nicht noch mehr Überlegungen verschwenden.Ein scherzender Ton färbte Reuels Stimme, als er hinzufügte: »Hier leben aber nicht nur Menschen.« Er zuckte mit den Achseln und kaute an dem Ende seines Bartes. »Hier leben auch Magier, wenn auch nur drei... Und äh-« der Mann hielt inne. »Mein Kumpel und seine Schwester.«
Rhys riss den Kopf hoch. Seine Augen hatten sich vor Misstrauen geweitet. Auf einmal blieb er auf dem schlammigen Pfad stehen. »Moment. Was sind Ihre Freunde?«
»Das sollten sie euch selbst erklären.«
Im selben Augenblick trat ein Mann aus dem Zelt hervor. Er bildete eine scheinbare Einheit mit der Dunkelheit. Nur einige kurze, weiße Haare taten sich vor der dunklen Haut und Kleidung hervor. In seiner Hand ruhte ein schwerer, kunstloser Gehstock. Würde er nicht so viele Ketten und Ohrringe tragen, hätte Nesta ihn als bescheidene Gestalt bezeichnet.
Er starrte die Kinder neugierig an. »Ach du... Du machst Witze, Reuel. Noch mehr?«
Angesprochener ließ ein Lächeln auf seinen Lippen erscheinen und zuckte einmal mehr mit den Achseln.
Der Fremde fuhr sich über den Hinterkopf. Er humpelte einen Schritt zur Seite, um in das Zelt, aus dem er kam, hineinzurufen: »Zephyr, kümmerst du dich bitte um unseren Besuch?«
***
Die drei fanden sich in einem Zelt wieder, das mit Holzboden ausgelegt worden war. Eine Kette mit Lichtern hing an der Decke. Neben den leuchtenden Punkten taten sich Gläser mit kuriosen Flüssigkeiten und Gewürzen hervor, die Nesta noch nie gesehen hatte.
Während Rhys widerwillens sein Hemd ausgezogen hatte, damit man seinen Rücken verarzten konnte, saß Nox auf dem Schoß seiner Schwester. Der Junge fürchtete sich ersichtlich vor den Heilerinnen. Er hatte sich an Nesta gekrallt und vergrub sein Gesicht immer tiefer in ihrer Brust.
Sobald ihn Hände berührten, die zu den Ärzten gehörten, zuckte er zusammen, oder schlug um sich.

DU LIEST GERADE
Die Raben der Götter
FantasyIn einem Krieg zwischen den sechs Göttern ist eine Gruppe Jugendlicher der Hoffnungsträger, der das Kriegsglück auf eine andere Seite bringen muss. • Als die drei Kinder aus der Sklaverei entfliehen können, in der die Menschen gehalten werden, hatte...