Kapitel 5.1 - Tardacum

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Dougal schien es nicht zu interessieren, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Er hatte die Jugendlichen zusammen mit Reuel in die einstige Hauptstadt Caim begleitet. Diese Stadt hatte einst das Gefilde von Metis eingenommen.
Neunzig Prozent ihres Reiches soll mit dieser Stadt ausgefüllt gewesen sein. Noch immer erstreckten sich die Mauern hoch in den Himmel. Vereinzelt fanden sich abgegrenzte Gärten, Beete und Ställe vor. Sie waren in geschickten Mustern in die Architektur der Stadt eingebaut worden.

Das Haus, in dem die drei Jugendlichen untergebracht waren, überblickte einen großen Markt und grenzte an ein altes Observatorium, an dem zahlreiche bunte Drähte, Rohre und Zahnräder herunterhingen.

Es waren seit ihrer Ankunft einige Wochen vergangen, in denen die Jugendlichen untätig herumgesessen hatten. Dougal bezeichnete es als "Eingewöhnungszeit", in der sie sich die Straßen der Stadt einprägen und wichtigsten Informationen zu den Bewohnern erlangen sollten.

"Wissen ist hier eine Währung", hatte Dougal gesagt und dabei auf die anderen Jugendlichen verwiesen, die aus Fintans Reich geflohen waren. Sie waren allesamt einige Jahre älter als Nesta und Rhys. Und allesamt waren sie Anhänger der Aasfresser gewesen.

Sie arbeiteten auch für Dougal, erschienen jedoch undankbar, da sie sich jedes Mal über das kalte Wasser im Gebäude beschwerten, oder über den ständigen Stromausfall, wenn man mit ihnen redete.

In der Zwischenzeit hatten die Jugendlichen sich an Kampfkünsten erproben müssen. Eine Tätigkeit, die zusammen mit den anderen Aasfressern wirklich beschwerlich sein konnte. Niemals hätte Nesta gedacht, dass es so schwer war, sich gegen andere Menschen behaupten zu müssen. Immerhin war sie dazu noch nie gezwungen gewesen. Menschen hatten in ihrer Heimat zusammengehalten... Und nun lerne ich zusätzlich, wie ich ihnen die Kehle aufschlitzen kann.

Während sie von moralischen Idealen und Ängsten zurückgehalten wurde, schien Rhys Spaß zu haben, die Traningspuppen zu zerschneiden, bis diese nur noch hängende Heuballen an einem Stock waren. Nebenbei hatte er sogar noch genug Atem, um sich mit den anderen zu unterhalten. »Ihr habt mir nie erzählt, wieso nur so wenige Aasfresser hier sind.«

»Wir wissen nicht, wo die anderen geblieben sind.«

»Wie?«, fragte Nesta und ließ das Schwert sinken, das erstaunlich leicht in ihren Händen lag.

»Man munkelt, sie seien gestorben. Andere sagen, sie wurden entführt. Wieder andere behaupten, sie werden als Experimente benutzt für die Magier.«

Rhys schob seinen Köcher auf den Rücken. Er reckte den Kopf, als er merkte, dass Dougals Kutsche vor dem Gebäude Halt machte. Ohne sich davon stören zu lassen, führte er das Gespräch fort: »Was sollen Magier denn mit ihnen machen? Ihre Haare anzünden, oder ihre Nase zu Wurzeln werden lassen?«

»In den anderen Gefilden scheint es mehr Magier zu geben, als bei Fintan. Hier gibt es sowas wie Knochenmagie, Äthermagie... Oder sowas.«

Dougal kam auf sie zu. Mit Hut, Umhang und Gehstock wirkte er fast wie ein feiner Herr, doch die zahlreichen Ketten und Ringe verfehlten diesen Eindruck völlig und ließen ihn mehr wirken, wie einen der Belletristen, die Nesta aus den düsteren Gassen kannte.

Nox sprang von dem alten Karren ab, auf dem er gesessen hatte und lief auf Dougal um. Beide hatten eine Beziehung zueinander aufgebaut, die Nesta nicht behagte.
Der Gott ließ sich nicht selten bei ihnen blicken. Und irgendwie hatte er es geschafft, Nox um den Finger zu wickeln. Wann immer er auftauchte, lief der kleine Junge zu ihm hin, als sei Dougal der Ersatz eines Elternteils für ihn. Sie schienen einander fast schon zu vertrauen.

Nox konnte jedoch nicht wissen, was er da tat und was es zu bedeuten hatte.

Er berührte einen Gott — rein von sich aus, doch anstatt, dass dieser etwas sagte, erwiderte Dougal die Umarmung ebenso freudig.

Die Raben der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt