Kapitel 1.1 - Steinernes Herz

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Beschwer dich nicht über die Flammen der Hölle, wenn sie es sind, die dich nachts warm halten.

Die Schrift im Stein war notdürftig hineingefurcht worden. Die Buchstaben war kritzelig, die Tiefe unregelmäßig und wurde gerade einmal genug von den Fackeln beleuchtet, dass man den Spruch lesen konnte.

Außer dieser Inschrift in den nackten Wänden gab es auch nicht viel zu sehen: eine enge Höhle mit Bergen aus Schutt. Überall brannten  Flammen, die die gewundenen  Gänge erhellten. Nur geschulte Augen erkannten die Kristalle zwischen den Steinen.
Und von diesen gab es hier nicht wenige: die Menschen drängten sich hier eng; zwischen ihnen nicht wenige Kinder.

Nesta, ein junges Mädchen mit krausem Haar und finsteren Blick, ließ ihre Aufmerksamkeit durch die Mine gleiten, bevor sie Steine beiseite schob, die vor ihr auf dem Boden lagen.

Ein Gefühl für Zeit hatte sie vor vielen Jahren verlorenen, doch wusste sie, dass sie hier noch nicht lange saß. Noch viele weitere Stunden würde sie hier arbeiten müssen, bis einer der hageren Wachmänner sie beiseite stoßen und wegschicken würde.

Ein Funken Hass schlich sich in ihren Blick, als sie zu den steinernen Riesen aufsah, die die Eingänge der Kammer bewachten. Breite Schultern, gepanzerte Haut, leeres Starren. Sie hielten die Menschen im Blick und mit ihnen die Kristalle, die aus den Wänden befördert wurden.

Scheppern der Hacken — wenn sie Geröll und Schatz trennten — und schwerer Atem füllten die Kammer.
Ein Ort des Schrecks, bemerkte Nesta mit der Nüchternheit ihres gewohnten Alltags.
Bereits überall im Raum sammelten sich Karren an — fein sortiert mit nützlichen Edelsteinen und Schutt, der weggeschafft werden sollte... Wie eben alles weggeschafft wurde, das man verschwinden lassen wollte.

Der Gedanke brachte Nestas Finger zum Kribbeln und als wolle man ihre Angst bestärken, hallte ein lautes Donnern an den Wänden wider.

Ein älterer Mann — sie würde ihn auf Mitte vierzig schätzen — hatte eine Kiste fallen gelassen, in der funkelnde Edelsteine gelagert wurden. Sie ergossen sich auf der Schräge eines Schutthaufens und rollten Nesta direkt vor die Füße.

Das Mädchen senkte die Lider.
Nicht hören, nicht sehen, rief sie sich ins Gedächtnis, als würde diese mickrige Gedankenstütze eine tatsächliche Hilfe sein. Doch Schmerz und Tod verfolgten die Menschen in diesem Reich mit jedem Schritt.

Der Mann wimmerte und schrie laut auf, als einer der Wächter ihn am Kragen packte und auf ihn einschlug. Während die anderen Menschen den Rücken versteiften und immer wieder dort hinsahen, was wenige Schritte abseits von ihnen geschah, hatte Nesta den Kopf gesenkt und sammelte die warmen Seiten auf, die vor sie gerollt waren.

Es waren feine Kristalle: milchig-durchsichtig mit bernsteinfarbenen Einschlüssen. Die rote Farbe wurde vom Fackellicht angestrahlt und wirkte selbst fast feurig. Und dann diese unbändige Hitze, die vom Inneren des Steins nach Außen trat... Es wärmte Nestas Finger auf eine ganz andere Art: Die Höhlen hier waren stets stickig und feucht — sie waren immer warm; doch die Hitze dieses Steins war etwas anderes. Sie war nicht natürlich.

Für einen Moment nahm Nesta an, sich genug mit diesen Steinen vom eigentlichen Geschehen ablenken zu können, doch ihre Gedanken trieben immer wieder zu dem Mann, auf den eingeprügelt wurde.

Ein hohles Knacken ertönte. Man hatte ihm einen Knochen gebrochen. Das Schreien wurde spitzer und erreichte ihren Höhepunkt, bis der Laut zu einem Knirschen wurde und der ältere Herr plötzlich schwieg.
Stille füllte die Kammer. Jeder Betrieb, jede Bewegung erstarrte für einen Augenblick.

Irgendwann, dachte Nesta und ihre Überlegungen schienen nahzu laut zu sein in der plötzlichen Ruhe der Mine Irgendwann werde ich es auch sein, dem man das Genick bricht.

Die Raben der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt