Kapitel 3.2 - Wie ein Phönix aus der Asche

73 16 66
                                    

Nestas nackte Füße gruben sich tief in den Sand, als sie den Strand betraten.
Mit seinen Schuhen jedoch schien Rhys mehr zu kämpfen zu haben. Er schimpfte vereinzelt vor sich hin und schüttelte mit ungeschickten Bewegungen Sand heraus. Erst als Holzplanken auf dem Boden lagen und einen festeren Weg ebneten, wurde seine Erscheinung wieder ruhiger.
Die Gebäude waren aus weißem Holz und Sandstein gehauen worden. Über die Türen waren Musterungen geritzt. Knoten an den Geländern, hin zu den Handelshäusern, stellten Gebete dar, die eine sichere Fahrt ebnen sollten.

Nesta presste die Lippen zu einer geraden Linie zusammen. Das Mädchen blinzelte zweimal, als könnte sich somit das Bild vor ihren Augen verändern.
Menschen, die in tatsächlich ansehnlichen Häusern lebten, wie Fintans Männer es taten... Für sie war diese Vorstellung unbegreiflich.

Sie bewegte sich lautlos über die Holzplanken. Ihre Stimme ertönte aus der Dunkelheit heraus: »Wo gehen wir genau hin?«

»Man erwartet uns, habe ich gehört. Von wem weiß ich nicht. Wo man uns erwartet weiß ich genauso wenig. Irgendwo in Aad Adeille wurde mir gesagt. Bootshäuser und Kneipe sollen die ganze Nacht aufhaben. Also sollten wir da anfangen... aber bitte frag mich nicht wie die hier aussehen.«

Nesta suchte die Schilder nach Hinweisen ab. Lesen und Schreiben hatte sie damals gelernt und diese Fähigkeiten an Rhys, Nox und andere Menschen weitergegeben. Dass alles heimlich und illegal geschehen war, spielte für sie keine Rolle. »Bootshäuser werden doch wohl am Wasser sein?«

»Am Steg vielleicht.«, ergänzte Rhys und reckte den Hals.

Nesta ließ Nox neben sich an der Hand laufen. Mit dem Begriff Steg konnte sie nichts anfangen, doch da Rhys eine längliche Planke im Wasser taxierte, konnte sie schließen, dass dies ein solcher war.

Kurz zuvor jedoch machten beide gleichzeitig Halt, als laute Musik und angeregte Unterhaltungen aus einem blau bestrichenen Haus zu ihrer rechten ertönte.
Beide wechselten Blicke aus, die sowohl freudige Erwartung, als auch eingeschüchterte Befremdlichkeit äußerten. Sie waren so fremd in dieser Stadt, wie die drei Monde sich am Himmelszelt fühlen mussten: Alleine, ohne einen gleichen ihrer Art, waren sie nur in ihrer Gruppe auf sich gestellt...
Nur dass die Monde das Glück hatten, diese Leere bereits kennen gelernt zu haben.

Rhys stieß die Türen auf. Niemand beachtete sie. Nur eine Person musterte ihn — mehr besorgt als abfällig.

Nesta tappte hinter ihm her. Die Menschen in der Kneipe waren gut gekleidet. Reiche, bestickte Stoffe, robuste Hemden und festes Schuhwerk hefteten sich an ihre wohlgenährten Gestalten.

Die drei waren daneben ein Bild der Zurückhaltung... Und ihre Kleidung diente als Zeugnis ihrer Armut.

Noch nie hatte Nesta sich so aufgesetzt und verloren in einer Gruppe Menschen gefühlt.

Der Wirt hielt in seiner Bewegung inne, als er eine säuerlich riechende Flüssigkeit in eines der Gläser goss. Er starrte Rhys voller Erschrecken und Erstaunen heraus an. Seine großen Augen spiegelten nicht die harten Züge wider, die sein Gesicht so beängstigend streng aussehen ließen. »Na hallo Junge, wo bist du denn ausgebüxt?«

»Das ist eine ziemlich lange Geschichte.«, erwiderte dieser nüchtern. »Ich suche nach einer Gruppe, die etwa in meinem Alter sein sollten. Sie nennen, oder nannten, sich Aasfresser.«

Der Wirt schüttelte verwirrt den Kopf und lachte voller Entsetzen. »Was redest du da Junge? Hast du zu viele Kräuter geraucht? Geh nachhause.« Erst als er Nesta und Nox bemerkte, deren Gesichter alle ernst bleiben, versteinerte auch der Ausdruck des Hünen. Er fügte hinzu: »Nein, ich habe nichts von ihnen gehört.« Seine Stimme hatte sich verändert. Aller Humor war aus ihr entwichen.

Die Raben der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt