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Das Knistern des Kamins der gegenüber von mir stand, ließ mich immer wieder in Erinnerungen schwelgen. Die Wärme die den Raum hielt, wärmte mich keineswegs. Ich frierte unter dem dicken Wohlkragenpullover. Man könnte meinen, ich sei verrückt. Schließlich saß ich nahezu vor dem Kamin und frierte - trotz warmer Kleidung und Feuer. Der hochsteigende Qualm und das Knistern beruhigte mich allgemein. Sie hochstehenden Flammen ließen mich den grausamen Alltag vergessen, dafür sprang ich in meinen Gedanken umher.

Der Schnee knallte gegen das Fensterglas und ich konnte meinen Blick wiedereinmal nicht standhalten, stattdessen blickte ich fasziniert zu den Schneeflocken. Wie sie geheuerlich schnell gegen das dünne Glas peitschten. Schlagartig dachte ich an mein drittes Weihnachten zurück, als ich mit Schnee in Kontakt geraten war. Damals hatte ich meinem Bruder eine Schneekugel ins Gesicht geworfen, er hatte gelacht.

Als die Haustür im Flur quietschte, wusste ich sofort genau, dass sich nun der langanstehende Frieden absofort abstellen würde. Ein angestrengtes Seufzen ertönte und schlagartig zog ich meine Beine an meine Knie und legte meine Arme um meinen Körper. Mein Herz schlug rasanter in meiner Brust, vor Wut und Verzweiflung. Der Sturm nach der Ruhe.

»Tracy, kannst du mir kurz behilflich sein?« Kurz überlegte ich nicht antzuworten, mich schlafen zu legen, doch es war unsinnig. Träge sprang ich auf und lief in den Flur, um meine Schwägerin mit vollgepackten Tüten zu erblicken. Sie pustete sich gerade eine blonde Locke aus der Stirn und kämpfte mit sich und ihrer Balance, denn sie hielt die Tüten alle beisammen in ihren Händen. Schweigend nahm ich drei der schwereren Taschen ab und keuchte auf, als mir auffiel, wie schwer die Tüten doch waren. Schluckend trug ich sie in die Küche und blickte in sie hinein. Produkte.

Magdalena schmiss die anderen Taschen wortwörtlich auf die Theke, sodass einige Produkte aus den Tüten herausquillte. Anscheinend waren wieder viele Produkte im Sortiment im Angebot, daher die vielen Tüten.

»Ich bin kaum durch die Menschenmengen durchgekommen, seitdem Schlussverkauf sind so viele unterwegs.« Innerlich verdrehte ich die Augen. Magdalena war doch selbst beim Schlussverkauf, aber redete von anderen Menschen. Genau wie sie, meckerten auch die anderen Menschen um die Menschenmengen und den überfüllten Einkaufsläden. Meine Schwägerin legte ihre Hände an die Hüften und warf einen Blick über die Tüten. Das war eine Menge Arbeit.

Lustlos senkte ich den Blick. Am liebsten wäre ich stillschweigend aus der Küche gerannt, geradewegs in mein Zimmer und hätte mich aufs Bett geworden. Ich wäre in die Welt der Musik untergetaucht. Doch da ich wusste, dass Magdalena meine Hilfe brauchte, machte ich mich auch direkt an die Arbeit, die Produkte zu sortieren und sie an den Ursprung zu setzen. Würde ich mich nicht hilfsbereit stellen, würde sie wieder mit mir schimpfen und ich bekäme von meinem Bruder Hausarrest. Und das war das letzte, was ich wollte.

Seit nun einigen Monaten lebte ich hier bei meinem Bruder und seiner Verlobten. Die Verhältnisse im Elternhaus htten sich kläglich ins negative gewendet. Meine Nerven waren Blank gewesen und mein Bruder hatte mich zu sich aufgenommen. Seitdem lebte ich zufrieden, doch seine Verlobte machte es mir manchmal schwer. Sie war äußerlich freundlich und beinahe könnte ich sie zu meiner Freundin mitzählen, doch diese Frau machte mir nur Kopfschmerzen. Andauernd hatte sie etwas an mir auszusetzen. Ich sei zu undankbar oder zu still.

Ich verstand einfach nicht, was Magdalena von mir wollte. Natürlich wusste ich, dass ich ein drittes Rad am Wagen war. Es störte sie sicherlich, dass ich bei ihnen wohnte und ihre Zweisamkeit störte, doch woanders konnte ich nicht. Die Angst schnürte mir die Kehle zu, wenn ich wieder daran dachte, bei meinen Eltern zu wohnen. Öftere Mal war ich nachts weggerannt, nachdem Magdalena mich zurechtgewiesen hatte. Mein Bruder hatte mich damals so unfassbar laut angebrüllt, dass ich so unglaublich dumm bin. Das ich mich nachts verletzen könnte oder in fremde Arme landen könnte.

Ab da an bekam Magdalena den Auftrag mich zu kontrollieren. Da mein Bruder manchmal bis in den Abend arbeitete, konnte er nicht aufpassen, was ich tat. Und sie war perfekt dafür gewesen, sie arbeitete schließlich nicht mehr. Und das war alles der kleinen Wölbung an ihrem Bauch zu verdanken. Sie war schwanger und ich würde Tante werden. Doch kein Glücksgefühl löste sich in mir, im Gegensatz, ich wurde viel trauriger und stiller. Meine Reaktion löste kritische Handlungen aus. Sie machte sich Sorgen, dass ich ihr weh tat. Ihr und ihrem Baby im Bauch.

Sie vertrauten mir überhaupt nicht mehr und blickten mich kritisch an. Mein Bruder tanzte andauernd auf ihrer Nase herum, vielleicht war die Liebe der Grund, doch ich fühlte mich ausgeschlossen in diesem großen Haus. Es drehte sich alles um sie, ihn und das Baby. Und dann war ich noch da, Tracy, einsam und alleine. Meine Gefühlslage verstanden sie nicht, würde ich ihnen niemals schildern. Sie hatten vieles um die Ohren und sicherlich würde meine schwachsinnigen Probleme meinem großen Bruder nicht im geringsten interessieren.

Als ich plötzlich eine Hand vor meinem Gesicht wedeln sah, riss ich meine Augen auf und blickte meiner besorgen Schwägerin in die Augen. Wahrscheinlich hatte sie mich öftere Male versucht anzusprechen, doch ich war nicht anwesend gewesen.

»Alles in Ordnung? Tracy, lass du doch alles liegen. Ich mach den Rest und du legst dich schonmal ins Bett, okay?« Lächelnd legte sie ihre Hand auf meine Schulter. Wie benommen nickte ich hektisch und lief wie auf Kommando, sofort in mein Schlafzimmer. Wie immer warf ich mich auf das kuschelige Bett. Meine Kopfhörer und mein Handy lagen wie immer vor Ort unter meinem Kissen. Falls ich nachts nicht schlafen konnte, half mir die Musik einzuschlafen. Oder ich hörte laut Musik, wenn Magdalena wiedereinmal mit meinem Bruder über mich sprach.

Ihre Worte waren manchmal ziemlich verletzend. So verletzend, dass ich in Heulkrämpfen ausgebrochen bin.

Sie bemängelte mich und mein Aussehen, mein Kleidungsgeschmack. Ich traute mich kaum aus dem Haus, hatte Angst, dass mich jeder so anschaute, wie sie es tat. Mich so verurteilte. Es störte sie, dass ich nicht viel sprach und lieber für mich war. Es störte sie, wenn ich am Abends beim Abendessen nicht anwesend war. Viel lieber war ich nachts in die Küche geschlichen, um dort heimlich zu essen. Manchmal saß die Angst so tief im Nacken, dass ich die Blicke des Pärchens nicht beistehen konnte.

Mein Bruder gab mir nicht mehr die Aufmerksamkeit, wie vor einigen Jahren. In seiner Liste stand Magdalena auf dem ersten Platz und kein Schachzug würde sie von ihrem Thron hinunterschlagen können. Andauernd küsste er sie vor meinen Augen, umarmte sie und schenkte ihr dutzende Mengen von Zärtlichkeiten und Liebe, während er mich bloß ins Zimmer schickte, damit ich mich schlafen legen konnte. Er sprach nicht mit mir, lachte viel lieber mit seiner Verlobten.

Darian war meine einzige Stütze in meinem verkorksten Leben, doch auch ihn verliere ihn langsam. Und da begann ich mich zu fragen, wo war der Unterschied zwischen ihm und unseren Eltern? Hier ging es mir immer schlechter und es zog sich wie ein endloser Kaugummi. Die Erniedrigung, die skeptischen Blicke und ihre Gespräche - Sie zerstörten mich. Es tat weh.

»Tracy?« Erschrocken keuchte ich auf und blickte zur Tür. Magdalena hämmerte förmlich gegen die Tür, um die Bestätigung zu erhalten, dass sie mein Zimmer betreten konnte. Ich mochte es nicht sonderlich, wenn sie mein Zimmer betraten. Oftmals herrschte hier völliger Chaos. Genau wie es heute war. Bestimmt würde sie Mal wieder mit mir meckern, mich zurechtweisen.

Das Zimmer eines Mädchens sollte immer sauber und ordentlich sein. Sie sollten anständig sein und ihr eigenes Zimmer auch putzen können. In solch ein Schweinestall will doch niemand.

Diese Wörter glitten mehrmals in mein rechtes Ohr und flossen aus dem linken Ohr hinaus.

»Ich habe dir deine Lieblingsschokolade gekauft. Die, die immer auf der Zunge zergeht. Und deine Lieblingssnacks habe ich in der Schublade verstaut. Kannst sie morgen in dein Zimmer bringen.« Liebevoll lächelte sie mich an und strich sich über ihren bereits gewölbten Bauch. »Ich wünsche dir eine Gute Nacht. Schlaf gut und bis morgen, Tracy.« Sie verließ mein Zimmer. Aprubt flog mein Blick zu der leckeren Schokolade, die sie auf mein Nachtschrank gelegt hatte. Frustessen - so gut wie immer.

....

- Was ist euer erster Eindruck? Hoffe es gefällt euch❤️

Inviolable touchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt