Kapitel 5

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Die Bestien haben die beiden umzingelt und fletschten aggressiv ihre Zähne, als Amelia müde ein Auge öffnet. Schlagartig schoss ihr Puls in die Höhe. Fast unmerklich, ohne sich gross zu bewegen stupste sie Finn an, während sie in die roten hässlichen Augen des Brokers direkt vor ihr sah. „Psschhhht", zischte sie zu Finn, welcher seelenruhig schlief. Mit jeder Bewegung von ihr, schloss sich der Kreis aus Brokern enger. Amelia fasste an ihre Gürtelschnalle und atmete erleichtert auf. Immerhin hatte sie ihren Dolch bei sich. Mehrere Sachen passierten gleichzeitig. Amelia schrie aus Leibeskräften, hob den angekohlten Ast aus der rauchenden Asche und zog ihn über die Schnauze des Brokers, welcher unmittelbar hinter Finns Rücken gelauert hatte. Ohne weiteres ging dieser zu Boden. Zähnefletschend bauten sich die Broker vor der auf dem Boden liegenden Bestie auf. „Finn verdammt, beweg deinen Arsch und hilf mir!", schrie Amelia aus Leibeskräften, während sie das verkohle Holz über einen weiteren Affenkopf schlug. Ein Kampfschrei entfloh ihrer Lunge. Sie traf nicht fest genug und so hinterliess die Kohle lediglich einen dicken, schwarzen Streifen auf dem borstigen Fell des Brokers. Er setze zum Sprung an. Amelia schrie. Ihre Augen panisch weit geöffnet, schoss ihr Arm mit dem Dolch hervor, traf den Broker frontal im Sprung, welcher lustlos zu Boden fiel und Amelia mit sich riss. Sie landete auf dem verdreckten Fell. Mit seinen Krallen schlug der Broker um sich und traf die Flüchtende am Arm. Sie schrie auf und hielt ihn sich. „Hinter dir!" Schlagartig wirbelt sie herum, gerade noch rechtzeitig, um dem rennenden Broker den Ast um den Kopf zu schlagen. Finn stand neben ihr und gab ihr Rückendeckung. Seine Hose war an einer Wade gerissen und verfärbte sich rot. Wie Amelia hatte auch Finn einen Ast geschnappt, welcher jedoch noch nicht im Feuer gelegen war. Seine Hände umfassten den Dolch, welcher in seiner Hand winzig wirkte. Die übrigen Broker umkreisten die beiden, fletschten ihre Zähne. Langsam schwindeten die Kräfte von Amelia. Ihr Arm schmerzte höllisch und schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Sie bekam beinahe noch Luft. „Finn! Was jetzt?" Sie versuchte ihren Körper ruhig zu halten, ihr Blickfeld wurde schwarz am Rande und es schien als grinsten die Broker ihre Beute an, als hätten sie schon gewonnen. Es waren so viele! Amelia tastete nach Finn in ihrem Rücken. Er war nicht mehr dort. Panik. Gerade als der Broker vor ihr zum Sprung ansetzten, wurde Amelia vom Boden gehoben. Keuchend starrte sie auf die weissen Fangzähne, welche ihre Füsse um eine haaresbreite verpassten und mit einem knallenden Schlag aufeinandertrafen. Der Broker fiel mit einem Jaulen zu Boden und rappelt sich sofort wieder auf. Hinkend zog er sich zum Baum, an welchem bereits einige von ihnen hochkletterten. Sie hatten sich auf die umliegenden Bäume verteilt und waren beinahe auf der gleichen Höhe angelangt wie Finn und Amelia. „Schneller Finn!" Rote Augen funkelten sie aus der Tannenspitze an. Der Ast unter dem affenartigen Wesen, wackelte bedenklich und Amelia hoffte er würde hinunterfallen. Sie waren keinen Meter von dem Baum entfernt. Der Broker holte mit seiner Tatze aus. Amelia trampelte mit ihren Füssen gegen sein Gesicht. Er jaulte auf, fiel vom Ast und erwischte Amelia mit seinen Krallen am Bein, beim kläglichen Versuch sich fest zu halten. Amelia schrie auf und wand sich. „Halt still!", fauchte Finn sie an. In seiner Stimme, war die Anstrengung zu hören und seine Flügelschläge waren träge und langsam. Augenblicklich hielt sie inne. Sie waren aus der Baumkrone raus. Erleichtert atmet Amelia auf. Die Broker verfolgten sie auf dem Boden. Finn keuchte und Amelia hoffte einfach, dass er sie nicht loslässt. Vertrau mir, hatte er gesagt. Und das war das Einzige was sie tun konnte. Vertrauen. Finn flog gezielt auf einen Felsvorsprung zu, welcher ein Stück höher war, als die Baumkrone. Amelia umfasste Finn mit allen Kräften, sodass er nicht zusätzlich ihr ganzes Gewicht halten musste. Was sich jedoch mit einem schmerzenden Arm, als schwierig herausstellte. Der Felsvorsprung war wenige Meter entfernt. Die Broker hatten nicht aufgegeben und waren unter ihnen. Seine Flugbahn schwankte und sein Schweiss lief an ihr herunter. Mit den letzten Flügelschlägen erreichten sie den Vorsprung. Die Landung war hart und sie rollten um ihre eigene Achse, bevor beide voneinander gerissen wurden und schliesslich keuchend auf dem harten Felsen liegen blieben. Amelia hatte sich leicht den Kopf gestossen, war jedoch bis auf ein paar Kratzern und einer tiefen Schürfwunde am Ellenbogen unversehrt gelandet. Finn lag auf dem Bauch, seine bräunlichen Flügel hatten den schimmernden Glanz verloren und lagen schlaff über seinem Körper. Sie verdeckten sein Gesicht. Amelia robbte zu ihm hin, zog seinen Flügel behutsam zur Seite und blickte in ein schmerzverzehrtes Gesicht. Über sein geschlossenes Auge lief eine Blutspur von seiner Stirn. Mehrere kleine Kieselsteine hatten sich in seine Stirn gebohrt und sein T-Shirt war an der Schulter komplett zerrissen. Schrammen an der Schulter zeigten sich. Ächzend drehte Amelia Finn zur Seite. Er schrie kurz auf und biss die Zähne zusammen. Er lebte. Gott sei Dank! Überglücklich drückte Amelia ihn fest an sich. Das Glück hielt nicht lange. Amelia fasste sich an den Kopf. Er brummte und es fühlte sich an als sässe ein Schwarm Hornissen in ihrem Kopf. Ihre Augen waren zusammengenkiffen und sie fiel rücklings auf den Boden zurück. Sie trampelte und schrie, was das Zeug hält. Da war es wieder. Finn konnte es sehen. Ihre rote Aura. Sie war so gewachsen, dass diese beinahe den ganzen Felsvorsprung einnahm. Amelia schrie so laut, dass es im an den andern Felskanten widerhallte, bevor die Farben gleichzeitig mit ihrem Geschrei erloschen und sie schweratmend am Boden zurückblieb.

Es musste viel Zeit vergangen sein, bis sich jemand von ihnen regte. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und schenkte ihnen Wärme.

Amelia erhob sich und schielte über den Abgrund. Offensichtlich hatten sich die Biester verzogen, als die Sonne den Tag brachte. Erleichtert schnaufte sie auf. Die Felswand war zu steil, um hoch zu klettern. Entsprechend war sie auch zu steil, um sie hinunter zu klettern. Amelia lehnte sich an die kühle Felswand und kickte lustlos Steine über den Rand. Wie soll sie da runterkommen? Sie fühlt sich so schlecht, dass Finn erschöpft ist, weil er sie auch noch aus der Situation retten musste. Mit einem Ächzen setze sich gesagter neben sie und legte eine Hand auf ihr Knie. Seine Finger waren verschmiert mit Blut. Amelia legte ihre kleine Hand auf seine. Das Blut auf ihren aufgeschrammten Knöcheln war ebenfalls getrocknet und liess die Hand bleich erscheinen. „Danke Finn, dass du mich gerettet hast." Ein kurzes Schmunzeln. „Danke, dass du mir vertraut hast." „Was hätte ich sonst tun sollen?", lachte Amelia und schüttelt ihren Kopf, sodass ihre langen haselnussbraunen Haare vor ihr Gesicht fielen. Sanft schob Finn die Haare hinter die Schulter zurück. „Ich will dich doch ansehen können." Geschmeichelt wandte sich Amelia ab und blickte über die Baumkronen hinweg. Es war überwältigend. Man konnte meilenweit sehen. Es schien am Horizont noch so viel Neues auf sie zu warten, das spürte sie. Der riesige Wald erstreckte sich so weit, bis gewaltige Berge die unendliche Sicht abschnitten. Es schien als wären sie in einem gigantischen Tal. Amelia hatte noch nie so weit in die Ferne gesehen. Denn nicht einmal auf des Königs Hügel in der Mitte der Stadt konnte man so weit sehen. Sie war überwältigt. „Schön, nicht wahr?" „Wahrhaftig!"

Sie schwelgten im Panorama, bis Amelia die Stille brach. „Wie will ich da nur wieder herunterkommen?" „Ich werde dich hinunterfliegen." „Das geht nicht Finn. Schau dich an! Wie erschöpfst du meinetwegen bist!" „Sag mir eine andere Möglichkeit, dass wir vor Dämmerung wieder unten sind und noch genug Zeit haben von hier zu verschwinden und uns einen sicheren Schlafplatz zu suchen?" Amelia seufzte. Gewonnen!

„Amelia klebte wie ein Klammeräffchen an Finn. Ihre Beine waren um seine Hüften geschwungen und ihre Arme um seinen Hals. Sein Körper war warm und als er seine Flügel öffnete, konnte sie jeden seiner Muskeln spüren. Gleichzeitig merkte sie auch, wie er scharf die Luft einzog. Eine Schramme zog sich über seine Schultern bis zu seinem eingeprägten Flügeltatoo auf dem Rücken, sodass seine Federn auf der linken Fügelseite leicht zerzaust waren. Als seine hellbraunen Flügel zu ihrer ganzen Form herangewachsen waren fragte er sie: „Und bereit?" Doch bevor sie antworten konnte, legte Finn seine Arme um ihren Rücken und stürzte sich den Felshang hinunter. Amelia drückte sich fest an Finn und schrie, während des Freien Falls. Ihr Herz schien in die Hose gerutscht zu sein, als Finn die Flügel spannte und sie sofort langsam über die Baumwipfel gleiteten. Amelia blinzelte böse zu Finn hoch, welcher sie jedoch nur keck anlächelte.

Amelia merkte, wie Finn bereits schwächelte und bestand darauf den letzten Teil zum Lager zu Fuss zurück zu legen.

Die Asche, des erloschenen Feuers lag verstreut umher und man konnte grössere und kleiner Pfotenabdrücke ausmachen. Ihr Schlaflager aus der Decke war verschwunden. Es lagen nur noch einige Stofffetzen umher. Amelias Jacke war unauffindbar. Glücklicherweise war seine Jacke noch vorhanden und erstaunlicherweise unbeschädigt. Die Broker, welche sie hier besiegt hatten, lagen unbeweglich und starr an Ort und Stelle und fingen bereits an nach Verwesung zu stinken. Amelia rümpfte die Nase, schnappte sich die Ledertasche, klopfte die Asche und den Dreck herunter und wandte sich zu Finn. „Komm, wir gehen!" Dieser hatte sich die Jacke über die heile Schulter gehängt und lief ihr voraus. Zum Glück konnten die Broker tagsüber nichts sehen und verkrochen sich in sicheren Verstecken. 

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