"Boa, was ist das denn?" Amelia war erstaunt wie der Boden vor ihr mit einem weissen Staub bedeckt waren, der die Steine und den Weg anfangs nur verschleierte und schliesslich je weiter sie nach oben sah, komplett versteckte. Fasziniert kniff sie die Augen zusammen und begutachtet es von ganz nahe, als könne es jeden Moment davonlaufen. Vorsichtig legte sie ihre Hand hinein und machte ein geschocktes Gesicht, als sie darin verschwand. Ihre Augen waren riesig und die Jungs konnten ihre Lacher nicht mehr zurückhalten. "Das ist Schnee." Ruan und Finn hatten bereits von Schnee gelesen. Amelia schien jedoch keinen Schimmer davon zu haben. Sie zog ihre Hand zurück, schüttelte die hängen gebliebenen Schneeflocken weg und wunderte sich, dass es sich so kalt anfühlte. Schnee. Der war ihr nicht ganz geheuer. Gemeinsam wateten sie durch die Masse an Schnee. Ruan voraus und die anderen in seinen Fussstapfen.
Der Berggipfel war nicht mehr weit entfernt. Sie kämpften sich weiter durch den Schnee, die dünne Luft und den aufkommenden eisigen Wind. Amelia zog den Jackenkragen höher und wagte die letzten Meter. Das Trio atmete wie eine Herde wilder Pferde, als sie auf der Spitze standen. Voller Erstaunen blickte Amelia hinunter. Ihre Fussstapfen waren die einzige Unregelmässigkeit in diesem dichten Schnee, der unberührt dalag. Weiter unten konnte Amelia das Tal der tausend Mäuler ausmalen und es schüttelte sie beim Gedanken daran. Dahinter lag der Wald und ein kleiner Punkt, der Lerimed sein musste. Finn trat hinter sie. "Gewaltig nicht!" Amelia war nur fähig zu nicken. Seine Hände umfassten sie und fühlten sich gut an. Der Wald leuchtete nicht grün und saftig, sondern eher verwelkt und alt. Ab diesem Moment wurde ihr bewusst, wie wichtig ihre Gabe ist, die sie in sich trug.
"Kommt mal her!" Die beiden liefen zu Ruan, der mit einer Hand in die Tiefe zeigte. "Ihr habt auf den Frühling gesehen. Hier daneben ist der Sommer." Er schweifte mit der Hand nach rechts. "Der Herbst. Und auf der anderen Seite der Winter. Ist das nicht unglaublich! Der Berg der Götter." Voller Unglauben standen die drei auf dem höchsten Berg, der das Herz aller Jahreszeiten zu sein schien. Der Sommer war durchzogen von steppenartigen Wiesen und Weiten aus Sand. Ein kleiner Punkt befand sich ziemlich weit aussen. Das musste die Stadt des Sommers sein. Es hatte allen die Sprache verschlagen. Amelia blickte auf den Herbst hinunter. Wälder in gelben, roten und orangen Farben leuchteten sie an, dunkle Wolken und dahinter steinige Gebilde, auf dem sich eine weitere Stadt befand. Ruan blickte auf die weisse Ebene, auf der sich Wasser in Rissen zwischen den Eisplatten zu einem Muster aus verspielten Linien formten. Das war das Unglaublichste, was Amelia je gesehen hat. Ihre Stadt und Hachmared waren nicht die einzigen. Es gab noch so vieles weit draussen. Ruan blickte auf den Sommer und erinnerte sich seiner verlorenen Liebe und seiner verlorenen Männer. Kurz schloss er die Augen. Mit den Fingern schätzte er die Distanz vom Sommer zu Lerimed und erkannte, wie gross die zurück gelegte Strecke damals wirklich war. Gelesen hatte er bereits von einer Theorie, die besagte, dass alle Jahrezeiten exisitierten, doch glauben konnte er es nicht. Bis zu diesem Zeitpunkt.
Die Faszination war den dreien ins Gesicht geschrieben. Wegen all diesen neuen Eindrücken, entfiel Amelia, weshalb sie überhaupt hier waren.
"Wo sind denn nun die Drachen der ewigen Liebe?", wollte schliesslich Finn wissen und wandte sich zu seinem Bruder. Ruan reichte den beiden mit ernster Miene ein Schwert. "Ihr werdet es brauchen." Amelia reichte er ein kleineres mit Smaragden und Schnitzereien am Knauf und am Parier. Es lag trotz ungewohntem Gewicht gut in der Hand. Die Schwerter von Finn und Ruan waren deutlich grösser und ebenfalls verziert. "Ich kenne niemanden der jemals hier oben gewesen war. Die Informationen über die Drachen der ewigen Liebe sind rar und wir müssen darauf vertrauen." Ruan war nicht glücklich ein kleines altes Buch mit unzuverlässigen Informationen in der Hand zu halten. "Die Drachen sind in verschiedenen Höhlenbereichen verteilt. Jedes Drachenpaar schläft zusammen. Sie sind unzertrennlich und erwachen nur wenn sie getrennt werden. Daraufhin reagieren sie gereizt und aggressiv. Durch ihre Besessenheit müssen sie miteinander verbunden sein und kämpfen bis an ihr Ende für den anderen. Einer der beiden muss deshalb besiegt werden, sodass sich der übrig gebliebene Drache eine neue Bezugsperson suchen muss." Ruan legte das Buch zur Seite. "Das sind alle Informationen die wir haben. Ein Buch 'Wie zähme ich einen Drachen ohne zu sterben', wäre hilfreicher gewesen." Langsam klopfte die Angst bei Amelia an. Finn sah ihre unruhigen Farben und trat hinter sie. "Ich werde dich beschützen, meine Kleine. Nochmals verlier ich dich nicht!" Sichtlich entspannte ihr filigraner Körper sich.
Die Rucksäcke und Mäntel, welche sie am Kämpfen hinderten, liessen sie im Schnee liegen. Der Eingang in das Höhlensystem befand sich auf der Winterseite leicht unterhalb vom Bergspitz. Amelia sog die eisige Luft fest ein, bevor sie die beklemmenden Höhlen betrat. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte Amelia zwei riesige Gestalten vor ihr erkennen. Kleine Steine, die von der Decke gefallen sein mussten, und Staub bedeckten die Körper. Ein schriller Schrei entfloh ihr. Sofort hielt sie die Hände vor den Mund und starrte panisch auf Bewegungen der gigantischen Kreaturen. Wie versteinert, verharrte das Trio. Die gewaltige Vorderkralle eines Drachens kratzte über den Boden und hinterliess tiefe Spuren und ein ekelhafter Widerhall. Die schwarzen Krallen, wirkten an dem sonst schuppigen Körper, ausgefallen. Die Muskeln in den Hinterkrallen zuckten. Kein gutes Zeichen. Amelia biss sich auf die Unterlippe. "Sie erwachen! Angriff!" Ruans Kampfschrei wurde von allen Seiten zurückgeworfen, als er nach vorne auf die Drachen stürzte. Mit seinem Schwert streifte er den Fuss, aus welchem sofort eine goldene Flüssigkeit tropfte.
Auf einmal passierten mehrere Dinge gemeinsam. Amelia öffnete ihre geschlossenen Flügel und hielt sie sich vor das geblendete Gesicht. Nach ein paar Wimperzuckern, standen beide Drachen auf ihren Hinterklauen und brüllten die Eindringlinge an. Ihr sonst matt beschuppter Körper leuchtete in grün und blau und die gewaltig grossen Flügel waren zum Kampf gespannt und berührten die Höhlendecke. Der ganze Rücken war mit langhaarigem weissem Fell bedeckt, welches strahlte und die gesamte Höhle erleuchtete. Geblendet kauerte Ruan am Boden und hielt sich schützend das Schwert vor die Brust. Die Drachen brüllten immer noch ohrenbetäubend laut. Einer fixierte Amelia. Seine Augen, die mit der Grösse von Finns Hand verglichen werden konnten, funkelten sie an. Finn hatte grosse Hände. Sie waren zu Schlitzen verengt und feurig rot. Ein magischer, wie aufgemalter, goldener Strich senkrecht über die Augenlider verzauberte Amelia zu lange. Der Drache hatte sein Mund bereits geöffnet, als Amelia sich auf den Boden warf. Niemand hatte geahnt, dass diese Kreaturen eine Art Gas aus ihrem Mund sprühen konnten. Auf einmal war die gesamte Hölle eingenebelt. Das Licht ging aus und niemand konnte etwas sehen. Mit dem Gas breitete sich auch ein beissender Geruch aus. Amelia robbte auf dem feuchten Boden weiter. In der Hoffnung eine Höhlenwand anzutreffen, an der sie Sicherheit suchen konnte. Unbeholfenheit breitete sich in ihrem Körper aus. Sie war verloren, allein im Dunklen.
Finn drehte sich an Ort und Stelle langsam um die eigene Achse. Ein Geräusch, wie das einer Implosion erklang. Der Druck auf den Ohren war so stark, dass Finn sein Schwert fallen liess und sie zuhielt. Klirrend landete es am Boden. Das Gas verzog sich so schnell wie es gekommen war und die Drachen begannen erneut damit die Höhle auszuleuchten. Eine Klaue hob sich und traf gefährlich nah neben Finn auf den Boden auf. Ruan flog in die Lüfte und stach sein ganzes Schwert in das Hinterbein. Kraftvoll zog er es sofort wieder aus der Wunde. Goldenes Blut spritze aus ihr heraus. Der Drache bäumte sich auf und schlug den Schwanz in die Höhe. Ruan wurde durch die Luft geschleudert und drohte an die Wand zu knallen. Amelia stiess sich mit aller Kraft vom Boden ab und konnte Ruan in der Luft abfangen. Sie hörte ihr Blut in den Adern rauschen. Zusammen fielen sie zu Boden.
Ihre Schürfungen verheilten schnell. Doch Ruan musste auf den Fuss gefallen sein. Schmerzverzehrt humpelte er über den Boden und fluchte. Schnell sandte Amelia ihm einen Teil ihrer Energie. Er erschrak anfangs und blickte zu ihr. "Achtung!" Ruan schwang sein Schwert und traf die Schnauze. Finn war derweilen zwischen den beiden Giganten eingekesselt. Mit viel Mut und Angst um ihren Liebsten, stiess Amelia ihr Schwert in einen der Zacken auf dem Schwanz des minimal kleineren Drachen. Dieser jaulte auf. Ein schrilles Quietschen hallte an den Wänden wider. Ihre weissen Flügel trugen sie weg vom gefährlichen Aufenthaltsort. Finn hatte sich aufgerappelt und stiess sein Schwert dem Drachen in die Schulter. Das Gold verfärbte sein schneeweisses Fell und verklebte. Gas verdeckte erneut die Sicht und sie waren ihrem Gehör ausgeliefert. Die Drachen bewegten sich mit schleifenden leisen Bewegungen. Amelia trat auf den Boden. Schreiend wurde sie wegeschleudert. Sie konnte den Schlag nicht parieren, weil sie nichts sah. Schmerzverzehrt lag sie am Boden. Ihr Oberschenkel war verdreht. Tränen traten in ihre Augen. Sie biss sich auf die Zähne und sandte Energie zu ihrer Wunde, da hörte sie Finn schrill schreien. Ihr Herz zog sich zusammen. Obwohl sie viel Kraft für die Heilung selbst brauchte, sandte sie sofort einen Teil zu Finn. Die Implosion fegte den Nebel weg. Finn lag unter den grossen Klauen eines Drachens. Sein Kopf in der goldenen Flüssigkeit, die aus dem Fuss sickerte. Sein Körper war zu Boden gedrückt und er versuchte sich vergeblich daraus zu winden. Finn schnappte nach Luft, doch der Drache liess nicht locker.
Ruan tänzelte in der Luft um den anderen Drachen herum und schnitt ihm einzelne Wunden, die wie kleine Striche aussahen, in die schuppige Haut. Amelia blickte auf ihr Bein. Der Heilprozess war langsamer, weil sie weniger eigene Energie hatte. Sie stand humpelnd auf ein Bein. Liegenbleigen war keine Lösung.

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Frühlingskind
FantasyABGESCHLOSSEN "Der Nebel war noch dichter geworden, um sie herum war es stockfinster und sie konnte ihre Begleiter nicht hören und schon gar nicht sehen. Als sie eine weitere Minute nur ihnen eigenen Atem vernehmen konnte, versuchte sie gar nicht er...