Amelia stand in der Küche und kochte einen Gratin aus Kartoffeln und Gemüse, als Finn in das Haus trat. „Die Türe bei der Bibliothek ist geölt." Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu und Finn fühlte sich auf einmal schlecht. Sogar Panik, eines der intensivsten Gefühle brachte Amelia nicht zu ihrer Entflammung der Gabe. Irgendein Gefühl musste es doch geben, dass so stark ist, dass es ihr helfen kann. Finn wusste, dass Ylvy gesagt hatte sie konnte sterben, bei der Entflammung ihrer Gabe. Dieser Gedanke machte ihm Angst, doch eine todunglückliche und kranke Amelia, bereitet ihm mehr Sorgen. Sie muss es einfach schaffen. „An was denkst du, mein Engel?" Mit den selbstbemalten Kochlappen seines Cousins, stellte Amelia den dampfenden Gratin auf den Tisch. Finn schüttelte den Kopf. „Ich habe mit meinem Bruder gesprochen. Er meint er wolle in den Krieg gegen den König ziehen." Stille breitet sich aus. „Aber wir sind doch viel zu wenige?" Ihre Stimme war leise und sachlich, doch ihr Herzschlag raste. Ihr Gegenüber schluckte. „Wir werden uns nach Hilfe aus den anderen Völkern umsehen." „Den anderen Völkern?" Amelia war angespannt und verwirrt. Finn hielt die Gabel sanft umklammert und blickte in ihre wunderschönen grünen Augen. „Engel sind nicht die einzigen Wesen auf diesem Planeten. Es wird eine Zeit lang dauern, bis wir uns genug Verstärkung für einen Kampf geholt haben. Bis dahin, werden wir wie gewohnt weitermachen." Er lächelte sie an und übermittelte ihr nicht das Gefühl von Unwissenheit sondern von Geborgenheit.
„Finn? Deine Pflanze scheint zu vertrocknen. Wann hast du die denn das letzte Mal gegossen?" Genannter trat in Unterwäsche und mit einem Handtuch aus dem Badezimmer. Mit dem Handtuch wuschelte er sich durch die Haare, die nun wie ein undefinierbarer Haufen abstanden. „Du darfst sie giessen." Seine Stimme war keck und Amelia nahm die Giesskanne nur ganz vorsichtig. Kritisch überprüfte sie die Pflanze.
„Boa, die leuchtet!" Völlig fasziniert betrachtet Amelia die Schönheit einer einzelnen Blume. Violette Farben aus unterschiedlichsten Nuancen umgaben Amelia. Faszination. „Komm, ich zeig dir etwas!" Finn stieg die Hühnerleiter im Schlafzimmer nach oben und öffnete das Fenster. Frische Nachtluft kühlte den Raum und die wolkenlose Nacht gab die Sicht auf den gigantischen Sternenhimmel frei. Finn trat nach draussen auf den breiten Sims seines Fensters und Amelia tat es ihm nach. Ihre Augen strahlten beim Anblick und ihre Farben wurden stärker. Rot mischte sich darunter und vermischte sich mit dem violett. „Ich werde dich nun tragen, denn wir müssen kurz fliegen." Amelia nickte und er hob sie sanft hoch. Sein warmer Unterarm berührte ihre kalten Beine und so flog er an der Felswand entlang nach oben bis an die Kante, wo der Wasserfall von einem langsamen sanften Fluss in das wild tobende Ungeheuer gewandelt wird. Er landete sanft und setze Amelia ab. Ihre Füsse traten auf die kalte Wiese und kuschelte sich ins Gras. Es roch frisch und blumig. Vor ihr tat sich ein riesiges Feld auf mit hunderten von diesen leuchtenden Blüten, die ihre Gesichter zum Mond streckten. Zwischen den Blumen waren kleinste Bäche und Vertiefungen, wo Wasser floss, dass die Blumen durchgehend zum Leuchten brachten. Es sah aus wie in einem Märchen. Die Sterne funkelten und die Blumen leuchten kräftig. „Es ist wunderschön!" Finn stellte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schulter. „Du bist der erste Engel, dem ich diesen Ort je gezeigt habe." Erschrocken, aber geschmeichelt sah sie zu ihm auf. Seine weichen Augen blickten in die ihren und er drehte sich ab, dass er direkt vor ihr stand. Ihre Gefühle schienen sich nicht zu erholen und tanzten freudig um ihren kleinen Körper herum. Sie wurden grösser und ein kleines Funkeln in ihren Augen verriet ihm mehr über ihre Gefühle. "Wir wissen noch nicht alles voneinander und doch habe ich das Gefühl dich schon ewig zu kennen. Es ist ein dankbares Gefühl jemanden bei sich zu haben. Jemand, der nach der Arbeit zu Hause auf einen wartet. Jemand, der einem zuhört. Du bist in den letzten Tagen zu diesem Jemand geworden. Und ich muss zugeben, ich habe dich stets begleitet, weil ich fasziniert von dir war – habe es jedoch nicht zugegeben." Er wendete den Blick kurz von ihr ab auf das raschelnde Gras. Amelia biss sich auf die Lippen und wartete gespannt. Seine Worte flossen wie Energie durch ihren Körper und sie fühlte sich erfüllt und geborgen. Finn sah die immer grösser werdende Aura um Amelia. Ihr Körper strahlte Wärme aus. So gross war sie noch nie gewesen. Amelias Farben breiteten sich aus und umschlossen die beiden Körper gänzlich. Finn wusste, es könne Amelia töten, wenn er die Worte aussprach, die vor seinem inneren Auge umhertanzten. Es könnte möglicherweise auch ihre Gabe auslösen. Die kleine Hoffnung und der beinahe zwanghafte Wunsch Amelia die Gabe zu geben, liessen ihn handeln. Die junge Frau lehnte geduldig ihren warmen Körper an seinen. "Ich liebe dich!" Die Farben wuchsen und bevor Amelia reagieren konnte, lagen seine weichen Lippen auf ihren. Sie fühlten sich kalt an und doch kribbelte ihr ganzer Körper. Finns Augen waren geschlossen und vertieften den Kuss. Amelia tat es ihm gleich und vertiefte den Kuss. Ein grossartiges Gefühl schoss durch ihren Körper. Liebe.
Schlagartig löste sich die Spannung aus Amelias Körper. Ihre Lippen lockerten sich und Finn konnte ihren Körper abfangen, bevor er zu Boden fiel. Er legte ihren schlaffen Körper auf sein angewinkeltes Knie und sah auf die vollen halboffenen Lippen. Ihre Augen waren gänzlich geschlossen. Für einen Moment setzte sein Herz aus. Hatte er sie mit einem Kuss getötet?
Seine hellbraunen Flügel umschlangen das Paar. Finn drückte Amelia fest an sich und eine Träne ran seine Wange hinunter. Ihr schlaffer Körper strahlte nur ganz schwache Farben ab. Ihr Herz schlug noch, doch sie atmete nicht. Das Gesicht völlig entspannt, lag sie in seinen Armen als würde sie schlafen. Auf einmal schnappte sie nach Luft, wie ein Kind, welches das erste Licht der Welt erblickte. Die hellbraunen Flügel öffneten sich rasant, um ihr Luft zu geben. Finn wischte seine einzelne Träne aus den Augen. Sie atmete wieder. Gefangen starrte er auf den Brustkorb von Amelia, der sich hob und senkte. In der Angst sie könne erneut aufhören zu atmen, konnte er den Blick nicht von ihr wenden. Nach einiger Zeit sah er in ihr unverändertes Gesicht. Gefasst und erleichtert hob er den schlaffen kleinen Körper auf und atmete tief durch. Mit sanften Flügelschlägen hoben sie vom Boden ab und Finn brachte Amelia zurück in das warme Zimmer. Behutsam legte er sie auf das Bett. Sie sah aus wie Tod. Nur das Heben und Senken des Brustkorbes liess Finn nicht zusammenbrechen. Was wenn sie nie wieder erwacht?
Finn konnte eine Herde herumschleichender Broker unter ihm erkennen, als er zu Ylvys Haus flog. Es war bereits spät und praktisch keine Lichter drangen aus den Häusern. Auch bei seiner Oma war es finster. Er klopfte an und wartete eine ganze Weile, bis seine Oma mit Kopfhaube, Nachthemd und Latschen verschlafen die Türe öffnete. Ihr Blick verschärfte sich sofort, als sie die unschlüssigen und schuldigen Gefühle von Finn wahrnahm. "Was hast du angestellt?" Mit einer Handbewegung liess sie den jungen Mann eintreten und tippte auf den Lichtschalter, der das Wohnzimmer erhellt. Finn blinzelte gegen das Licht an und setzte sich ungeduldig auf einen Stuhl. In aller Ruhe setze sich Ylvy ihm gegenüber, faltete die Hände und sprach in einer beruhigenden Stimme: "Erzähl, mein Junge."
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Frühlingskind
FantasyABGESCHLOSSEN "Der Nebel war noch dichter geworden, um sie herum war es stockfinster und sie konnte ihre Begleiter nicht hören und schon gar nicht sehen. Als sie eine weitere Minute nur ihnen eigenen Atem vernehmen konnte, versuchte sie gar nicht er...