Kapitel 29

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Mit einem Schnappen war Ruan plötzlich im Mund des Drachens verschwunden. "Nein!" Amelia schrie und streckte den Arm aus.

Als hätte der Drache einen Floh im Maul, wendete und drehte er den Kopf. Ruan hatte den Drachen inwendig verletzt, sodass dieser aufschrie und Ruan, am ganzen Körper klebend von weissem Schleim, aus dem Mund polterte. Seine Flügel waren verklebt und er drohte zu Boden zu fallen. Amelia trat auf ihr schmerzendes Bein und rannte. Erneut gelang es ihr Ruan im Flug aufzufangen. Dieses Mal sanfter, legte sie ihn am Boden ab und er blickte sie dankend an. Finn schrie, denn der Drache war gefährlich nah bei seinem Kopf, während Finn unter seinen Klauen lag und mit seinem jämmerlich kleinen Schwert sich zu retten versuchte. Amelia flog in die Lüfte und stiess der Kreatur das Messer mit einem Kampfschrei in die grün beschuppte Schulter. Mit aller Kraft zog sie es zurück. Ein Schnappen neben ihrem Körper liess sie aufschrecken. Der Drache war wild geworden und schlug unkoordiniert aber gefährlich mit seinen grossen Krallen im Raum umher. Der Luftzug brachte Amelia zum Taumeln und ein Schlag traf sie. Sie verlor das Gleichgewicht und ging im Sturzflug zu Boden. Schreiend landete sie auf dem bereits angeschlagenen Bein und hielt es sich fest. Sie lag am Boden, total erschöpft. Sie heilte sich ganz langsam, denn Finn hatte viel Energie von ihr. Er atmete heftig und seine Bewegungen waren träge. Der Drache wandte sich wieder ihm zu. Er machte das Maul auf und weisse scharfe Zähne traten zum Vorschein. Die gefletschte Oberlippe und sein dunkles Fleisch traten ebenfalls nach vorne. Ganz sachte näherten sich die scharfen Zähne Finn. Ruan wurde gleichzeitig gefangen genommen und war in der Klemme zwischen dem Schwanz des anderen Drachen. Die Zacken auf dem Schwanz verdeckten Amelia die Sicht zu ihm. Er gurgelte und es hörte sich an, als ersticke er nächstens. Amelia schrie aus Leibeskräften. Sie warf das Schwert zu Boden, stiess sich vom Boden ab und flatterte kraftlos in die Luft. Zwischen beiden Drachen blieb sie stehen. Beide Schnauzen drehten sich zu ihr und waren keine Körperlänge von ihr entfernt. Amelia schloss die Augen, streckte die Hände auf beiden Seiten aus und hob den Kopf. Sie liess einen kleinen Tornado unter ihr aufkommen, sodass sie in der Luft stehen konnte, während der Luftzug den Drachen durch das Fell strich und den alten Dreck von ihren glänzenden Schuppen wegfegte. Genüsslich wandten sie ihre Köpfe und schüttelten sich entspannt. Ruan schnappte nach Luft, als er aus der Klemme fand und auch Finn schloss die Augen, endlich unter der Klaue hervorgekrochen zu sein. Die Winde wurden fester und heulten in der Höhle auf, als zwischen allen Ritzen Luft hinauszog. Die Drachen drehten sich verspielt auf den Rücken und liessen die Luft genüsslich über den beschuppten Bauch wandern. Die Jungs trauten ihren Augen nicht, als sie in der Höhlenmitte über allen triumphierte. Amelia liess die Winde abflachen und streckte ihre Hände seitlich aus. Ihr Herz klopfte und in ihrem Kopf drehte sich alles. Sie brauchte mehr Energie und war nahe dran, Finn die Heilenergie zu entziehen. Doch sie biss sich auf die Zähne und kniff die Augen zusammen. Das Adrenalin gab ihr Kraft. Beide Drachen legte ihre nasse Schnauze in die feinen kleinen Hände von Amelia. Ruan liess sein Schwert fallen. Das Klirren widerhallte mit den tiefen genüsslichen Grollen der zwei gigantischen Kreaturen. Amelia hatte es geschafft. Niemand musste sterben und die Drachen hatten sich selbst und gehorchten trotzdem. Sie fiel beinahe, als sie die Erleichterung traf. Der Tornado wurde weniger und Amelia begann mit den Flügeln zu schlagen und setzte sich sanft am Boden ab. Sie blickte nach oben. Mit der kraftvollsten Stimme, die sie aufbrachte sprach sie: "Der Frühling braucht eure Hilfe. Das Gleichgewicht der Jahreszeiten ist in Gefahr!" Die Drachen nickten, als verständen sie ihre Sprache und schlenderten gemächlich zum Ausgang der Höhle. Ruan fuhr sich ungläubig durch die Haare und Finn zuckte nur mit den Schultern.

Das angeschlagene Trio suchte seine Sache zusammen. Gleichzeitig trampelten die Drachen verspielt im Schnee herum und putzen sich gegenseitig. Der eisige Wind schien ihnen nichts auszumachen. Amelia sah sich die Wunden der anderen kurz an. Blaue Flecken und kleine Schrammen waren am ganzen Körper verteilt, doch dank ihrer Kraft heilten die grössten Verletzungen bereits. Auch bei den Giganten waren die Wunden verkrustete. Nur das vertrocknete goldene Blut klebte am Körper. Amelia pfiff und sie legten sich sofort hin und nahmen mit ihren grossen Klauen die drei ganz sanft auf ihre Rücken. Amelia auf den Kleineren und die anderen beiden auf den Grossen. Das schneeweisse Fell, war weich und gab ihnen einen guten Halt. "Ruan, wo müssen wir überhaupt hin?" "Zu den Kobolden, bei dem Vulkan, der die Grenze zwischen Frühling und Sommer bildet." Amelia pfiff aufs Neue und die Drachen setzen sich in Bewegung. Sie rannten die ersten Schritte und schlugen gleichzeitig mit ihren riesigen Flügeln. Amelia mussten sich mit aller Kraft am Fell festhalte und biss sich auf die Zähne. Die Schläge schmerzten am ganzen Körper. Vor Allem bei ihrem verdrehten Bein, welches sie zu gerne besser stabilisiert hätte. Erst als die Drachen abhoben und in der Luft schwebten, wurde es ruhiger. Amelia liess die Luft aus und fand es gewaltig interessant den weichen Flügelschlägen der Giganten zu beobachten, sodass der Schmerz in den Hintergrund rückte. Trotz ihrer Grösse gelang es ihnen sich bei dieser dünnen Luft oben zu halten. Erstaunlich. Diese riesigen Wesen waren besser ausgerüstet als sie mit ihren Engelsflügeln. Amelia schmunzelte und war gewaltig froh, nicht noch einmal durch das Tal der tausend Mäulern gehen zu müssen. Sie kuschelte sich in das weiche Fell ein, zog die Jacke höher und vertraute auf die Orientierung der Drachen. Das regelmässige Flügelschlagen und der tiefe langsame Herzschlag wiegten sie in den Schlaf.

Der Schweiss lief Amelia am Körper hinunter, als sie erwachte. Die Luft war warm und die Sonne schien direkt auf ihren Rücken. Nur einzelne Quellwolken spendeten kurz dankbaren Schatten. Die Jungs waren direkt hinter ihr und diskutierten angeregt. Amelia winkte ihnen zu und Finn unterbrach die Unterhaltung und zeigte nach unten. Sie waren beinahe am Ziel. Der aktive Vulkan war bereits deutlich zu erkennen. Die Lava zog sich wie klebriger Kaugummi den Hang hinunter, bis sie an der Luft erhärtete. Amelia wurde nervös. Sie hatte noch nie einen Kobold gesehen, geschweige denn wusste sie wie diese aussahen. Während dem Flug hatte sie ausschliesslich geschlafen.

Ohne Kommando hielten die beiden Gigaganten auf steinigem dunklem Boden. Hier bestand alles aus verhärtetem Lavagestein. Nur vereinzelt war ein kleiner trockener Busch oder ein Grashalm zu entdecken. Die Steine reflektierten die grosse Hitze der Sonne ab und es wirkte zusätzlich wärmer. Das Trio hatte mittlerweile alle Mäntel beiseitegelegt und standen in ihren Alltagskleidern, die sie an den Armen hochgekrempelt hatten, auf dem unebenen Boden. Finn und Ruan waren in Alarmbereitschaft und hatten die Hände bereits am Knauf ihres Schwertes. Gedeckt stand Amelia hinter den beiden. Auch ihre schwitzigen Hände umfassten das Schwert, als von verschiedensten Orten aus den dunklen lavageformten Löchern pummelige rote Bällchen hervor gesprungen kamen. Mit Gegenständen, wie einem Schwert, Steinen, Holzkeulen oder den blossen Händen, rannten sie mit Kampfgeschrei auf sie zu. Ihre seitlich rund abstehenden Augen liessen nicht genau erkennen wohin sie springen wollten. Amelia blieb vor Schock das Herz stehen. Waren das nicht sanftmütige Wesen? "Wir kommen in Frieden", rief Ruan sofort und ging auf die Knie. Sofort verstummte das Geschrei, als der Kobold mit einem grossen glitzernden Stein um den Hals die Hand hob. Er schien der Anführer zu sein. Amelia stiess die angehaltene Luft leise aus.

"Liebe Koboldgemeinschaft, wir kommen in Frieden und mit der Bitte um eure Hilfe in einem Krieg auf unserer Seite." Ein Grummeln ging durch die Massen. Einige von ihnen rümpften die Knollennase und andere nuschelten an ihrem dunkelgrünen Fell herum, welches ihren gesamten Bauch, Rücken, Hals und Kopf bedeckten. Die weiblichen Kobolde hatten ihr helleres grünes Fell am Kopf zu hübschen Zöpfen oder Maschen frisiert. Sie wirkten einiges gelassener, als mit dem Kampfgeschrei.

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