Kapitel 25

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Die Flotte aus Engeln färbten den Himmel schwarz, als sie kurz vor dem Dorf landeten. Jeder von ihnen, beladen mit einem Körbchen. Geflochten mit verschiedensten Materialen. Die hellen unter ihnen mit Wildem Hopfen, einige mit Efeu und die dunklen Körbe mit Waldrebe. Andere Körbe waren aus Birkenrinde. So unterschiedlich die Körbe waren, so verschieden war das Farbspiel der kleinen und grossen Flügel der Engel, die in sanften Schritten auf die Gruppe kleiner Wichtel, die sich hinter den Beinen von Amelia zu verstecken versuchten, zutrat. Ruan nickte den Engeln zu und bat sie die Körbe mit den Wichteln zu beladen. Vorsichtig stiegen die ersten in die mit Tüchern ausgelegten Körbchen.

Alle Engel hoben sich leicht ab Boden und während sich einige Wichtel im Inneren verborgen hielten, blickten andere voller Freude über den Rand hinaus. Ruan schickte die gesamte Engelsflotte mit einer Handbewegung fort und sachte flogen sie alle davon. Ein kleiner Stich und ein leichtes Unwohlsein erfüllte Amelia. Ihre neue Familie, die gesamte aufgestellte Bande war definitiv weg. "Wo werdet ihr sie hinbringen?" Ihre Stimme zitterte, als sie zu Ruan sprach. Sachlich wie ein Anführer sprach er: "Sie werden im Haupthaus unterkommen, bis wir alle Truppenmitglieder zusammen haben." Sie nickte und sah dem dunklen Punkt im Himmel nach, bis er beinahe gänzlich verschwand. "Komm, wir müssen uns auf den Weg zu den Drachen der ewigen Liebe machen." Sanft nahm Finn ihren Arm und zog sie hinter sich her. Der Weg würde kein leichter werden. Bis es dunkel wird, sollten sie die Schlucht der tausend Mäulern hinter sich gelassen haben. Ruan blickte skeptisch zum Himmel. Die Wolken von gestern hatten sich verzogen und die Sonne schien bereits kräftig. Zu kräftig für Ruan. Sie mussten sich beeilen.

Die Drachen der ewigen Liebe waren nur auf dem Berg des ewigen Schnees zu finden. Dieser ragte meilenweit aus dem Nichts in die Lüfte. Von einigen Wesen wurde er als Berg der höheren Macht empfunden und verehrt. Das Trio flog mittlerweile den ganzen Morgen. Amelias Flügel schwächelten und Finn kämpfte mit sich selbst. Das Fliegen mit vernarbtem Flügel musste unglaublich anstrengend sein und Amelia bekam es mit dem eigenen Gewissen zu tun. Die Sonne brannte auf ihre Rücken und liess sie zusätzlich schwächeln. Glücklicherweise hielt Ruan an einem glitzernden See. Eine kleine Pause war ihnen wohl vergönnt. Sie füllten ihre Wasserflaschen mehrere Male und hoben gleich wieder in die Lüfte. Amelias Laune verbesserte sich deswegen nicht gerade, beschloss jedoch nichts zu sagen. Keine Viertelstunde später tat sich vor ihnen eine Wand aus Gestein und Nebel auf. Die Luft war deutlich kälter geworden und Amelia konnte hinter sich über eine gewaltige Gegend blicken. Lerimed und Hachmared waren am Horizont als kleine Punkte ersichtlich. Überwältigt von der Aussicht landete sie unkonzentriert neben Finn auf einem der Felsen. Sie fiel auf ihren Po und rappelte sich wieder auf und erkannte erst jetzt wie dicht der Nebel über dem Gestein verlief. Die Felsspalten und Löcher, die sich überall tummelten, erleichterten ein Durchkommen keinesfalls. "Wieso überfliegen wir den Nebel nicht einfach?" Was Amelia als eine selbstverständliche Idee in Betracht zog, liess die Jungs auflachen. Sie zog einen Mundwinkel nach oben, hob die Augenbrauen und wartete auf eine Erklärung. "Wenn ich du wäre, würde ich da nicht drüber fliegen." Ruan lachte. Ernst wandte sich Finn zu ihr. "Zieh deine Flügel ein, meine Kleine. Das hier ist kein Nebel. Das hier ist aufsteigendes Methangas, welches sich mit der Luft vermischt hat und sich aufgrund der tiefen Schluchten mit der Feuchtigkeit zu Nebel formt. Das Gas tritt in den Löchern und Spalten aus dem Moor auf. Solltest du in ein solches Loch fallen, bist du verloren. Je weiter wir reingehen, desto stärker wird der Methangehalt in der Luft. Unserer Haut schadet er nicht, doch den sensiblen Flügeln raubt er alle Kraft und lässt sie auflösen. Die Gase breiten sich weit über die Schlucht nach oben aus, deshalb können wir nicht fliegen. Zudem wird die Luft immer dünner. Ab hier müssen wir alles zu Fuss gehen." Woher wusste Finn so viel? Brav nickte Amelia. Ein leichtes Magengeschwür machte sich bekennbar, als sie in den dichten Nebel blickte. Während Finn das Tal der tausend Mäulern erklärte, hatte Ruan drei körpergrosse Stäbe gesammelt. Er knickte die letzten Äste von den Stäben und überreichte beiden einen. "Den werden wir brauchen. Verliert ihn nicht." Seine Antworten waren nur auf das nötigste beschränkt. Ruan war sehr pragmatisch in dieser Hinsicht. Amelia holte nochmals tief Luft und lief dicht mit den anderen mit. Den Stecken fest in ihrer Hand liefen sie langsam in den beinahe undurchdringlichen Nebel. Sie schlossen sich zu einem winzigen Kreis zusammen und tasten sich nach vorne.

"Achtung, nach links. Hier ist eine Schlucht!" Ruan ging zu vorderst. Amelia suchte die linke Seite nach einer Spalte mit dem Holzstecken ab. Blind zu sein, empfand Amelia sehr beängstigend und hoffte, die Prozedur durch dieses Tal, würde bald vorbei sein. Der Nebel war dicht und nass. Kleine Tropfen liefen über ihre Haut und kühlten sich weiter ab. Je weiter sie in das Tal hervordrangen, desto schwerer wurde es sich zu konzentrieren. Es stank nicht nur nach Methangas, ein anderer Geruch lag in der Luft. Verwesung. Angeekelt rümpfte Amelia ihre Nase und wünschte sich den Geruch ausblenden zu können. Die wenigen Tiere, die es bis hier her geschafft hatten, verwesten langsam im Moor und der ganze Gestank verfing sich beinahe für ewig in dem dichten Nebel. Die Konzentration von allen sank. Jegliches Raum und Zeitgefühl hatte sie seit langem verlassen. Amelia drehte der Kopf, ihre Muskeln schmerzten und sie schloss kurz die Augen. Ganz kurz brauchte sie Ruhe.

"Verdammt, wo ist Amelia!" Finn schrie beinahe panisch und drehte sich in alle Richtungen. Vergeblich er konnte keinen Meter weit sehen. "Amelia?" Finn schrie aus Leibeskräften, doch der Nebel schluckte seine Schreie wie Watte auf seinem Mund. Ruan packte den aufgelösten Finn an den Schultern und schüttelte ihn. "Bruder!" Wie versteinert stand Finn da. Er konnte sie nicht nochmals verloren haben. "Bruder, sei vernünftig und zappel nicht rum. Das Gestein ist nicht fest und wir können nichts sehen. Wie lange ist sie schon nicht mehr bei dir?" Finn zuckte mit den Schultern, bis er feststellte, dass Ruan ihn nicht deutlich genug sah und erwiderte deshalb: "Vor ein paar Minuten war sie noch direkt hinter mir." Seine Stimme bebte und Ruan biss sich auf die Lippen. "Wir werden einen kleinen Teil zurückgehen und sie suchen." Finn atmete flach. "Was, wenn wir sie nicht finden?" Ruan atmete hörbau aus. "Finden wir sie nicht, müssen wir ohne sie weiter. Der Nebel wird kälter und wenn Nacht wird ist hier stockfinster." Kleinlaut nickte Finn. Mit dem Stecken arbeiten sie sich langsam zurück und riefen abwechselnd immer wieder ihren Namen. Vergebens. Amelia war nicht aufzufinden. Die Vorstellung ohne Amelia aus dem Nebel heraus zu kommen, war für Finn unverstellbar und machte ihm Angst. Sie darf nicht in ein Loch gefallen sein. Er hatte sie extra davor gewarnt. "Amelia, wo bist du?" Die Stimme von Finn wurde heiserer. Heisse Tränen vermischten sich mit dem kalten Nebeltropfen in seinem Gesicht. Wildgeworden schrie Finn und tastet sich schneller und unachtsamer nach vorne. Er musste sie finden. Seine Schritte waren unkontrollierte und schnellten nach vorne. Sein Stecken traf ins Nichts. Unvorbereitet liess Finn den Stecken los und hörte wie er mehrere Male an das Gestein traf bevor er verstummte. Er taumelte und seine Flügel wollten bereits ausfahren, doch er durfte nicht. Seine Augen waren aufgerissen und seine Hände ruderten wild in der Luft herum, er drohte nach vorne weg zu kippen. Ruan bekam eine Hand zu fassen und zog seinen Bruder zurück. "Bist du von allen guten Geistern verlassen!" Wütend brüllte Ruan seinen jüngeren Bruder an. "Wir haben bereits ein wichtiges Mitglied verloren, ich kann nicht auch noch dich verlieren!" Die Herzen pochten so laut, man konnte sie beinahe im Nebel widerhallen hören. Finn war sich nicht sicher, welches Mitglied Ruan damit meinte. "Ich habe sie schon wieder verloren. Und dieses Mal richtig." Finn flüsterte ungläubig ins Nichts hinaus. Ruan tastete sich zu ihm und nahm seinen Bruder in den Arm. Er wusste, weshalb er als Anführer keine Frau je an sich herangelassen hatte. Sie bringen zu viele Schmerzen mit. "Finn, mein Bruder, Kämpfer und Seher. Wir haben eine wichtige Aufgabe übertragen bekommen. Das Volk zählt auf uns. Wir sind ihre Hoffnung. Wir müssen weiter. Wir haben einen Krieg zu gewinnen." Finn täubelte und schlug wild um sich. "Nein, nein, nein, sie darf nicht weg sein! Nicht nochmals! Wo bist du Amelia, wooo biist duuu?" Verzweifelt schrie Finn, doch der Nebel gab nicht nach und nach wenigen Meter verloren sich seine Worte in ihm. Ruan drückte seinen Bruder nochmals und half ihm hoch. "Wir müssen gehen." Das Gas begann in den vertränten Augen von Finn zu brennen und so schloss er sie, denn er konnte ohnehin nichts sehen. Ruan nahm Finn an die Hand. Um sicher zu gehen, dass er nicht stehen blieb und zurückrannte. Auch Ruan schmerzte ihr Abschied, doch er konnte wegen ihr das Risiko nicht eingehen, hier nicht mehr lebend raus zu kommen. Sein Bruder war ihm wichtiger. So egoistisch wie es klang, er war froh nicht seinen Bruder verloren zu haben. Bilder nach dem Kampf zwischen ihm und Amelia traten in seinen Kopf. Er schüttelte sie weg und konzentrierte sich auf den Weg vor ihm.

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