Kapitel 30

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Leenie

„Vielen Dank, Doktor. Das beruhigt mich sehr, zu erfahren, dass alles soweit wieder in Ordnung ist.", sagte ich zu meiner Ärztin über Facetime und atmete hörbar aus. Sie hatte mir in der vergangenen Woche bei ihrer Untersuchung Blut abgenommen und mich erneut geschallt. Dabei hatte sie gesehen, dass mit meinem Kind alles in Ordnung war und es auch genug gewachsen war. Es war alles in Normbereich, wie sie es immer so schön ausdrückte. Allerdings machte ihr die Plazenta immer noch etwas Sorgen. Die Ablösung war zwar nicht weiter vorangeschritten, würde aber bei der Geburt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Komplikationen führen.

„Ich bin auch beruhigt, dass die Blutwerte allesamt in Ordnung sind. Allerdings müssen Sie sich noch weiter schonen. Jedoch gefällt mir ihre Gesichtsfarbe. Der Besuch der Zwillinge hat Ihnen sichtlich gut getan.", erklärte meine Ärztin. „Ja, die beiden waren wirklich ein wahrer Lichtblick. Und deren Stiefmutter hat mich ebenfalls bemuttert und mir für drei Tage essen vorgekocht.", erzählte ich lächelnd. Ich war mehr als erstaunt gewesen, dass die Zwillinge mich besucht hatten. Mit einem Schlag standen die beiden quirligen Mädchen vor meiner Tür und umarmten mich stürmisch. Es war das erste Mal seit meiner erneuten Vergewaltigung gewesen, dass sie mich besucht hatten. Aber das war nicht perse ihre Schuld, denn zum Tatzeitpunkt befanden sich beide im Ausland bei ihrem Praktikum. Ich rief sie erst eine Woche vor ihrem Aufkreuzen hier an, denn ich wollte ihre Zeit dort nicht schmälern, beide hatten so dafür gearbeitet und damals über beide Ohren gestrahlt, als sie die Zusage bekamen.

Jons neue Frau war ebenfalls mit von der Partie dabei gewesen und hatte mich etwas sanfter umarmt. Dann hatte sie mich von oben bis unten betrachtet und festgestellt, dass ich viel zu dünn sei. Danach hatte sie sich in die Küche verzogen und uns allen einen leckeren Apfelkuchen gebacken.

Der ganze Tag war einfach ein herrlichen Stückchen Normalität gewesen. Wir vier haben viel gelacht und uns einfach ganz normal unterhalten. Das Thema Ryan hatten wir gekonnt gemieden, wobei ich langsam glaubte, dass Nonna (so der Spitzname von Jons neuer Frau) den beiden Mädchen verboten hatte, etwas in dieser Hinsicht zu verraten. Und dafür liebte ich sie. Sie war ein wahrer Glückstreffer für Jon und seine Familie gewesen. Die Mädchen vergötterten sie und auch wenn Ethan es nie wirklich zugab, so freute er sich doch immer über das Glück seines Vaters.

Gegen Abend hatte Nonna dann verkündet, nach der Geburt hier einzuziehen und mir bei dem Baby zu helfen. Sie meinte, das Wochenbett hieße nicht umsonst so und außerdem war es ja auch das Enkelkind ihrer großen Tochter. Da würde sich das von selbst verstehen. Zudem gab sie mir zu verstehen, dass Jon ebenfalls mit diesem Plan einverstanden war, sodass ich kein wirklichen Argument hatte, etwas dagegen zu sagen. So bedankte ich mich und hielt tapfer meine Tränen zurück. Aber als die Zwillinge mir dann das Versprechen abnahmen, mindestens zwei Bilder pro Woche an sie nach Frankreich zu schicken, war es vorbei. Ich begann wie ein Schlosshund zu heulen und freute mich, dass ich nach wie vor immer noch um meiner Selbstwillen Teil dieser tollen Familie war. Die Zwillinge begannen ebenfalls zu flennen und gemeinsam verbrauchten wir zwei Packungen Taschentücher, bis wir uns wieder erholt hatten. Danach hatte uns Nonna ein wirklich fantastischen Abendbrot gezaubert und mir gleichzeitig eröffnet, dass sie ab sofort zwei Mal in der Woche herkäme und mich bekochen würde. Und wieder wiederholte sie, dass ich zu dünn sei. Doch ich kam wir unförmig vor mit meinem mittlerweile gewaltigen Bauch.

„Miss Rivers?", holte mich meine Ärztin ins Hier und jetzt zurück. „Entschuldigen Sie, Doktor. Aber ich war gerade in Gedanken.", entschuldigte ich mich. „Das habe ich gesehen. Muss eine schöne Erinnerung gewesen sein.", lächelte sie. „Ja, war es. Sagen Sie, Doktor. Mein Gewicht?", fragte ich. „Was soll damit sein?", hakte sie nach. „Ist es für meine Schwangerschaft in Ordnung? Ich komme mir ziemlich dick vor, allerdings sagte die Oma von meinem Kind dass ich zu dünn sei.", erklärte ich. „Ah, ich verstehe. Natürlich könnten ein oder zwei Kilo mehr nicht schaden, aber Sie befinden sich absolut im Rahmen, also machen Sie sich keine Sorgen darüber. Und soweit ich weiß, werden Sie ja bald regelmäßig mit gutem deutschem Essen verwöhnt. Da kommt das dann von alleine.", witzelte sie. Gemeinsam lachten wir. Ja, Nonna war eine Deutsche mit einer echten Bäuerinnenmentalität. Bei ihr ging nichts über ein gutes Essen.
„Da bin ich beruhigt. Dann sehen wir uns in drei Wochen?", fragte ich. „Genau. Und dann gehe ich mit Ihnen den Plan für die Geburt durch.", erklärte sie. Und ich wusste was sie meinte. Sie riet mir zu einem Kaiserschnitt, da sich durch die leichte Plazentaablösung schwere Geburtskomplikationen ergeben könnten. Sie könnte durch Wehen weiter abreissen und zu schweren Blutungen fuhren. Ich jedoch wollte noch ein wenig Bedenkzeit haben, denn mein innigster Wunsch war eigentlich eine natürliche Geburt. „Denken Sie ruhig noch einmal in Ruhe darüber nach. Und beim nächsten Termin wägen wir einfach ab, für welche Option Sie sich entschieden haben. Dann bis dahin Miss Rivers.", verabschiedete sich meine Ärztin. „Bis dann.", sagte ich und legte auf. So langsam wurde es doch ernst und wieder einmal überkam mich die Traurigkeit, all das alleine durch machen zu müssen. Auch wenn ich eine Art Familie hätte, so hätte das alles schon gerne mit Ethan erlebt. Kurz überlegte ich, Marek anzurufen, den einzigen Freund außerhalb dieser Familie, doch ich entschied mich dagegen, denn ich wusste, dass er gerade mitten in einer vierundzwanzig Stundenschicht war.

So schrieb ich ihm lediglich eine Whatsapp und legte mein Handy zu Seite. Dann stand ich auf und ging ins Obergeschoss ins Kinderzimmer. Langsam sollte ich mir Gedanken machen, wie ich es einrichten sollte. Denn bald wäre mein Kind da. Seufzend stellte ich mich in die Mitte des Raumes und dachte an den Anfang meiner Schwangerschaft. Ich war so glücklich gewesen, mir das Kinderzimmer in der gemeinsamen Wohnung von Ethan und mir vorzustellen. Wenn das alles nicht passiert wäre, dann wären wir bestimmt im letzten Monat gemeinsam losgegangen und hätten die Kinderzimmermöbel gemeinsam gekauft. Doch jetzt war ich alleine... Zumindest eine alleinerziehende Mutter ohne Partner.

„So genug Trübsal geblasen!", schimpfte ich mit mir selbst und holte aus meinem Schlafzimmer einen Zeichenblock und skizzierte ein paar Entwürfe, wie das Zimmer wohl aussehen könnte. Nachdem die Ideen endlich Sinn ergaben, setzte ich mich auf die Couch im Erdgeschoss, schaltete meinen Tv ein und lies mich von irgendeiner True Crime Serie berieseln, während ich auf Svens Kosten die Kreditkarte zum Glühen brachte. Denn tatsächlich konnte ich all meine Traumkindermöbel im Internet finden. Es war wie ein Wink des Schicksals, dass ich genau in diesem Zimmer meinem kleinem Engel ein Zuhause erschaffen konnte. Eines, welches ich ihm wünschte.

„Wow, schon fast Mitternacht.", staunte ich, als ich vom Laptop aufsah. Beim Shoppen war mir gar nicht aufgefallen, wie die Zeit gerast war. Nun lief auf dem TV die Mitternachtsnachrichten und ich erschrak. Dort erschien ein Fandungsaufruf zu Ryan. Er wurde als flüchtiger Sträfling ausgewiesen und er wurde als extrem gefährlich betitelt. „Die haben ja keine Ahnung, wie gefährlich.", dachte ich zerknirscht. Doch was mir den Boden unter den Füßen wegriss war der nächste Bericht. Er handelte um Svetlana, die sich seit geraumer Zeit in Gewahrsam befand und die Medien konnten sich erst keinen Reim darauf machen. Später jedoch gaben diese bekannt und das mussten sie wohl aus polizeilichen Ermittlungskreisen wissen, dass es etwas mit Ryan zu tun hatte. Aber was? Soweit ich wusste, kannten sich die beiden doch gar nicht... Oder doch? Und plötzlich ergaben Dinge Sinn. Wie Ryan damals in die Wohnung kam und wieso er von der speziellen Truhe wusste. Aber was sollte ihr das alles bringen? Klar, sie hasste mich, das war nicht von der Hand zu weisen. Aber würde sie mich tatsächlich an einen Vergewaltiger verraten? Und das nur um bei Ethan zu landen? Das ergab doch gar keinen Sinn! So krank konnten Menschen doch nicht sein...

Ich zermarterte mir das Hirn und kam zu dem Schluss, dass ich mit jemanden reden musste. Zuerst dachte ich an meinen Bruder. Doch der schlief um die Uhrzeit schon. Detective Rose könnte mir vielleicht weiterhelfen. Doch am Ende wählte ich eine ganz andere Nummer.

Verschlafen ging er ran und fragte: „Ja?".
„Was war der wahre Grund für unsere Trennung?", kam ich direkt zum Punkt. 

Babysitter 4 Bigbrother Part 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt