Ein Brief an mich

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Hey Margaret,
Geht dieser Brief denn überhaupt an mich? Bist du denn ein Teil von mir? Ich weiß so wenig über dich und das macht mir Angst. Warum bist du so real in meinem Kopf, ganz anders als deine Schwester? Kannst du nicht einfach wieder ein Kinderspiel werden und im Bett schlafen wie es mir nicht gelingt?
Ich fürchte mich vor dir, ich will nicht werden wie du, dabei bin ich es schon. Ich habe deinen Stolz, deine Kälte und deinen Egoismus; ich bin wie du ohne deinen Glanz.
Du bist nicht echt, das ist mir klar. Ich habe dich erfunden und ich habe dich zu dem hier gemacht. Ein Modell. Ein Bild von dem Gefühl. Du bist der Gegner, den ich bekämpfen muss. Du bist das Verlangen, mich selbst zu verletzen. Du bist die Frage, warum ich noch weitermache. Du bist der Moment des Kontrollverlustes, wenn jemand wissen will, ob alles gut ist, für den ich mich später hasse. Das alles bist du, weil es so ermüdend ist, gegen ein Phantom zu kämpfen. Du bist das Gesicht dieses Phantoms.
Gleichzeitig macht es das schlimmer. Es ist nicht eine Eigenschaft, nicht ein Fehler, es ist ein Teil meiner Persönlichkeit; es bist du. Du bist auch, was ich benutze, um mich in den Schlaf zu wiegen. Du bist auch, obwohl du nie existiert hast, meine älteste Freundin, die immer noch da ist. Du bist auch mein Lieblingsspiel. Auch der Name, den ich rufe, wenn ich die Welt nicht mehr ertrage. Drohend, wenn mein Messer nach mir ruft. Flehend, wenn ich nicht mehr weiter kann. Du bist mein Feind und mein Verbündeter zugleich, und außerdem bist du noch ich.
Ich bin deine beste Freundin, die dich immer unterstützt und deine Schwester, die dich zu deinem Besten zurückhalten will - die sich nur wünscht, dass du einmal deinen Stolz beiseite lässt - der du am allermeisten bedeutest - die selbst keine Kraft mehr hat, aber am allermeisten bin ich du, die alle Mühen schätzt und doch selbst zurechtkommen will - die weiß, wie dumm es ist und trotzdem nicht aufgibt - die sich nicht einmal selbst kontrollieren kann.
Weißt du, Margaret, ich will die alten Zeiten zurück, in denen du nur ein schöner Traum in meinen ruhigen Nächten warst, bevor ich eingeschlafen bin. Ich will dich wieder bei mir haben, ohne dass ich immer abschweife und dich verliere.
Du machst mir Angst, Margaret. Und ich vermisse dich.
In Liebe, Lucy.

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