Das Ende

57 13 9
                                    

Seit zwei Wochen weiß ich es jetzt. Ich weiß, dass es zu spät ist, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Mein ganzes Leben besteht nur noch aus Warten. Auf die 8. Klasse, weil ich hoffe, endlich nicht mehr in dieser Klasse zu sein. Auf den Tag, an dem sie es bemerken und ich ihnen sagen kann, was sie mir angetan haben. Und natürlich auf 2020, das Comeback. Den Tag, an dem ich ihn hoffentlich in echt sehen werde. Wenn ich ihn einmal gesehen habe, dann gibt es für mich keinen Grund, warum ich das noch weiter durchmachen sollte. Dann kann ich es endlich beenden. Dann habe ich alles getan, was ich tun muss, kann in Ruhe sterben. Und sie alle sollen wissen, dass der Grund dafür, dass ich noch lebe nicht ist, dass ich gedacht habe, dass meine Familie mich vermissen würde – würden sie das wirklich tun? Nicht,  dass meine Freunde mich vermissen würden – welche Freunde? Nicht, dass ich ihnen nicht den Gefallen tun will – dann hätte ich wenigstens etwas Gutes getan. Nicht, dass ich sie, ihr Gewissen, schonen will – dann hätte ich mich wenigstens gerächt. Nein, nichts davon. Der einzige Grund ist, dass ich ihn sehen will. Er ist alles was ich brauche, er ist der einzige, der mich jetzt noch retten könnte. Er, wenn er mir sagen würde, dass er mich vermissen würde, wenn ich tot bin. Doch wieso sollte er? Er kennt mich doch nicht einmal. Und selbst wenn: Ich bin doch nur die Streberin, die Außenseiterin, ein Niemand. Ich bin nicht hübsch, nicht klug, kann nicht singen, bin unsportlich und komisch. Seltsam. Nicht normal. Und Er? Er ist das komplette Gegenteil von mir. Er ist perfekt! Nun, normal ist er auch nicht, dafür ist er viel zu wundervoll. Warum sollte er sich für mich interessieren? Warum sollte sich irgendjemand für mich interessieren? Immerhin, Vorteile hat das auch. Niemand bemerkt es, wenn ich weine. Niemand fragt nach. Zum Glück. Und ich kann gehen, diesen grausamen Zustand, der sich Leben nennt beenden, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Denn leben kann man das, was ich hier tue, schon lange nicht mehr nennen. Eher existieren. Dahinvegetieren. Nicht tot sein. Wenn ich endlich ganz tot wäre, würde es doch sowieso keiner bemerken. So wie keiner bemerkt hat, dass ich mich immer öfter alleine in mein Zimmer zurückziehe. So wie keiner meine zerkratzen Arme bemerkt hat. Selbst als ich nicht mehr versucht habe, es zu verstecken. Nicht mehr lange. Höchstens noch zwei Jahre. Die erste Hälfte habe ich geschafft. Dann kann ich sie zusammen sehen, ihn sehen. Und dann kann ich in Ruhe sterben, die Menschheit glücklich machen. Dann tut es nicht mehr weh. Dann bin ich meine Gefühle, meine Gedanken und meinen Schmerz los. Dann schlafe ich ewig, weine nicht, weil ich aufwache und merke, dass mein schöner Traum eben nur ein Traum war, habe keine Albträume und bin glücklich. Bin frei. Dann kann ich der Trauer, der Verzweiflung entkommen. Für immer.
Leb Wohl, Welt. Auf Nimmerwiedersehen.
Lucy

************************************

500 Wörter. Was soll ich dazu noch groß sagen?

AloneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt