Dad

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Das klingt so komisch. Schreibe ich das gerade wirklich? "Dad"? So nenne ich dich normalerweise nicht. Nie. Warum jetzt?
Vielleicht klingt es distanzierter. Ja, ich glaube, das könnte der Grund sein. Ich fühle mich dir nicht mehr so nahe wie früher und deshalb will ich auch nicht so klingen.
Vielleicht ist es mit diesem Abstand auch leichter, das hier zu schreiben. Von all den Momenten zu erzählen, die nicht hätten passieren sollen. Von allem zu erzählen, was zwischen uns schief gelaufen ist.
Ich weiß, eigentlich tut man das nicht. Familie ist Familiensache und geht andere nichts an. Trotzdem fühlt sich das richtig und nötig an. Warum, das kann ich nicht sagen. Vielleicht heiligt der Zweck die Mittel, ich weiß es nicht. Vielleicht ist es auch, weil ich glaube, dass die Leute hier ein Recht haben, das hier zu wissen. Vielleicht auch, weil ich weiß, dass du sowieso niemals davon erfahren wirst. Zum Glück. Ich glaube, wenn du das hier wüsstest, hätte ich Angst. Und das ist der Punkt.
Ich sollte keine Angst vor dir haben müssen, aber wenn du mich anschreist, hebe ich die Arme vor mein Gesicht und weiche zurück. Ich fürchte mich. Ich will nicht, dass du mich schlägst, wie du es getan hast, als ich kleiner war, wenn ich meine Schwester geschlagen hatte. Du hast mir alleine die Schuld gegeben. Ich war immer der Meinung, dass sie mich doch nicht hätte provozieren müssen, aber wenn sie weinte, zählten meine Worte nicht mehr.
Ich weiß noch, wie du nach einer Operation für einen Tag im Krankenhaus warst. Ich hätte nie so erleichtert sein dürfen. Als du nach Hause kamst, saß ich im Wohnzimmer und war genervt, dass ich bei dem Lärm der Gespräche nicht mehr lesen konnte. Also legte ich mein Buch eben weg. Ob ich froh sei, dass du wieder da bist, hast du gefragt. Ich habe gezögert, bevor ich "Ja" gesagt habe. Keine Ahnung, ob du das bemerkt hast. Aber es hat so wehgetan, dich dabei anlügen zu müssen.
Ich weiß noch, wie meine Physiklehrerin meiner Mutter eine E-Mail schickte, weil ich meine Aufgaben nicht gemacht hatte. Das erste, worum ich sie bat, als sie nach Hause kam, war, es nicht dir zu sagen.
Du kamst danach in mein Zimmer und wolltest wissen, ob ich mit meiner Mutter über ihr Geschenk gesprochen hatte. Du fragtest mich, ob ich Angst vor dir hätte. Eine rhetorische Frage, natürlich. Und deshalb ist es umso schlimmer, wie lange ich darüber nachgedacht habe. Und langsam glaube ich, dass die Antwort ein Ja ist.
Ich erinnere mich an so viele Momente, in denen du wegen irgendetwas genervt warst. Oft ging es im meine Schwester. Ich sagte du solltest dich beruhigen. Ich hasste deinen aggressiven Tonfall. Und dann wurdest du wütend. Wir haben uns angeschrien, so oft. Meistens rannte ich dann in mein Zimmer und weinte. Das ist immer noch so.
Das ist der Grund, warum ich so viel im meinem Zimmer bin. Ich verstecke mich - vor dir. Davor, dass du mich so oft wegen irgendetwas kritisierst. Ich soll Vokabeln lernen, soll mich mit Freunden treffen, nicht immer nur in meinem Zimmer bleiben. Ob du es glaubst oder nicht, ich habe gehört wie du über mich lästerst. Ich kann nicht über deine Witze lachen, solange ich das im Hinterkopf habe. Die Momente, in denen du dich mit anderen streitest - man hört es durch die ganze Wohnung. Die Podcasts, die du hörst. Die Serie, die du schaust. Die Fussballspiele. Ich mag das nicht. Du sagst mir ich soll ertragen, wenn mir etwas nicht gefällt, aber das ist eben fast immer so. Ihr interessiert euch nicht für meine Meinung und du am wenigsten. Das ist der Grund, warum ich meine Mutter schon immer lieber mochte als dich. Und wenn ich genauer darüber nachdenke, glaube ich, dass es wie bei meiner Tante ist. Wir sind uns einfach zu ähnlich, oder nicht? Zwei starke Persönlichkeiten, die ganze Zeit in einer Wohnung. Das kann nicht gut gehen. Deshalb habe ich meine Kunst-Aufgabe gemacht. Häuser fotografieren, wie toll. Aber immerhin war ich dann weh von zu Hause, weg von dir.
Ja, ich habe Angst. Nicht vor dir, sondern vor allen Menschen. Aber das kann ich dir doch nicht sagen. Du würdest es nicht verstehen.

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