Unsichtbar

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Es gibt eins, das du lernst, Schattentänzerin. Die Menschen drehen sich nicht um. Sie bemerken nicht, was hinter ihnen ist. Vor allem nicht, wenn du es bist. ~03.05.2019

Ich habe mich schon immer irgendwie unsichtbar gefühlt. Ich war immer irgendwie eine Außenseiterin – wurde akzeptiert, habe aber nirgends wirklich dazugehört. So gut wie nie ist jemand aktiv auf mich zugekommen, hat mit mir gesprochen. Es war aber auch niemand beleidigend – sie haben mich schlicht nicht wahrgenommen, nicht beachtet. Das war schon immer so. Ich kannte es nicht anders, dachte, das wäre normal.

Ich bin unsichtbar, in jeder Hinsicht. Meine Probleme sind unsichtbar, ich habe sie unsichtbar gemacht. Ich wurde gemobbt, zwei Jahre lang. Aber ich habe so gut wie nie darüber gesprochen. Nur, wenn ich beleidigt oder geschlagen wurde. Nur wenn es stärker war, extremer. Aber Mobbing ist nicht nur verbale oder körperliche Gewalt. Auch Ausgrenzung ist Mobbing. Wenn niemand in der Klasse mit dir in ein Zimmer will. Wenn sie Angst haben, anderen sagen zu müssen, dass sie mit dir in ein Zimmer müssen. Wenn du schreien willst, dass sie doch deinen Namen sagen sollen, statt von der Person zu sprechen, die sie nicht mögen. Von der sie offen sagen, dass sie mit ihr, mit dir nicht in ein Zimmer wollen. Wenn du nur eine Freundin hast und kaum jemand nett zu dir ist. Niemand eingreift oder etwas tut. Wenn Menschen deinen Mobber lustig finden. Ja, manchmal haben Leute mit mir gesprochen. Ja, manchmal hat mir jemand geholfen. Aber was ist mit dem Tag, an dem ich nach der Pause weinend ins Klassenzimmer kam? Hat meine Lehrerin etwa nachgefragt? Psychische Gewalt ist genauso schlimm wie körperliche Gewalt. Auch wenn man sie nicht sehen kann.

Ich habe mich daran gewöhnt, unsichtbar zu sein. Ich habe es genutzt. Ich habe Witze darüber gemacht, aber Fakt ist, dass niemand meinen Geburtstag kennt, weil ich ihn niemandem gesagt habe, bis auf vielleicht drei Personen. Fakt ist, dass meine Klasse glaubte, ich würde sie nicht mögen, weil ich mich unsichtbar gemacht und in meinem Schildkrötenpanzer verkrochen habe. Fakt ist, dass der Witz, ich sei ein Alien, sich viel zu real anfühlt und denkt ist, dass ich mich immer in den Schatten versteckt habe und in den entscheidenden Momenten dann doch viel zu sichtbar war. Ich liebe das Scheinwerferlicht und die Dunkelheit in einem kleinen Raum. Ich liebe es, unsichtbar zu sein, aber manchmal will ich auch gesehen werden.

Ich bin auch unsichtbar, wenn ich weine. Auch unsichtbar, wenn ich denke, dass ich Hilfe brauche. Meine Probleme sind unsichtbar, solange ich die richtigen Noten habe und selbst wenn nicht, wird das auf alles mögliche geschoben. Der tausendste Ausrutscher, anstatt, dass man endlich diese Erwartungen fallen lässt und mir sagt ich könnte das doch, wenn ich es vor Jahren gekonnt habe. Meine Probleme sind unsichtbar, weil ich so unauffällig bin. Weil ich alles so sehr überspiele, dass man denken kann, es sei ja alles normal.

Meine Probleme sind nicht unsichtbar, aber sie werden nicht gesehen. Weil ich nichts sagen kann und Veränderung langsam geht. Weil nie gefragt wird "Wie geht es dir?", sondern immer nur "Dir geht es doch gut. Oder?" Weil man nicht sehen kann, was man nicht sehen will, sodass es egal ist, wie schlecht ich lüge.

Und wenn die Nacht mich unsichtbar macht, dann liege ich da und weine still und heimlich im Dunkeln. Während die Schwärze jeden Schatten und der Schlaf jeden Schrei verschluckt.

Und am Tag lache ich über tausend Witze und ignoriere den Stich in meinem Herz, wenn meine Identität einfach nur als "Zu viele Aufkleber" abgetan wird, während ich mich gerade gesehen gefühlt habe. Ich bin wohl doch unsichtbar.

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Einige Gedanken meinerseits. Unsichtbarkeit ist nicht immer ein Vorteil, wie man hier sieht. Probleme wegzuleugnen oder unsichtbar zu machen, löst diese nicht.
Representation matters!
~Cel, oder die Stimme aus den Schatten.

AloneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt