Ich war auf dem Markt. Wir hatten bereits Mitte April. Die schlimmsten Monate waren überstanden, wenn man nach dem Wetter ginge. Alles andere sei mal offen gelassen.
Wir hatten alle Hunger und ich konnte mich nicht daran erinnern wann ich das letzte mal wirklich satt geworden war.
Ich bin mit meinem Onkel her gefahren. Überall auf dem Markt hörte man Getuschel.
Die Franzosen und Amerikaner würden schon kurz vor der deutschen Grenze stehen und in spätestens 5 Tagen auch uns erreicht haben.
In die Stadt nahm ich die Kinder nicht mehr mit. Meine Nachbarin schaute auf Maria und die anderen beiden spielten in der Zeit mit ihren Freunden. Lissy war zum Glück wieder auf den Beinen.
Die nazis richteten alle „Feinde" sofort hin. Ohne Prozess.
Ich machte mich mit Onkel Bruno wieder auf den Heimweg. Wir hatten selbst nicht viel zu verkaufen und die meisten hatten kein Geld etwas zu kaufen.
Onkel Bruno brachte mich ein Stück aus der Stadt, danach würde ich alleine heim laufen. Er macht sich aus „Geschäftlichen Gründen" auf in Richtung Norden. Was genau er sich dort erhofft, wusste ich nicht und ich glaube er auch nicht wirklich. Aber ich ließ ihn gehen. Wir hatten nichts zu verlieren.
Ich stieg auf mein Rad und machte mich wieder auf den Heimweg.
Ich war in Gedanken versunken, als ich plötzlich lautes Geschrei hörte. Ich lief an einem der etwas größeren Häuser vorbei. Im Hof standen überall SS-Leute und was mich noch viel mehr schockte- sie standen in einer Reihe mit ihren Waffen in der Hand. Auf der gegenüberliegenden Seite ein Mann. Er stand dort nur in Unterwäsche- hatte allerdings schwere Soldaten Schuhe an. Ein Deserteur.
Desertieren war wehrkraftszersetzung, das wusste ich. Darauf stand der Tod.
Sie würden ihn doch wohl nicht-
„ANLEGEN" schrie plötzlich jemand und Blitzschnell wurde mir klar, dass sie es würden. Sie würden ihn töten. Sie würden ihn erschießen. Rechts am Boden eine weinende und schreiende Frau. Seine Ehefrau. Zwei SS Männer mussten sie fest halten, da sie wild um sich schlug.Sie war jung. Hübsch. Genau so wie ihr Mann. Sofort musste ich an Anton denken. Wenn er dort stehen würde...
Die beiden sahen sich an. „Ich liebe dich" formte der junge Mann in Richtung seiner Frau mit seinem Mund.
Eine Kurzschlussreaktion reichte aus. Ich ließ mein Fahrrad fallen und rannte zum Hof.
„Stop! Sofort aufhören" schrie ich. Ich wusste nicht was in mich gefahren war, weder was ich vor hatte. Ich glaube es war der Gedanke an Anton. Wären wir das gewesen, hätte ich mir gewünscht jemand hätte das gemacht.Lebensmüde stellte ich mich vor den Mann. Angesicht zu Angesicht mit den Soldaten.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals.„WAS SOLL DAS!? SOFORT WEGTRETEN." hörte ich die selbe stimme wieder schreien. Diesmal meinte diese Stimme mich.
Ich rührte mich allerdings nicht.
"Na gut, wenn sie nicht wollen, haben wir heute schon die zweite Hinrichtung, denn auch die begehen hiermit wehrkraftszersetzung." Vernahm ich die tiefe Stimme erneut.Ich werde sterben, ging es durch meinen Kopf. Was sollen nur meine Geschwister machen. Ohne mich haben sie keinen mehr. Panik machte sich in mir breit, gleichzeitig jedoch eine Ruhe. Ich würde bei Anton sein. Bei meinen Eltern. Ich würde sie wieder sehen, sie umarmen. Ich müsste sie nicht länger vermissen. Ich wäre bei ihnen.
Oder?Es war kalt. Kalter Beton berührte meinen Rücken. Ich bemerkte wie sich eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper ausbreitete. Ich dachte an meine Familie, als ich ein neuen Befehl vernahm, nun Schulter an Schulter mit dem mir, fremden Mann.
Vor mir verschwomm alles. Ich dachte an die Zwillinge und Maria. Um Himmels Willen, meine Familie zuhause. Bruno würde sich solche Vorwürfe machen. Ich dachte wieder an Anton, den ich jetzt wieder sehen würde, sowie meine Eltern.
Ich schaute auf die Äste des kahlen Baumes die sich sanft im kalten Wind biegten.
Ich schloss meine Augen und nahm einen tiefen Atemzug.
Sage xx