Wir saßen am Küchentisch und frühstückten. Es war ein komischer Morgen. In mir fühlte sich nicht ein einziger Knochen bereit sich zu bewegen. Ich konnte einfach nicht mehr. Antons Verlust bricht mir immer noch täglich das Herz. Ich hätte ihn niemals gehen lassen sollen.
Warum tue ich mir das alles überhaupt noch an? Fragte ich mich. Ein Lachen ließ mich aufschauen. Lissy. Darum mache ich es noch. Wegen ihnen. Wegen Maria, Lissy und Peter. Ohne mich hätten sie keinen mehr. Aber wen hab ich? Wer passt auf mich auf? Wer sagt mir, was richtig und was falsch ist? Wer sagt mir was ich machen soll? Ich bin gerade einmal 19 und habe drei Kinder, die ich alleine groß ziehen soll.
Ich starrte noch immer vor mir auf den Tisch. Ich hatte einfach keine Kraft. Ich kämpfe mit den Tränen.
Als wäre das nicht genug ist jetzt auch noch eine riesige Essensknappheit „ausgebrochen", obwohl es schon vor Kriegsende verdammt knapp war. Dazu wohnt jetzt noch ein Soldat bei uns. Der Feind, was uns sechs Jahre lang eingebläut wurde. Was ist an den ganzen Reden von Hitler und Göring dran? An den ganzen Sachen, die uns in der Schule und beim BdM gelehrt wurde? Ich wusste nicht einmal, an was ich glaube.
Mein Körper war noch immer viel zu schwer zum bewegen, geschweige denn aufzustehen und die weinende Maria auf den Arm zu nehmen und zu schaukeln, bis sie nicht mehr weint. Ich hatte erst jetzt bemerkt, dass die Zwillinge raus gegangen waren. Wenn Anton nur da wäre. Oder Mama. Oder Papa. Aber sie werden niemals wieder da sein. Nie. Wieder.
Ich fing an zu weinen. Es war kein schönes weinen. Es war ein hässliches. Und ich wollte nicht einmal damit aufhören. Es tat gut alles raus zulassen, was sich die letzten Monate und Jahre angestaut hatte.
Ich weinte und weinte. Meine Arme hatte ich auf dem Tisch abgestützt und meinen Kopf in den Händen vergraben. Ich kann nicht sagen, wie lange ich so da saß, aber es war lang. Vor lauter Schluchzen hörte ich auch nicht, wie jemand die Treppen hinunter kam und im Türrahen stehen blieb.
Mein Herz blieb fast stehen, als ich plötzlich eine Hand auf meinem Arm spürte. Diese Hand war definitiv zu groß um einem meiner Geschwister zu gehören. Erschrocken fuhr ich hoch und schaute in die blauen Augen von dem Soldaten.
Schnell wischte ich mir die Tränen weg und versuchte es so aussehen zu lassen, als hätte ich nur geschlafen oder so und nicht geweint. Vergeblich. Ich hatte schon total rote verquollene Augen die brannten wie Feuer. Er würde mir das sowieso nicht abkaufen.
"Wo sind deine Kinder?" Fragte er mich. Ich stand auf. Weshalb redet er mit mir? Seine Hand lag noch immer auf meinem Arm. Meine Augen wanderten auf seine Hand und anschließend zurück zu seinem Gesicht. Er nahm seine Hand wieder runter.
Er schaute mich noch immer erwartungsvoll an, als ich begann den Tisch abzuräumen. "Sie sind draußen. Außerdem sind sie nicht meine Kinder." Erwiderte ich knapp. Er beobachtete mich bei meinem Tun genau. Ich bemerkte wie es in seinem Kopf ratterte. "Sie sind meine Geschwister." Half ich ihm, da ich nicht wollte, dass sein Kopf zerbrach.
Er atmete aus. "Warum weinen Sie dann?" Fragte er erneut. "Ich habe nicht geweint." "Doch" erwiderte er und brachte mich damit ein wenig aus dem Konzept. "Nein." Ihn geht das gar nichts an ob- und warum ich weine. Ich warf den Lappen mit dem ich gerade noch den Tisch abgeputzt hatte auf den Tisch und ging weg. Ich kannte ihn nicht einmal. Was bildet er sich ein.
Gerade als ich die Treppe hoch gehen wollte hörte ich draußen ein lautes Geräusch und anschließendes Kinder weinen.