Teil 6

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Wie sonst auch versuchte ich mich möglichst leise an Nikki anzuschleichen und wie immer bemerkte sie mich. Noch bevor ich ganz bei ihr war und BUU! Rufen konnte, drehte sie sich schon um und verschränkte die Arme vor ihrem Körper. Nikki hatte das besondere Talent, einen immer das Gefühl zu vermitteln das sie überlegen war. Ihre dunklen, beurteilenden Augen, das dünne Lächeln und die gerade Haltung. Nikki war immer im Hintergrund und dennoch schien sie immer über allem zu stehen. »Du wirst es nie schaffen mich zu erschrecken« bemerkte sie mit einen spöttischen Lächeln und hob eine Augenbraue. »Eines Tages schaff ich es« beteuerte ich und gab meine lauernde Anschleichhaltung auf »Und dann wirst du dich RICHTIG erschrecken.« Lächelnd boxte mir Nikki gegen die Schulter, dann schlängelte sie sich weiter durch die Menschen, die zu dieser unheiligen Zeit draußen waren. Ich folgte ihr natürlich. Auch wenn Nikki vier Jahre älter war als ich, verbrachten wir viel Zeit miteinander, auch wenn wir sehr unterschiedlich waren. Ähnlichkeit machte nicht immer Freundschaft aus. Als ich sie eingeholt hatte, hielt ich ihr die kleine Box mit Pixel vors Gesicht, weil ich mir sicher war, dass es sie interessierte. Nikki war technisch sehr begabt. Offenbar war Pixel nicht darauf gefasst gewesen, jemand anderen als mich zu sehen. Er piepste kurz und ich war mir nicht sicher ob er es aus Freude oder aus Schock tat. »Ich bin Pixel« ratterte das kleine digitale Tier nun auch Nikki vor  »Ginessas persönlicher, digitaler« »Ich weiß schon was du bist« Nikki unterbrach Pixel ganz dreist und schob ihn wieder von ihren Gesicht weg »Du hast also auch so ein Ding bekommen?« fragte sie mich. »Ja, von Grinsie« lächelte ich und steckte Pixel wieder weg, bevor er noch auf die Idee kam weiter zu reden, am besten über seine zahlreichen Fähigkeiten. »Grinsie, ein passender Name für den Verrückten« Nikki lachte kurz, bog dann von der Hauptstraße ab und suchte sich ihren Weg durch die engen Nebengassen. Manche von ihnen waren so schmal, dass man nicht mal nebeneinander laufen konnte. Ich folgte ihr in die muffige Seitenstraße hinein, auch wenn ich mich nicht ganz wohl dabei fühlte. 

»Ja, der Typ hat irgendwie eine Schraube locker. Ich glaube der nimmt Drogen« grinste ich vergnügt. Allerdings verstummte ich gleich, weil man meine Stimme gefährlich laut zwischen den Häusern klang. Die Hauptstraße war noch einigermaßen sicher, aber bei den vielen Seitenstraße konnte man nie so genau wissen ob hier nicht doch jemand lauerte. Und vor allem konnte man sich hier furchtbar leicht verlaufen. Ich konnte schon gar nicht mehr zählen wie oft Nikki und ich durch diese Gassen geirrt waren, unfähig den Weg zurück zu finden. Einmal waren wir ganze zwei Tage verloren gewesen, bis wir zufällig auf Felix, einen der Ältesten Kinder, getroffen waren. Er hatte uns wieder zum Waisenhaus gebracht, sonst hätten wir vielleicht nie zurück gefunden. Die Insel war zwar nicht so groß, aber furchtbar verzweigt und verwinkelt. Die meisten Wege mündeten in Sackgassen. In irgendwelchen Hinterhöfen oder dreckigen Hauseingängen. Ich wartete eine Weile darauf das Nikki noch etwas sagte, aber wie so oft blieb sie einfach still. Sie war kein sehr gesprächiger Typ, auch wenn sie sicher viel zu sagen hätte. Ich mochte Gespräche eigentlich, aber mir fiel nichts ein, worüber ich großartig mit ihr reden könnte. Man durfte Nikki nicht mit Oberflächlichen Themen langweilen, damit verscheuchte man sie leicht. Oder es war auch möglich, dass sie sich gerade sehr auf den Weg konzentrierte, damit wir uns nicht verliefen. Bevor ich also etwas falsches sagte, sagte ich also lieber gar nichts und eilte einfach nur neben ihr her. Mitten hindurch durch die engen Gassen, in denen die Hitze noch schlimmer war wie auf den breiteren Hauptwegen, obwohl wegen der hohen Häuser nie ein Sonnenstrahl den Boden berührte. 

Wir liefen eine halbe Stunde und inzwischen waren wir beide ziemlich durchgeschwitzt, auch wenn wir leichte Kleidung trugen. Erst als Nikki vor dem großen, verrosteten Aufzug stehen blieb, wusste ich wo sie hin wollte. Sie wollte runter, in den Untergrund. Obwohl die Hochhäuser die die ganze Insel bedeckten viel Platz für Leute hatten, war es dennoch nicht genug. Deswegen hatten die Menschen angefangen sich tief in das Erdreich zu graben. So war der Untergrund entstanden. Zumindest war das die eine Geschichte, die über diesen Ort kursierte. Die andere besagte, dass die Untergrundstadt älter war, als die hier oben. Angeblich war der größte Teil der Stadt da unten, aber das konnte ich nicht beurteilen. Ich war noch nie dort gewesen. Kinder hatten im Allgemeinen Angst vor Kellern, weil sie dunkel waren und gruselig. Und der Untergrund war wie ein riesiger Keller. Ich wusste von keinen der Waisenkinder, der schonmal dort unten gewesen war, zumindest nicht in unserem Alter. Selbst Erwachsene wagten sich nur selten dort hin. Nikki schien aber offensichtlich keine Angst zu haben. Sie drückte den Knopf und trat in den klapprigen, käfigartigen Kasten der nach einigen Minuten kam. Sie trat ohne zu Zögern ein, ich blieb stehen. Wenn Nikki da runter ging, konnte es nicht so schlimm sein. Und sie würde mich auslachen, wenn ich ihr sagen würde das ich nicht runter wollte, weil es dort dunkel war und man sich schlimme Dinge über diesen Ort erzählte. »Komm schon. Der Fahrstuhl funktioniert super« bekräftigte sie mich, offenbar in der Annahme das ich vor dem Aufzug Angst hätte. Jetzt konnte ich ihr erst Recht nicht mehr sagen dass dieses rostige Ding mein kleinstes Problem war. Zögernd trat ich ebenfalls auf die alte Plattform die uns gleich tief unter die Erde bringen würde. 

Der Aufzug wackelte kurz, wie als wollte er gleich zusammen brechen und ich sprang schon fast neben Nikki und stellte mich ganz, ganz dicht neben sie. Nikki ehrte meine Tapferkeit, in dem sie sich dieses mal nicht darüber lustig machte und einfach nur den Knopf drückte. Ein paar Momente passierte rein gar nichts, dann gab es einen Ruck und der Aufzug stürzte, noch mit der offenen Tür, ein paar Meter den Schacht hinunter. Ich dachte schon das unser letztes Stündchen geschlagen hätte und verfluchte Nikki im stillen, da stoppte der Aufzug ebenso abrupt wieder und wir machten unfreiwillig einen Hopser. Ich fiel dabei um, Nikki landete auf ihren Füßen. Ganz die Königin die sie war. Die Tür des Aufzugs schloss sich nun, die Deckenlampe blinkte kurz wie als wollte sie sich entschuldigen, und wir fuhren ganz sanft weiter hinab. Nikki sah belustigt auf mich hinunter, nahm dann meine Hand und zog mich auf die Beine »Du musst einen schlechten Einfluss auf den alten Kasten haben, sonst tut er sowas nicht« schmunzelte sie, wie eine Art Entschuldigung. Ich rieb mir nur kurz den schmerzenden Hintern »Es war gleich liebe auf dem ersten Blick« brummte ich ironisch. Hoffentlich würde der Weg zurück an die Oberfläche besser aussehen. Und hoffentlich würden wir überhaupt wieder an die Oberfläche kommen.

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