»Aber wir haben wirklich keine Ahnung, wo sie steckt!«
»Dann müsst ihr sie eben suchen.«
»Aber wir haben ja nicht mal einen Anhaltspunkt! Wir sind völlig planlos, dass kann Monate, wenn nicht Jahre dauern bis wir sie endlich mal finden! Wenn sie nicht ohnehin schon Tod in einem Graben liegt! Oh, Sorry Gin, ich meins nicht so. Aber" seine wütenden Augen durchbohrten wieder die alte Frau "Du, äh, Sie haben doch mehr als genug Leute! Sollen die doch nach ihr suchen!«
»Bedauerlicherweise kann ich momentan niemanden bereitstellen, der nach einem verschollenen Mädchen sucht« Amslets Stimme klang höhnisch »Aber ich bin so lieb und gebe euch beiden Schätzchen einen Hinweis: Schaut in der Unterstadt nach und sucht dort nach Jackobo. Sie schuldet auch ihm Geld, vielleicht weiß er ja wo sie hin ist.«
»Nikki schuldet noch mehr Leute Geld? Unmöglich!« rutschte mir heraus, bevor sich mein Hirn anschaltet um mir sagen zu können, dass ich besser den Mund halten sollte. Denn auch wenn diese alte Frau nicht so aussah, war sie offensichtlich doch der Boss einer der gefährlichsten Banden auf der Insel. Amslet zuckte nur mit den Schultern »Was meine Gläubiger machen, geht mich nichts an. Ich will nur das Geld zurück. Ob sie jemand anderen etwas schuldet oder nicht ist nur in so weit für mich interessant, als dass ich weiß, wer es noch auf sie abgesehen haben könnte. Tote zahlen ihre Schulden nicht zurück.« Ich nippte erneut an dem Tee, ohne dabei wirklich etwas von dem ekligen Zeug zu schlucken. In die Unterstadt sollten wir also. War es das, was Nikki getan hatte, als ich ihr dorthin gefolgt war und sie verloren hatte? Hatte sie sich Geld bei diesem Jackobo geliehen? Ich würde es wohl bald herausfinden. Ich stellte die Tasse weg und erhob mich hastig, hauptsächlich, um diesem grausigen Tee zu entkommen aber auch, da es mir allgemein in den Füßen juckte, Nikki endlich zu finden. Wenn dieser Jackobo sie in seine Finger bekommen hatte, und dieser so Rücksichtslos war wie Kredithaie es im allgemeinen eben waren, dann steckte meine Freundin vielleicht in Gefahr und jede Sekunde zählte. »Wir gehen gleich los« beschloss ich und auch Imp stand, nicht weniger rasch, auf. Amslet nahm nur ruhig einen Schluck, so gar nicht angesteckt von der Aufregung die uns befallen hatte »Wie ihr meint Kinderchen« sie wühlte kurz in den tiefen ihres Pelzmantels und zog eine kleine Visitenkarte hervor die mir gab »Ruft mich an, wenn ihr etwas wisst.« Ich nickte nur kurz, stopfte die Karte in meine Jackentasche, ohne es wirklich als wichtig zu Empfinden. Hastig machte ich mich dann in der Begleitung von Imp davon. Nochmal traten wir nicht durch den Keller, sondern verließen das Anwesen durch die große Haustür, die uns gleich auf eine breite, gepflasterte Straße führte. Noch einmal drehte ich mich um und schaute zurück. An dem Fenster des Teezimmers, in dem wir eben noch gesessen hatten, stand die alte Dame, leichenblass und ihren bissigen Köter streichelnd. Sie starrte uns an, beobachtete ob wir uns auch wirklich von ihrem Haus entfernten. Irgendwas an dem Anblick jagte mir einen Schauder über den Rücken und ich drehte mich schnell wieder Imp zu »Ich weiß einen Weg in den Untergrund, aber der Weg dahin ist lang« berichtete ich Imp, der nur widerstrebend brummte »Also rennen tu ich nicht, die Nacht war schon anstrengend genug« beschwerte er sich, gähnte übertrieben und streckte seine Arme in die Höhe, wie als wäre er eben erst aufgestanden. »Sei keine Heulsuse« wies ich Imp zurecht. Merkwürdigerweise fühlte ich mich gar nicht müde, obwohl ich heute Nacht noch keine Minute schlaf hatte. Eher im Gegenteil, ich war hellwach und mein Herz pochte so schnell, dass ich nicht schlafen könnte, selbst wenn ich müde wäre.
Wir verließen gerade das verlassene Viertel und waren auf dem Weg durch das Fabrikviertel der Insel, da dieser Weg um diese Tageszeit schneller war, als der durch das Wohnviertel. Imp und ich diskutierten die ganze Zeit während unseres Weges angeregt darüber, wie wir Nikki am besten finden könnten und was wir tun sollte, wenn sie sich wirklich in den Händen des gefährlichen Mannes befand. Einigen konnten wir uns bei dem Thema, wie sonst auch, nicht. Ich wollte das Geld, dass Camille und Cleve mir großzügigerweise geschenkt hatten dafür verwenden, Nikki freizukaufen. Imp war dagegen der Meinung, wir sollten das Geld lieber aufsparen und Amselts Gruppe auf den Kerl hetzen, die Cobras würden den schon schnell dazu bringen, Nikki rauszurücken. Wie als ob so eine dumme Idee funktionieren würde! Nicht nur, dass Amslet uns sicher nicht helfen würde, sondern auch, dass so ein bewaffneter Überfall sicher eher Nikki schaden würde. Am Ende brachte dieser kaltblütige Kredithai sie noch um, wenn er merkte, dass er wegen ihr angegriffen wurde! So konnten wir das ganze auf keinen Fall machen. »Ach, hört doch endlich auf zu zanken wie kleine Kinder!« mischte sich eine piepsende Stimme von unten in unser Streitgespräch ein. Ich musste nicht mal den Blick senken um zu wissen, um wen es sich handelte und selbst Imp zeigte sich kein bisschen überrascht über Pixels plötzliches auftauchen. »Da bist du ja Blechdose« begrüßte er den kleinen Roboter mit herablassender Lässigkeit »Hast du schon mal darüber nachgedacht das wir zanken wie Kinder, weil wir Kinder sind?«
»Kinder in eurem Alter sind durchaus schon in der Lage, sich nicht bei jedem Gespräch in die Haare zu kriegen, wenn sie sich etwas Mühe geben« wand Pixel schnippisch ein und warf einen nervösen Blick um sich. Ich konnte mir schon vorstellen, warum ihn das Viertel nicht gefiel. Es waren nicht nur die Berge von Metallschrott, elektrischen Abfällen und Müll oder die ätzenden Pfützen von irgendwelchen Säuren, Ölen oder Reinigungsmitteln, sondern viel mehr der beeindruckende Krach, der aus den großen Fabrikhallen bis nach draußen hallte. Die Stille der Nacht wurde hier zerrissen von allerlei dröhnen, knirschen, mahlen und schnaufen. Gigantische, hochhausähnliche Schornsteine schleuderten Massen von Rauch, Ruß und manchmal sogar noch brennenden Funken in die Luft. Überall stank es, es war dreckig und bei jedem Schritt stolperte man über irgendetwas. Merkwürdigerweise war das aber auch genau der Ort, an dem viele Kinder am liebsten spielten. Aus dem Plunder der überall verteilt lag, nur locker zu berggleichen Haufen zusammengerafft, konnte man wundervolle Dinge bauen oder zumindest etwas Schrott herauskramen, den man für ein paar Münzen den Fabriken zurück verkaufen konnte. So verbrachten auch viele Waisenkinder ihre Zeit hier, allerdings nur tagsüber, wenn die Fabriken außer Betrieb waren. In den frühen Abendstunden herrschte immer Hochbetrieb und keiner wagte sich hierher. Nicht nur wegen den Erwachsenen Arbeitern, die wütend wurden wenn sie einen erwischten, sondern viel mehr wegen der bedrohlichen Atmosphäre. »Wir sollten wirklich nicht hier sein, meinen Daten zufolge ist das der gefährlichste Ort der Insel, nun gut, der zweitgefährlichste.«
»Was ist denn der gefährlichste?« wollte Imp neugierig wissen und Pixel geriet kurz aus dem Konzept »Der gefährlichste Ort der Insel? Ähm, dass werde ich dir ganz sicher nicht sagen! Du bringst dich ja doch nur in Schwierigkeiten!«
»Imp, hast du eigentlich keinen digitalen Assistenten bekommen?« wollte ich von meinem Kumpel wissen, woraufhin Imp unbeteiligt mit den Schultern zuckte »Doch, schon. Hab aber nur so eine langweilige Box mit Pixelmatsch drin bekommen. Total nervig und langweilig, wollte mir ständig erzählen was ich tun und lassen soll und hat die ganze Zeit geredet. Also hab ich es in eine Schublade gestopft und nicht mehr rausgeholt« berichtete der rothaarige Junge, während er über einen kleinen Hügel aus Metallspänen kletterte. Für einen Moment musste ich schmunzeln. Befehlshaberisch und redet viel, dass passte wahrlich auch zu Pixel. Der kleine Fuchs guckte schon ganz entrüstet drein, so entrüstet ein Roboter eben aussehen konnte, und ich beschloss schnell die Wogen zu glätten, bevor die beiden noch in einen Streit ausbrachen »Ach, so übel ist Pixel gar nicht. Man muss sie erstmal kennenlernen, dann sind es nette Kerlchen« erklärte ich Imp also, beugte mich zu Pixel hinunter und tätschelte ihn den Kopf »Und manchmal sogar ganz nützlich« fügte ich schmunzelnd hinzu, woraufhin er ganz stolz die Schnauze in die Höhe streckte. »Apropos nützlich, Pixel? Kannst du uns den genauen Weg zur Unterstadt sagen? Ich erinnere mich nicht mehr ganz genau« bat ich ihn mit geübten unschuldigen Lächeln, was Imp mit Augenverdrehen, Pixel dagegen mit einem eifrigen »Klar doch« beantwortete.
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Two Birds
FantasyWir schreiben das Jahr 4055. Die Welt ist untergegangen und alle Länder sind beinahe komplett im Meer versunken. Das Waisenkind Ginessa muss sich auf der riesigen, heruntergekommen Stadtinsel zurechtfinden, auf der es keine Regeln gibt. Als eines Ta...