Teil 64

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Dank Pixel kamen wir tatsächlich äußerst zügig dort an, er hatte uns genau zu dem wackligen Aufzug geführt, denn ich damals mit Nikki genommen hatte, als sie mich das erste mal in die Tiefen der Unterstadt mitnahm. Es war erst einige Monate her, aber mir kam es wie eine kleine Ewigkeit vor. Ohne es bewusst wahrzunehmen umfasste ich mit einer Hand den Anhänger der Kette, das golden glänzende Stück Blech. Irgendwo war Nikki mit der anderen Hälfte, mit dem silbernen Mond. Imp, Pixel und ich, wir drei fuhren mit dem Aufzug hinunter. »Bist du das erste Mal da unten?« hakte ich bei Imp nach und hoffte schwach darauf, dass er es verneinen würde. Ich selbst war ja erst ein mal dort gewesen und hatte mich katastrophal verlaufen. Und wie gut Pixels Navigationssystem dort unten funktionierte, wusste ich auch nicht. Immerhin waren wir tief unter der Erde, vielleicht funktionierte es dort nicht? Von Technik hatte ich wenig Ahnung, dass war immer Nikkis Part gewesen. Ich war immer eher für farbige, fantasievolle Geschichten zuständig gewesen, nicht für die knallharten Fakten. Langsam wünschte ich mir aber, ich hätte mehr bei Nikki nachgefragt, wenn sie mit ihrem Wissen um die Ecke kam oder irgendeines ihrer zusammen gebastelten Geräte zückte. So etwas wäre nun sicher nützlich gewesen. Aber es half alles nichts, Nikki war nicht da, und ich musste sehen wie ich nun zurecht kam. »Da unten? Nee, zumindest nicht all zu weit. Weiß ja jeder, dass da unten nur Verrückte wohnen« erklärte Imp mit einer schlichten Selbstverständlichkeit, während der Aufzug Stück für Stück ruckelnd seinen Weg nach unten fortsetzte »Auch wenn es natürlich echt spannend da unten ist, viel größer als das was wir oben haben, angeblich. Und hier gibt es auch viel mehr Zeug zu kaufen, hab gehört dass das alles illegal eingeschmuggelt wurde, aus dem Uptown, weißt du?« plauderte der Junge weiter vor sich her »Aber ich denke, die meisten haben das den Arbeitern aus den Fabriken abgekauft, die ab und an was mitgehen lassen. Wer wäre auch so dämlich, etwas aus dem Uptown hierher zu schmuggeln? Die reichen Säcke würden demjenigen sofort einen Kopf kürzer machen. Die Reichen achten nämlich immer besonders auf ihren Besitz, die würden sofort bemerken wenn etwas fehlt!« Tatsächlich musste ich Imp in dem Punkt zustimmen, es war seltsam, aber Zahlen spielten im Uptown eine große Rolle. Alles was man hatte wurde sorgfältig gezählt. Egal ob Geld, Immobilien, Kleidungstücke, Schuhpaare, Spielzeuge, alles hatte eine, oft imaginäre, Zahl aufgedrückt bekommen. »Hast Recht« pflichtete ich den Jüngeren also bei seiner Erklärung zu, ehe sich auch schon die Fahrstuhltüren mit lauten knarzen und zischen öffneten. Die Stelle, an dem ich mich gegen das Geländer gelehnt hatte um in die Tiefe zu schauen und das daraufhin hinunter gestürzt war, beinahe mit mir, war immer noch nicht ausgebessert worden. Die Absperrung fehlte an der Stelle einfach. Für ein paar Momente blieb mein Blick dort hängen, dann trat ich aus dem Fahrstuhl und ließ meinen Blick an den steinernen Wänden entlangstreifen. Ebenfalls unverändert wand der Pfad sich Spiralenförmig in die Tiefe und noch immer waren Läden und Wohnhäuser direkt in den Stein geschlagen, mit einzelnen Abzweigungen dazwischen die, so viel wusste ich ja inzwischen, irgendwann zum schwarzen Markt führten. Vielleicht auch noch zu zahlreichen anderen Orten, die ich einfach nicht gefunden hatte, wer wusste das schon? Aber das meiste lag weiter unten, tief, sehr tief unter der Erde. 

»So, jetzt sind wir also unten. Und was jetzt?« Imp trat unruhig neben mir aus dem Fahrstuhl, blickte sich ebenfalls um und schlenderte dann einen Schritt näher an den Abgrund, dorthin, wo die Absperrung fehlte, wohl um einen ungestörten Blick nach unten zu werfen. Sofort packte ich ihn am Kragen und zog ihn zurück »Das würde ich an deiner Stelle lieber nicht tun, ich wäre da fast runter gefallen« warnte ich ihn, erschaudernd bei dem Gedanken an das kurze, schwindelerregende Gefühl als das rostige Metall nachgab und ich für einen Moment schwerlos über der Tiefe lehnte, jeden Moment hinunter fallend, bevor Nikki mich abrupt gepackt und zurück gerissen hatte. Seine frechen braunen Augen verharrten kurz auf mir, wanderten zu dem Abgrund, dann zuckte er mit den Schultern »Also, wohin?« widerholte er nur erneut drängend seine Frage, auf die ich keine Antwort wusste. Ja, wohin? Das war eine sehr gute Frage. Von Amslet hatten wir erfahren, dass dieser Jackobo irgendwo in der Unterstadt war. Nur war die Unterstadt groß. Warum hatten wir auch nicht genauer nachgefragt? Ich seufzte tief und schüttelte langsam den Kopf  »Weiß nicht. Ich schätze mal, er ist irgendwo weiter unten.« Mit dem Finger zeigte ich den schmalen Weg, der sich wie eine Wendeltreppe in die bodenlose tiefe erstreckte, immer im Kreis herum, immer ein wenig tiefer. Das einzige was man dort unten ausmachen konnte, waren Lichtpunkte, von Läden, Wohnhäusern oder was auch immer. Von hier oben war es nicht zu erkennen. »Kann deine wandernde Blechdose uns nicht hinführen?« fragte Imp nach kurzen überlegen, korrigierte sich aber nach einem Bösen Blick von mir von selbst »Sorry, kann PIXEL uns da nicht hinführen?« Kaum hörte der kleine KI Fuchs seinen Namen, hopste er wichtigtuerisch hervor »Natürlich kann ich! Oder besser gesagt, ich könnte. Gangster, wie er sicher einer ist, stehen nur leider nicht in meinem einprogrammierten Adressbuch.«

»Toll. Das hilft uns also nichts weiter. Wenn wir einfach so suchen, kann das wirklich endlos dauern! Wir brauchen eine andere Idee« knurrte Imp und begann bereits, auf und ab zu laufen, so aufgeregt war er.

»Wir könnten Zev fragen.«

»Zev? Was ist Zev?«

Erst jetzt fiel mir ein, dass Imp ja zu jung war, um sich wirklich an Zev zu erinnern, geschweige denn um wirklich mit ihm in Kontakt gekommen zu sein »Zev hat früher auch im Waisenhaus gelebt. Er wohnt inzwischen hier unten. Ist so eine Art Arenakämpfer oder so.«

»Also ein Wer, kein Was. Zev ist aber ein komischer Name« brummte Imp »Ach ja, und Imp ist besser?« grinste ich, woraufhin Imp aber nur so heftig nickte, dass er den Hohn in meiner Bemerkung wohl überhört hatte. War ja auch egal. »Pixel, weißt du noch wo Zevs Haus ist?«

»Ja, natürlich weiß ich das noch. Die Koordinaten sind gespeichert. Kommt mit« fiepte Pixel fröhlich und führte uns gleich in den erstbesten Gang hinein. Da der kleine Fuchs uns bisher auch gut geführt hatte, folgten wir ihm beide ohne Bedenken in das Labyrinth aus Gängen. So ganz klug wurde ich nicht aus der ganzen Untergrundstadt. Früher, als es angeblich noch heißer war als Heutzutage, gab es nur die Untergrundstadt. Sie war quasi vorher da gewesen, sie war das eigentliche Downtown. Aber inzwischen wussten, abgesehen von den Leuten die hier unten lebten, kaum noch welche das es diesen Ort gab. Es wurde nicht darüber geredet und nur sehr selten kam einer von der Oberfläche hier herunter. Und noch seltener kam einer von unten hinauf. Warum die Menschen damals an die Oberfläche gekommen waren, konnte ich mir noch erklären. Es war kühler geworden, kühl genug um auch an der frischen Luft zu überleben, unter dem freien Himmel. Und die Stadt hier unten hatte noch weiter bestand, da es sonst wohl an Platz gemangelt hätte. Aber wie kam es dazu, dass beide Welten so isoliert voneinander lebten, obwohl es doch mindestens diesen einen Aufzug gab, der beide Welten miteinander verband? So sehr ich auch darüber nachdachte, es ergab keinen Sinn für mich und ohnehin hatte ich nicht viel Zeit, nachzudenken. Imp begann schon wieder damit, vor sich hin zu reden, scheinbar gleichgültig, ob ich ihm zuhörte oder nicht. Eine gebrummte Bestätigung hier und da, ein zustimmendes Nicken oder ein Ungläubiges 'Oh' reichten schon, um ihn zum weiter lamentieren zu motivieren. Er erzählte, ganz stolz, davon was er von der Unterstadt wusste und das meiste, was er erzählte, war so wundersam, dass es ganz sicher ausgedacht war und ich ihm so schon bald keine wirkliche Beachtung mehr schenkte, sondern nur noch halb zuhörte, immer mit einem belustigten Lächeln auf den Lippen.

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