Teil 79

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Das alles kam mir vor, wie ein komischer Traum. Vielleicht war ich noch bewusstlos und träumte das alles. Aber dafür fühlte es sich doch etwas zu real an. Ich schaffte es irgendwie, auf die Beine zu kommen. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich auch nicht mehr meine eigenen Sachen trug. Das Top und die Hose waren schneeweiß, wie alles in diesem Raum. Auf meiner Haut war kein Dreck mehr zu erkennen und auch die Schrammen waren mit einer stinkenden Salbe eingerieben worden. Reflexmäßig fasste ich an meinen Kopf, aber selbst diese blutende Wunde von der Brunnenkante war versorgt worden. Sie war nun durch einen Verband verdeckt. Also, war ich in einem Krankenhaus? Aber auch das konnte nicht sein. Das letzte Krankenhaus hatte vor acht Jahren zugemacht. Und die Privaten Arztpraxen die es auf der Insel gab, hatten keine eigenen Zimmer für die Patienten. Erneut fühlte ich einen stechenden Kopfschmerz und für einen Moment musste ich Würgen, jedoch ohne mich zu übergeben. Ich fühlte mich furchtbar. Absolut furchtbar. Alles was ich wollte war, mich hinzulegen und wieder zu schlafen. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das eine schlechte Idee war. Etwas stimmte hier nicht. Ich kramte in meiner Erinnerung und kam zu dem Schluss, dass mit Sicherheit Grinsie mich hierher gebracht hatte, wo auch immer 'hier' eben war. Die Tatsache dass er mich hier abgeliefert hatte reichte, um zu wissen, dass das ganze nicht gut war. Mit etwas unsicheren Schritten arbeitet ich mich auf die Tür zu, die wohl der einzige Ausweg aus diesem Raum war. Ich hatte fest angenommen, dass die Tür verschlossen wäre. Überraschenderweise war das nicht der Fall. Schon als ich mich nur leicht dagegen lehnte, glitt sie Geräuschlos auf. Ich kam auf einen breiten, aber dunklen Gang. So hell und sauber das Zimmer auch gewirkt hatte, der Gang war das absolute Gegenteil. Es roch nach Staub und weit schlimmeren Gestank, denn ich aber nicht genau zuordnen konnte, und vermutlich auch gar nicht wollte. Die Tapeten an den Wänden hingen in Fetzen hinab und offenbarten das Grundgerüst aus groben, kalten Stein. Selbst der Boden war fleckig und gewellt, wie als würde sich schon lange niemand mehr um diesen Ort kümmern. Aber das konnte nicht sein. Auch wenn der Gang, in dem ich stand, Menschenleer war, konnte ich Stimmen hören. Sie kamen aus den Zimmern heraus. Ich schlich zu einer der Türen und schaute durch die eingebaute Scheibe. Der Raum auf der anderen Seite war so weiß wie es auch meiner war, sie waren völlig identisch. Und auch in diesem Raum lag ein Kind, wie ich in weiß gekleidet. Es wälzte sich auf dem Boden und kreischte wie von Sinnen. Es schrie sich die Seele aus dem Leib, so laut, dass ich es selbst hier auf dem Gang noch hörte und eine Gänsehaut deswegen bekam. Ich rüttelte an der Tür, aber diese hier war fest verschlossen. 

Mit einem unguten Gefühl im Bauch spähte ich auch in die restlichen Zimmer. Die meisten waren leer aber die, die bewohnt waren, sahen nicht sehr vielversprechend aus. Jedes wurde von einem Kind bewohnt, dass im besten Fall schlief, im schlechteren Fall kreischte und sich wand und im schlimmsten Fall verunstaltet oder zumindest mit Bandagen bedeckt auf dem Boden lag und sich nicht mehr bewegte. Das alles kam mir so vor, wie in einem schlechten Film. War es das? War ich hier an einem Ort, an dem ein Horrorfilm gedreht wurde? Aber auch das machte keinen Sinn, denn die Filme wurden immer in den Studios der Uptowns gedreht. Und das hier war ja definitiv kein Studio. Also musste alles echt sein. Und das hieß, dass ich in großer Gefahr war. In sehr großer vermutlich. Ohne darüber nachzudenken schlug ich die nächstbeste Richtung ein und eilte, so unsicher es mit meinen noch wackligen Beinen ging, vorwärts. Raus. Raus. Raus. Das war der einzige Gedanke in meinem Kopf. Zumindest so lange, bis ich um eine Ecke bog und dabei volle Kanne in jemanden rein rannte. Verwundert stolperte ich zurück, schaute auf und blickte einer überraschten, und offenbar ungehaltenen, Frau ins Gesicht. Sie redete etwas, aber offenbar in einer anderen Sprache. Jedenfalls verstand ich kein Wort. Freundlich klang es jedoch nicht. Als sie ihre Hände nach mir ausstreckte, wartete ich deshalb nicht lange sondern drehte mich um und rannte weg. Hinter mir konnte ich ihr wildes Gezeter hören, aber das hielt mich sicher nicht davon ab, so schnell wie möglich zu sehen, dass ich Land gewann. Leider war das aber einfacher gesagt als getan. Der Ort war ein verdammtes Labyrinth. Jeder Gang führte in einen anderen Gang, der wiederum zahlreiche Abzweigungen hatte. Vermutlich führten die meisten im Kreis, aber sicher war ich mir da nicht, da alles hier gleich aussah. Aber das war nicht der einzige Faktor, der ein Wegkommen erschwerte. Der andere waren die Kollegen der kreischenden Dame, die wie auf einen Befehl hin von überall her zu kommen schienen. Und jeder einzelne hatte nur das Ziel, mich zu schnappen.  Mein einziges Glück war, dass die meisten von ihnen ihre besten Zeiten bereits hinter sich hatten und so alt waren, dass ihre Haare schon ergrauten und sie nicht mehr so beweglich waren, wie früher mal. Das ermöglichte es mir, vor denjenigen vor denen ich nicht weglaufen konnte, durch ein geschicktes Ausweichmanöver zu entwischen. So rannte ich die Gänge entlang und stürmte ein paar Treppen hinauf und ein paar wieder hinunter, bis es endlich ruhiger um mich wurde und nicht mehr hinter jeder Ecke ein Angriffsbereiter Erwachsener lauerte. 

Mit einem erschöpften Ausatmen ließ ich mich gegen eine Wand gelehnt sinken, in der Annahme, dass ich mir eine kurze Verschnaufpause gönnen konnte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und meine Lungen ächzten nach Luft. Nur weil ich ein Kind war hieß das ja nicht, dass ich Ewigkeiten vergnügt durch die Gegend rennen konnte, ohne Müde zu werden. Obwohl, müde war nicht das richtige Wort. Mehr kurz vor dem Ersticken. Lange ausruhen konnte ich mich aber auch dieses Mal nicht, dann erklang auch hier unten wildes, aufgeregtes schreien. Allerdings nicht von Erwachsenen, meine Verfolger die mir auf die Schliche gekommen waren konnten es also nicht sein. Die Schreie hier gehörten eindeutig zu einem Kind. Mein erster Gedanke war eigentlich nicht, dem anderen Kind zu helfen. So ehrenhaft das ganze auch klingen würde, so dämlich war es auch. Ich würde mich selbst nur in noch größere Schwierigkeiten bringen, und die hatte ich ohnehin schon genug. Erst nach einer Weile, in der ich nach atemschöpfend auf die Stimme horchte, die offenbar sogar langsam näher kam, änderte ich meinen Beschluss. »Au! Hey! Lasst mich los! Ich komm bestimmt nicht mit euch mit! Kampflos werde ich mich nicht ergeben! Au! Aua!« das störrische Geschrei kannte ich nur zu gut. Imp! Nur was machte mein Kumpel hier? Obwohl, so verwunderlich war es dann ja doch nicht. Immerhin war er einfach nicht zum Treffen gekommen. Zev und ich hatten angenommen er hätte es nur verbummelt, aber vielleicht war er auch nicht aufgetaucht, weil etwas passiert war. Vielleicht hatte Grinsie oder sonst wer auch ihn geschnappt und hierher gebracht. Ein fremdes Kind hätte ich ignorieren können, aber Imp war ein Freund und deswegen musste ich ihm helfen. Oder es zumindest versuchen. Auch wenn ich mir dadurch ins eigene Fleisch schnitt.

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