Heikir nickte leicht, der alte Mann betrachte mich eine Weile mit nachdenklichen Blick, dann streifte sein Blick durch den kleinen Raum, wie als würde er Zeit gewinnen wollen. Als er mir den Blick zuwandte, räusperte er sich kurz »Das ist gut. Wirklich gut. Nun, jetzt wo es dir besser geht ... «
»Wollen sie wissen wie ich ins Meer komme?«
»Ja, genau«
Mit dieser Antwort hatte ich schon gerechnet. Sicher wären sie enttäuscht darüber, wie langweilig meine Nahtoderfahrung zustande kam »Na ja, eigentlich wollte ich nur Einkaufen gehen. Wegen dem Nebel hab ich aber nichts mehr gesehen und bin von der Klippe gestürzt. Ins Meer. Und ich kann nicht schwimmen.«
»Du kannst NICHT schwimmen?« Marsi klang so schockiert, dass ich darüber kichern musste »Natürlich kann ich nicht schwimmen. Ich kenne niemanden, der Schwimmen kann.« Diese Nachricht ließ dem jungen Mädchen jetzt endgültig den Mund offenstehen »Hast du das gehört Opa? Niemand der schwimmen kann! Ist das nicht furchtbar?« Der alte Mann ging jedoch gar nicht auf das offensichtliche Entsetzen seiner Enkelin ein, offenbar war er ihre Dramatik bereits gewöhnt. Er brummte nur in seinen mit grauen Strähnen durchzogenen Bart »Du kommst also von der großen Insel da?«
»Sie meinen das Downtown? Dann ja, da komm ich her« ich fand es sehr seltsam, dass Heikir es einfach als 'die große Insel da' bezeichnete. Jeder kannte dieses Stückchen Land, dass nicht mehr war als eine große Stadt, als Downtown »Und die Insel im Norden ist das Uptown.«
»Ja, dass Wissen wir. Da haben wir ja die ganzen Leute abgeholt« erklärte Marsi munter, noch bevor der Alte überhaupt den Mund öffnen konnte. »Leute? Was für Leute?« wollte ich wissen und Marsi richtete sich ganz stolz auf »Wir sind hier auf einen Kreuzfahrtschiff, also quasi ein Hotel, nur auf dem Wasser. Die ganzen Leute machen hier hin und wieder Urlaub, wenn ihnen langweilig ist. Wir schippern sie dann in Richtung der Paradiesinseln lassen sie eine Woche lang auf der Insel an Land und bringen sie dann wieder Nachhause.« Jetzt war ich diejenige, der der Mund offenstand. Aus großen, geradezu erschrockenen Augen blickte ich zwischen den beiden hin und her. Es gab gleich mehrere Dinge, die mich erschreckten. Das ich hier auf einen Schiff gelandet war, dass offenbar voll den ebenso verfluchten wie vergötterten Uptowns bevölkert wurde, aber noch viel mehr, dass sie andere Inseln erwähnten. Andere Inseln als das Uptown und das Downtown. Die Paradiesinseln. Ich musste schlucken, unsicher, ob ich begeistert oder eingeschüchtert über diese Nachricht sein sollte. »Es gibt noch mehr Inseln als nur das Up- und das Downtown?« erkundete ich mich betont ruhig nach und Heikir nickte, mit gerunzelter Stirn. »Natürlich gibt es noch mehr Inseln. Hunderte. Wie kommst du denn darauf, dass diese zwei Erdbrocken die einzigen wären, die nach der großen Katastrophe übrig geblieben wären?«
»Ich weiß nicht. Bei uns gibt es nur das eine Schiff, die Eden. Und die fährt immer nur zum Uptown. Wir haben noch nie andere Schiffe gesehen, deswegen dachten wir«
»Deswegen dachtet ihr, dass es keine anderen Inseln gäbe« beendete Heikir vor mir den Satz und ich nickte leicht. Jetzt, wo ich darüber nachdachte, war es eine furchtbar dumme Annahme. Wenn ich Nikki davon erzählte, dass es da draußen noch mehr Land gab, ganz sicher sogar, würde sie aus den Latschen kippen! »Nun, dass erklärt einiges« brummelte Heikir vor sich hin und ich nickte zustimmend »Ja, genau. Aber die ganzen Inseln interessieren mich gerade so gar nicht! Ich muss wieder Nachhause!« Besänftigend legte der alte Mann mir seine schwere Hand auf die Schulter und blickte mich bekümmert an, sodass ich schon ahnte was er sagen würde, bevor er es aussprach »Tut mir wirklich leid Kleine, aber wir können dich jetzt nicht Nachhause bringen. Wegen dieses verfluchten Nebels sind wir ohnehin schon zu spät dran. Wir müssen erst unsere Runde machen, ehe wir dich Nachhause bringen können.« Verstört blickte ich zu ihm auf, ein Teil von mir wollte Fragen wie lange das dauern würde, diese Runde, aber ein anderer Teil von mir spürte schon, dass es lange dauern würde und traute sich nicht zu fragen.» Aber meine große Schwester wird sich furchtbare Sorgen machen!« die Worte kamen schärfer aus meinen Mund wie beabsichtigt und für einen Moment zuckte der Alte tatsächlich zusammen. Er erhob sich »Es tut mir wirklich Leid, aber es geht nicht.« Da von dieser Seite keine Hilfe zu erwarten war, wand ich mich Marsi zu »Irgendeinen Weg muss es doch geben! Oder?« Das sommersprossige Mädchen, dass vorher noch so vergnügt gewirkt hatte, senkte den Blick »Na ja, wir hätten dir vielleicht ein Beiboot geben können, aber die brauchen wir im Notfall als Rettungsboote, deswegen geht es nicht.« Ich spürte ein scharfes brennen in meinen Augen, das Brennen von Salz und meine Sicht verschwamm. Die erste dicke Träne kullerte meine Wangen hinunter und auch wenn ich mich sonst immer für das Weinen schämte, dieses Mal tat ich es nicht »Aber ich kann nicht hierbleiben! Nikki wird sich Sorgen machen! Sie denkt, ich gehe nur schnell einkaufen. Ich muss« meine Stimme wurde immer lauter und hektischer, fast schon hysterisch, sodass ich innehalten musste, um wieder Luft zu schnappen. Heikir blickte aus ruhigen, mitfühlenden Augen zu mir hinab und dieses Mal hasste ich ihn dafür, dass sein Blick so sanft war. Dieser komische, alte Mann, der sich weigerte mich Nachhause zu bringen! Das war Entführung! Er war ein Entführer! Und das Mädchen dann mit Sicherheit auch. »Komm Marsi, dass war etwas viel auf einmal. Ginessa sollte sich erstmal ausruhen« Marsi erhob sich vorsichtig vom Bett »Ist gut« murmelte sie ihren Großvater zu, offenbar froh, aus dieser komischen Situation entkommen zu können. Mit einen weinenden Kind umgehen zu müssen, vor allem wenn es ein Fremdes war, war immer sehr seltsam.
»Ruh dich aus und beruhige dich. Du wirst merken, es ist hier gar nicht so übel. Die Zeit bis du Nachhause kannst wird vorbei gehen wie im Flug. Nur bleib bitte in diesem Zimmer, es könnte schwierig für dich sein, dich hier zurecht zu finden« die beiden verließen den Raum, die Tür schloss sich hinter ihnen. Aber ich hörte kein Klicken. Anders wie im Waisenhaus, war ich nicht in diesem Zimmer eingeschlossen. Dennoch fühlte ich mich furchtbar. Verloren, besorgt und auch sehr verunsichert. Noch immer war ich mir nicht sicher, ob das alles wirklich passierte, oder ob es nur ein komischer Traum war. Ich hatte schon immer sehr lebhaft geträumt. So klein wie möglich kauerte ich mich auf dem Bett zusammen, versteckte mich unter der Decke und weinte, bis keine Tränen mehr kamen. Und danach war ich einfach nur erschöpft. Jetzt fühlte ich mich nur noch leer. Nicht mehr sehr traurig, nicht mehr sehr besorgt und selbst die Verunsicherung war fast verschwunden. Ich fühlte mich nur leer und erschöpft. Mit einen leisen schniefen krabbelte ich unter der Decke hervor und inspizierte den Raum. Es war nur ein kleines Zimmer, aber die Möbel hier waren aus echten Holz, auf dem Boden lag ein weicher, sauberer Teppich und es gab so gar Dekorationen hier, wie das große Gemälde eines Segelschiffs an der Wand. Alles in allen, gab es schlechtere Orte um festzustecken als hier. Ich meine, immerhin lebte ich noch oder? Ich war lebendig und die beiden hatten ja versprochen, mich Nachhause zu bringen. Ich müsste nur ein wenig warten. Und Nikki? Sie würde sich dennoch furchtbare Sorgen machen. Aber umso größer wäre die Freude, wenn ich plötzlich wieder auftauchen würde. Ich versuchte meine Gedanken verzweifelt auf etwas positives zu lenken, darauf, wie ich wieder Nachhause kam und wie sehr Nikki sich dann freuen würde, mich zu sehen. Alles würde dann wieder gut werden. Aber dennoch, allzu lange hielt dieses Fantasiegebilde mich nicht von der Realität ab. Und dann war ich wieder einsam, ratlos und verwirrt. Mit kleinen, langsamen Schritten schlich ich einmal quer durch das Zimmer, hin zum Bücherregal. Wir hatten nie Geld für wirkliche Bücher gehabt, die Bücher die wir im Waisenhaus hatten waren oft von Wasser beschädigt oder es fehlten Seiten, aber ich hatte gerne gelesen. Und die Bücher hier, sahen sogar gut in Takt aus.
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Two Birds
FantasyWir schreiben das Jahr 4055. Die Welt ist untergegangen und alle Länder sind beinahe komplett im Meer versunken. Das Waisenkind Ginessa muss sich auf der riesigen, heruntergekommen Stadtinsel zurechtfinden, auf der es keine Regeln gibt. Als eines Ta...