Die Nacht war alles andere als schön, dunkle Wolken verdunkelten den Himmel sodass man selbst hier im verlassenen Bezirk den Mond, oder gar Sterne, nicht sehen konnten. Die Dunkelheit war pechschwarz und ließ kaum nie mehr als undeutliche Umrisse erkennen. Ich packte im dunkeln meine Tasche, tauschte meinen auffällig gelben Regenmantel gegen eine dünne, schwarze Jacke mit Kapuze aus und leuchtete mir dann mit der Taschenlampe einen weg hinunter. Aus der Küche leuchteten mir blaue Augen entgegen, Pixel hockte bewegungslos in der Dunkelheit und starrte mich an. Selbst als ich ihn direkt mit der Taschenlampe anleuchtete, regte er sich nicht. Ein sehr ungewöhnliches Verhalten, für die sonst so lebhafte KI. »Pixel? Bist du okay?« zögernd trat ich ein paar Schritte näher, stets im Hinterkopf behaltend, was ich durch öffentliche Diskussionen und das Fernsehen über KIs aufgeschnappt hatte, die sich komisch verhielten. Entweder waren sie kaputt oder, noch schlimmer, planten etwas diabolisches. Wegen Fehlfunktionen, die oft zu grausamen Verletzungen oder sogar Toten führten, war KI immerhin weitestgehend abgeschafft worden und nur die KI eines Herstellers war noch erlaubt. Aber wegen der mangelnden Konkurrenz war sie sündhaft Teuer und existierte deswegen fast nur im Uptown oder in wirklich großen Fabriken. Egal wie Nahe ich kam, Pixel zuckte noch immer nicht. Ein leises Seufzen kam über meine Lippen, dann riss ich mich zusammen und gab ihm einen Schubs, sodass er umkippte. Vielleicht würde ich es gleich bereuen, aber irgendwie musste ich Pixel ja wieder zum Laufen bringen. Wer half mir sonst bei dieser wichtigen Mission? In das Beamtengebäude einzudringen, oder viel mehr einzubrechen, war ja nicht gerade legal. Ich konnte jede Hilfe brauchen die ich kriegen konnte. Und da weder Imp noch Zev wieder hier waren, blieb nur Pixel als Unterstützung übrig. Wo waren die anderen beiden eigentlich so lange? »IEP!« mit einem lauthalsen Fiepen schreckte Pixel plötzlich aus seiner Todesstarre auf, machte einen meterhohen Satz und blieb dann mit gespitzten Ohren und hochgestreckten Schweif wie angewurzelt stehen, ehe er zu mir blinzelte »Oh, Ginessa! Du bist es nur. Warum erschreckst du mich denn so? Ich hab geschlafen.«
»Du bist eine KI. KIs schlafen nicht. Und Roboter schon gar nicht« warf ich ihn irritiert und auch etwas verärgert über den kalten Schauer vor, den er mir durch seine Aktion über den Rücken gejagt hatte. »Denkst du!« Pixel schien beleidigt »Du hast ja eben gesehen, dass ich doch schlafe. Denkst du, ich brauche nicht auch ab und zu ein wenig Entspannung? Außerdem war mir langweilig.« Fassungslos über diese Aussage schüttelte ich den Kopf, sagte aber nichts dazu. Es gab gerade wichtigeres als über so etwas langweiliges wie Schlaf zu diskutieren. Sobald Nikki wieder da war, hätten wir ohnehin alle Zeit der Welt. »Ist jetzt auch egal. Wir müssen los, komm mit« wies ich Pixel an, während ich bereits auf die Küchentheke kletterte und aus dem Fenster sprang. »Wo gehen wir denn hin? Es ist mitten in der Nacht. Und stockdunkel. Ich sehe durch meine Nachtsicht was, aber du? Du wirst gegen alles laufen!« »Red keinen Blödsinn, ich hab meine Taschenlampe« mit zügigen Schritten eilte ich durch die Dunkelheit voran, ganz davon beseelt, bald wieder mit meiner aller besten Freundin zusammen zu sein. Inzwischen waren Nikki und ich so lange voneinander getrennt, dass ich langsam begann die Details zu vergessen. Ihren Geruch, ihre Stimme, die Feinheiten ihres Gesichts. Alles verblasste nach und nach. Es wurde aller höchste Zeit, sie wieder zu sehen. Und die Adresse herauszufinden war einer der letzten Schritte, die uns voneinander trennte.
Das Hochhaus, dass unendlich hoch in den Himmel zu ragen schien, lag komplett dunkel da. Kein einziges Fenster war erleuchtet, zumindest keines, dass ich von hier aus sehen konnte. Alle Beamten lagen jetzt Zuhause in ihren Betten. Oder vor ihren Fernsehern. Jedenfalls waren sie nicht hier. Wir hatten freie Bahn. »Okay, so weit so gut. Jetzt müssen wir da rein« murmelte ich und rüttelte an der Eingangstür, die aber natürlich verschlossen war. So ein Mist. Und was jetzt? »Schlösser knacken gehört nicht zufällig zu deinen Fähigkeiten oder?« hakte ich bei Pixel nach, der vorwurfsvoll zu mir aufblickte. »Aber Ginessa! Das ist ILLEGAL!« quietschte er empört.
»Nur Theoretisch. Es gibt schon lange keinen Gerichtshof mehr hier. Kein Gericht, keine Gesetze, keine Strafen. Also kann es nicht illegal sein« begründete ich warum unser Vorgehen gar nicht so schlimm war. Teils um Pixel zu beruhigen, teilweise aber auch um mein eigenes Gewissen zu besänftigen. Sich ins Waisenhaus zu schleichen und dort ein wenig rum zu suchen war eine Sache, da hatte ich ja quasi gewohnt und die Türen waren auch nicht verschlossen gewesen. Aber hier, in dem größten und vielleicht sogar wichtigsten Gebäude der Stadt einzudringen, war schon etwas anderes. Aber sie waren ja auch selbst Schuld oder? Die Besitzer des Gebäudes konnten sich doch sicher Söldner leisten, die es bewachen würden, wenn sie es wollten. »Das macht es nicht besser. Es ist offenbar nicht gewollt, dass wir hier sind« nuschelte Pixel, klang nun aber nicht mehr so überzeugt wie noch zuvor. »Kannst du das Schloss knacken oder nicht?« drängte ich ihn zu einer Antwort und stampfte frustriert auf, als Pixel verneinend den Kopf schüttelte. So ein Mist. Und was jetzt? Ich hatte auch keine Ahnung davon, wie man Schlösser knacken konnte. Und bis ich jemanden geholt hatte, der es konnte, würde es möglicherweise schon bald wieder hell werden. »Das ist schlecht, dass ist richtig schlecht« murmelte ich und lief beunruhigt auf und ab. »Vielleicht ... können wir das Schloss mit irgendwas kaputt machen« überlegte ich laut »Nur wo finden wir so etwas?«
»V-Vielleicht in dem Müllcontainer hinter dem Haus?« schlug Pixel kleinlaut vor und ich fand, dass das eine gute Idee war. Wir schlichen also um das Gebäude herum, bis zu dem Container, der so groß wie eine kleine Wohnung war. Ich musste aus ein paar Kisten einen Berg bauen, um überhaupt einen Blick hineinwerfen zu können. Der Gestank war entsetzlich und meine Hoffnung, an der Oberfläche des Mülls irgendetwas zu finden, dass man verwenden konnte, wurde leider auch Enttäuscht. Von leeren Essensverpackungen bis zu Unmengen Plastikmüll und weg geworfenen Technikkleinteilen konnte ich alles sehen. Aber nichts war geeignet um ein Schloss zu zerstören. »So ein Mist, wir müssen suchen. Pixel, du hilfst mir« bevor er vielleicht hätte protestieren können, warf ich ihn auch schon in den Container hinein, ehe ich selbst hinterher sprang und sofort Hüfttief im Müll einsank. »Bäh, ist das widerlich!« stöhnte ich und hielt mir die Nase zu. Pixel schien sich nicht daran zu stören, er tauchte schon regelrecht in dem Müllhaufen herum »Ich hab zum Glück keinen Geruchssinn!« verkündete er fröhlich und kam mit einen verbeulten Stück Hartplastik zwischen ein paar Tüten hervorgetaucht »Wie wäre es damit?«»Nein, wir brauchen was stabileres, schwereres. Irgendwas, womit man richtig Schaden anrichten kann« erklärte ich meinem Wegbegleiter und wühlte selbst etwas im Müll, wenn auch reichlich halbherzig. Alles fühlte sich eklig schmierig unter meinen Händen an.
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Two Birds
FantasyWir schreiben das Jahr 4055. Die Welt ist untergegangen und alle Länder sind beinahe komplett im Meer versunken. Das Waisenkind Ginessa muss sich auf der riesigen, heruntergekommen Stadtinsel zurechtfinden, auf der es keine Regeln gibt. Als eines Ta...