Der Raum, auf den Marsi gezeigt hatte, war ein Lagerraum für allerlei Zeug, dass oft gebraucht wurde. Putzmittel, frische Laken und Bettbezüge, Holzpoliturmittel, Besen, Schwämme, Vasen, zusätzliche Teller und anderes Geschirr, es war einfach alles vollgestopft. Als ich die Tür öffnete, floss das Wasser auch hier herein und holte ein paar Gegenstände, die in den niedrigsten Regalen der offenen Schränke gelagert waren, heraus. Wie Spielbälle trieben so einige leere Eimer herum, friedlich hin und her schaukelnd. Das Wasser stieg doch schneller, als ich erst gehofft hatte. Aber wenn wir alle Türen hier öffneten, konnten wir es vielleicht noch etwas länger hinauszögern. Nur war das hoffentlich nicht nötig. Da es hier drinnen auch kein Licht gab, tastete ich mich an der Wand entlang. Die Sprechanlagen waren immer an der Wand, oft in der Nähe der Tür, also musste es hier ebenso sein. Tatsächlich fühlte ich schon nach kurzen umhersuchen das kühle Gitter der Lautsprecher. Hektisch drückte ich auf den Knopf darunter, hatte aber wenig Hoffnung. Denn eigentlich leuchtete der Knopf, den man gedrückt halten musste damit der Mensch am anderen Ende der Leitung einen hörte. Aber der hier leuchtete gar nicht, er blieb dunkel, egal wie ich ich drückte und wie oft ich es neu versuchte. »Hallo? Ist hier jemand? Hallo! Wir sind hier unten eingesperrt! Es kommt Wasser rein! Wir brauchen Hilfe!« versuchte ich es dennoch, denn vielleicht war ja nur das Licht kaputt und der Rest funktionierte noch. Ich horchte angespannt, die Ohrmuschel ganz nah am Lautsprecher. Aber alles was ich hören konnte, war das Geplätscher des Wassers und die aufgeregten Stimmen der anderen Kinder. Keine tiefe Stimme eines Erwachsenen, die einen sagte, was man tun müsse und das man gleich kommen würde, um uns zu helfen. Nicht mal ein knistern in der Leitung.
Einige Momente wartete ich noch, dann ließ ich enttäuscht den Finger vom Knopf sinken. Nichts, das dumme Ding funktionierte nicht. Ich zögerte, nachdraußen zu gehen und den anderen die schlechte Situation mitzuteilen. Das wäre grausam, ihnen sagen zu müssen, dass diese letzte Hoffnung nichts brachte. Das einzige was wir jetzt noch tun konnten, war dazusitzen und zu hoffen, dass sie schnell bemerkten, dass wir fehlten. Und das sie uns suchen würden, möglichst bald hier unten. Nur war passives Abwarten nun mal nichts, was gut gegen Angst half. Solange man etwas tat, konnte man die Angst in Schach halten. Das hatte Zev früher immer gesagt, um mich aufzumuntern, wenn ich mich vor etwas gefürchtet hatte. Du hast Angst vor der Dunkelheit? Lauf einfach hindurch. Denk nicht daran, dass es dunkel ist. Konzentrier dich nur auf deine Schritte. Furcht war ein Monster, das nur wuchs, wenn man es mit ängstlichen Gedanken fütterte. Wenn man es nicht fütterte, wuchs es auch nicht. Und eines Tages verhungerte es vielleicht sogar. »Nicht das Monster füttern, nicht das Monster füttern« murmelte ich leise vor mich hin, als Marsis Stimme in den Raum hallte.» Gin? Alles in Ordnung? Helfen sie uns?« rief sie mir zu und ich schüttelte den Kopf, obwohl ich wusste, dass sie es nicht sah. Mit schweren Schritten stiefelte ich durch das Wasser, das unaufhaltsam Richtung Knie stieg »Nein, nichts zu machen. Das blöde Ding geht nicht mehr.«
»Es geht nicht mehr?« es war wieder Valerie, mit ihrer hohen Piepsstimme, die mit großen Augen zu uns blickte. Auch aus den Augen der anderen Kinder sprach nicht weniger das Entsetzen. Ich musste schlucken, das schlechte Gewissen schnürte mir die Luft ab. War es nicht meine Idee gewesen, Piraten zu spielen? Saßen jetzt nicht alle meinetwegen hier fest und ertranken vielleicht? »Kein Grund zur Panik« meine Stimme klang fester und gefasster, als ich mich fühlte »Wir finden einen Weg raus. Es muss einen Weg raus geben. Schaut in alle Räume und öffnet dabei alle Türen, damit das Wasser sich mehr verteilt, dass verschafft uns etwas Zeit. Wenn jemand von euch einen möglichen Ausweg sieht, ruft nach den anderen.« Mit der Aufgabe, etwas zu suchen, wären sie etwas abgelenkt. Zwar erwartete ich nicht, dass ein paar Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren wirklich etwas fanden, aber das wäre ja auch nur ein Bonus. Marsi und ich kam die Aufgabe zu, sich ernsthaft um das Problem zu kümmern. Marsi, weil sie sich am besten hier auskannte und die älteste war und ich, weil ich uns in dieses Dilemma gebracht hatte. Als Marsi mit den anderen los eilen wollte, hielt ich sie an den Schultern zurück »Nein, du bleibst bei mir. Wir müssen überlegen, wie wir hier lebend raus kommen. Du kennst das Schiff, es muss doch noch eine andere Möglichkeit geben! Irgendwelche Geheimgänge vielleicht? Ne Strickleiter irgendwo, die zu einer geheimen Luke an der Decke führt? Oder vielleicht ein Fenster? Wir sind doch schon Überwasser oder?«
»Gin, ich weiß es wirklich nicht! Ich hab doch auch nicht den gesamten Schiffsplan im Kopf! Warte, der Schiffsplan! Hier ist sicher auch irgendwo einer! In jedem Stockwerk hängt einer! Wenn wir ihn finden, dann finden wir vielleicht auch einen Weg raus. Aber es ist so dunkel ... wir brauchen Taschenlampe.«
»Da hinten ist ein Lagerraum mit allerlei Zeug, vielleicht sind da Taschenlampen dabei!« wir wateten durch das Wasser, dass zumindest mir jetzt zu den Knien ging, zurück in den Lagerraum und tasteten uns da herum, bis wir in einen der oberen Schränke tatsächlich eine verstaubte Taschenlampe finden konnten. »Funktioniert sie noch?« fragte Marsi nach, während ich das Ding in meiner Hand untersuchte und dann einen kleinen Schalter fand. Das Licht sprang an, flackerte kurz, blieb dann aber stabil. Mit einen erleichterten Grinsen blickte ich zu Marsi, auch auf ihren Gesicht zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab. »Siehst du? Wir haben was gefunden. Das ist ein gutes Omen! Jetzt der Schiffsplan« ich ließ den Lichtstrahl über die Wände tanzen, aber hier war kein Plan. Also suchten wir weiter. Die meisten der restlichen Räume, waren die Zimmer der Maschienenraumarbeiter. Sie waren einfach eingerichtet, voll von persönlichen Habseligkeiten, die sich jetzt nach und nach das Wasser holte. Aber auch hier gab es keinen Plan, der den Aufbau des Schiffes verriet. »Verflucht, wo ist das blöde Teil?« grummelte ich vor mich hin, als wir nach wieder auf dem Gang standen. Nuray, Maria, Jengo, Clara, Theodor, Kaleb und Valerie standen um uns herum. Sie hatten ihre erfolglose Suche abgebrochen. »Hat einer von euch etwas gesehen?« hakte ich nach, kassierte von Clara aber nur einen bösen Blick »Wir haben rein gar nichts gesehen! Bis auf das Licht da« sie nickte kurz in Richtung der roten Notleuchte »ist ja alles stockfinster.« Ihre leicht aggressive Stimmlage machte auch mich wütend, aber ich versuchte, es zu unterdrücken. Wir mussten zusammen arbeiten, später konnten wir immer noch wütend aufeinander sein »Irgendwo muss dieser Plan doch sein« stellte ich fest und leuchtete mit dem Strahl der Taschenlampe den Gang entlang. »Ein Plan?« fragte Valerie fröhlich und hielt mir eine Broschüre unter die Nase »So einer vielleicht?« Erst wollte ich ihre Hand wegstoßen und ihr erklären, dass wir keine Zeit für so etwas hatten. Aber als ich den Blick dann doch nochmal über das Stück Papier huschen ließ, erkannte ich, dass es tatsächlich ein Plan vom Schiff war. »Valerie, du bist genial! Wo hast du das her?« ich riss ihr fast das Heft aus der Hände, leuchtete nun voll mit der Taschenlampe darauf und ließ Marsi einen Blick darauf werfen. »Ich hab auch so eines, das haben wir von unseren Eltern bekommen, damit wir wissen wo alles ist und uns nicht so leicht verlaufen« antworte Kaleb, anstatt seiner Schwester.
DU LIEST GERADE
Two Birds
FantasyWir schreiben das Jahr 4055. Die Welt ist untergegangen und alle Länder sind beinahe komplett im Meer versunken. Das Waisenkind Ginessa muss sich auf der riesigen, heruntergekommen Stadtinsel zurechtfinden, auf der es keine Regeln gibt. Als eines Ta...