Und noch eine Insel, von der wir nichts wussten. Offenbar eine deutlich weniger freundliche, wie die Paradiesinseln. Ich beschloss, Imp seine Geschichte zu glauben, denn er hatte keinen Grund zu Lügen. »Das klingt wirklich furchtbar Imp. Du hast Recht, ich will auch nicht mehr ins Waisenhaus zurück« stimmte ich meinen wiedergewonnen Kumpel zu. Zwar war es im Waisenhaus nie zu schlecht gewesen, zumindest hatte man ein Dach über dem Kopf und, wenn auch minderwertiges, Essen im Bauch. Aber nach dem, was sie die letzte Zeit abgezogen hatten, wollte dort wohl keiner mehr bleiben. »Aber Kinder gehören doch zu Erwachsenen?« mischte Pixel sich zaghaft in unsere Diskussion ein. Der kleine Roboter stand zwischen uns und blickte von einem zum anderen. Imp schien ihn erst jetzt zu bemerken und er grinste »Das ist ja ein cooles Teil, wo hast du das den her?« fragte er, ohne auf Pixels Kommentar einzugehen. Da er nicht die Höflichkeit besaß zu antworten, nahm ich mich dieser Aufgabe an »Wir brauchen keine Erwachsenen Pixel, wirklich nicht. Die sind nur gemein. Wir kommen gut alleine klar« antworte ich meinen Freund, ehe ich mich wieder an Imp wand »Das ist Pixel, Nikki hat ihn gebaut« erklärte ich, nicht ohne stolz auf das Können meiner Freundin. Ich kannte sonst niemanden, der so etwas hinbekommen würde. Technische Geräte zusammen zu bauen oder wieder zum Laufen zu bringen, war Nikkis Spezialität. So hatte sie uns einen alten Fernseher beschafft, viele Jahre lang hatten wir sogar eine Konsole und eine Hand voll Spiele dazu. Nikki war einfach genial.
»Cool« bemerkte Imp anerkennend »Nikki ist auch hier?« hakte er dann nach und blickte sich um. »Ja - Nein. Ähm, also als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie hier. Ich war nämlich auch ein paar Monate weg und ...« ich brach meine Erklärung hilflos ab, denn erst jetzt kam mir der Gedanke, dass Nikki vielleicht gar nicht mehr hier wohnte. Andererseits, waren ja ganz klar Zeichen vom Leben im Haus »Ich bin gestern Nachmittag angekommen, seitdem hab ich sie noch nicht gesehen. Aber ich bin mir sicher, sie kommt bald. Sie muss sicher nur etwas besorgen.« Der Junge nahm diese Aussage eher skeptisch auf »Ich weiß nicht Gin, ich hab das Haus hier recht lange beobachtet, schon seid einer Woche. Ich war mir sicher, es stand leer, dass keiner hier wohnt. Deswegen bin ich ja hier reingeklettert. Ich breche nirgendwo mehr ein, wo jemand lebt, die Lektion hab ich gelernt« er verzog bei dieser Aussage gequält das Gesicht und ich konnte mir schon denken, was passiert war. Sicher hatte er, noch ziemlich am Anfang, versucht etwas aus einen belebten Haus zu stehlen. Und darauf haben die Bewohner natürlich nicht positiv reagiert. Vermutlich hatte er es nicht ganz heil aus dem Haus geschafft. Wenn es um ihren Besitz ging, kannten die Leute im Downtown keine Gnade. »Aber Nikki muss noch hier sein. Die Küche sah aus wie sau, ihr Zimmer auch und Pixel und alles andere ist auch noch da« wand ich ein. Nikki hatte zwar manchmal so seltsame Ausbrüche, aber nie würde sie alles was sie hatte einfach so zurück lassen. So waren wir nicht, so waren die Menschen im Allgemeinen nicht. »Du warst sicher immer nur tagsüber hier und hast beobachtet, nicht wahr? Nikki ist doch immer nur Nachts wach« versuchte ich, dass fehlen meiner Freundin zu begründen. Denn wenn sie nicht hier war, wo sollte sie sonst sein? Wenn sie gegangen wäre, hätte sie bestimmt alles mitgenommen was ihr gehörte. Und sie hätte mir eine Nachricht hinterlassen. Nur was war, wenn ihr etwas zugestoßen war? Vielleicht war sie auch bei Nebel hinaus gelaufen und über die Klippe gefallen? Obwohl, nein. So dumm war Nikki nicht. Ich schob alle Gedanken wieder beiseite und konzentrierte mich wieder auf Imp, der nur mit den Schultern zuckte.
Keiner von uns wusste nun, was er dem anderen sagen sollte und eine merkwürdige Stille entstand. Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Imp wieder weg schicken? Es sah nicht so aus, wie als hätte er es eilig, weg zu kommen. Vielleicht hatte er inzwischen ja auch keinen Ort mehr, an dem er zurück konnte. Ins Waisenhaus zurück gekehrt war er ja offensichtlich nicht. Jedenfalls brachte ich es nicht über mich, ihn weg zu schicken. Vielleicht auch, weil Gesellschaft inzwischen zu etwas geworden war, was ich brauchte. Sonst war es immer nur Nikki und ich gewesen. Wir beide, gegen den Rest der Welt. Ab und zu hatte sich ein anderes Kind unseren Abenteuern angeschlossen, aber die meiste Zeit waren wir unter uns gewesen. Und wir hatten uns nie einsam gefühlt. Inzwischen war ich mir aber nicht mehr sicher, ob es ausreichte, nur zu zweit zu sein. Es machte wahnsinnig viel Spaß, Zeit mit Nikki zu verbringen, aber das Spielen mit den anderen Kindern auf dem Schiff hatte mir auch viel Vergnügen bereitet. »Du hast doch gesagt du hast Hunger oder?« erhob ich nach einen kurzen Moment des Nachdenkens meine Stimme und spürte sofort den Hoffnungsvollen Blick auf mir »Ich habe etwas Geld aufgetrieben. Wir können was Essen gehen, wenn du willst.« Natürlich wollte Imp essen gehen. Und sogar Pixel stimmte dafür, weil er meinte, Kinder müssten viel Essen um groß und stark zu werden. Nur stritten wir uns darüber, wo wir essen sollten. An Geldproblem lag es nicht, dank Camille und Cleve hatte ich ja reichlich Geld auf der Kante, aber an Geschmäcker unterschied es sich sehr. Ich wollte mal wieder Rat besuchen, den ich gerne mochte und so lange Zeit nicht gesehen hatte. Außerdem wussten wir, dass sein Essen gut war oder zumindest Verhältnismäßig gut. Imp dagegen war dafür, dass wir in die Papizza Pizzeria gingen, einen Ort der ganz auf Kinder zugeschnitten war. Mit Acardspielen, bunten und singenden Robotern, einen Indoor Spielplatz, Spielzeuge die es gratis zum Essen dazu gab und natürlich der besten Pizza der ganzen Stadt. Wir hatten dort immer mal hingewollt, aber es hatte stets an Geld gefehlt, denn der Laden war verdammt teuer. Und schließlich war dann da noch Pixel, der unbedingt wollte, dass wir in die Kantine der Tauben Grundschule, die einzige Schule auf der Insel abgesehen von der im Waisenhaus, einkehrten, weil es dort garantiert das gesündeste und nährreichste Essen gab.
Wir zogen zu dritt durch die Straßen und diskutierten dabei lebhaft die Pro- und Contras der jeweiligen Lokale. Auch wenn die Sachlichkeit schnell verloren ging und wir uns nur noch stritten. Oder besser gesagt, Imp und ich stritten uns, während Pixel vergeblich versuchte zu schlichten.
»Du hast doch gesagt, Geld spielt keine Rolle! Also, warum nicht in das BESTE Lokal gehen, dass es überhaupt gibt?«
»Rat hat uns immer durchgefüttert, du undankbarer Idiot! Und jetzt, wo wir etwas Geld über haben, willst du ihn gleich links liegen lassen?«
»Warum denn liegen lassen? Wir können ihn ja besuchen, nur eben nicht jetzt. Wenn wir kein Geld haben, essen wir doch sowieso wieder immer bei ihm.«
»Ach, dann ist Rat und sein Essen plötzlich wieder gut genug für dich? Du bist furchtbar Imp! Hör doch mal mit deinen Herz!«
»Ich kann nicht mit meinen Herzen denken, wenn mein Magen lauter schreit!«
»Kommt schon ihr beiden, hört doch auf zu streiten ...«
»Halt die Klappe Blechbüchse! Also Gin? Nichts mehr zu sagen?«
»Und ob ich was zu sagen habe! Das ist mein Geld, also entscheide ich was« abrupt brach ich meinen Satz ab, als ich plötzlich ein lautes Knacken hinter uns hörte. Wir befanden uns inzwischen am Rand des verlassenen Viertels, das klägliche Grün des Unkrauts wich zunehmend wieder dem dumpfen grau der Hochhäuser, und keiner von uns hatte durch den Streit auf die Umgebung geachtet. So hatte auch keiner von uns mitbekommen, dass wir verfolgt wurden. Langsam drehte ich mich um und musterte die Gruppe junger Männer, die lauernd wie Wölfe hinter uns hergekommen waren, mit gehässigen Grinsen auf ihren ausgezehrten oder bulligen Gesichtern.
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Two Birds
FantasyWir schreiben das Jahr 4055. Die Welt ist untergegangen und alle Länder sind beinahe komplett im Meer versunken. Das Waisenkind Ginessa muss sich auf der riesigen, heruntergekommen Stadtinsel zurechtfinden, auf der es keine Regeln gibt. Als eines Ta...